
Im August 2021 fand die Polizei im südlichen Landkreis Würzburg zwei kleine Kinder in einer völlig verwahrlosten Wohnung mit katastrophalen hygienischen Zuständen vor. Die Eltern hatten die Kinder während eines geplanten Urlaubs einer offenbar überforderten Freundin anvertraut. Wer für den Zustand der Wohnung verantwortlich war, blieb vor Kurzem vor dem Würzburger Amtsgericht unklar. Wegen fehlender weiterer Auffälligkeiten in der Erziehung verzichtete das Gericht auf eine Strafe.
Im Interview erklärt Bernd Adler, Fachbereichsleiter im Jugendamt des Landratsamtes Würzburg, worauf Eltern bei der Auswahl einer Betreuungsperson achten sollten, welche Risiken bei einer unzureichenden Betreuung bestehen und welche Maßnahmen das Jugendamt ergreift, wenn eine Kindeswohlgefährdung vorliegt.
Bernd Adler: Kleine Kinder haben ein Grundbedürfnis nach sicherer Bindung, Zuwendung und Versorgung durch eine enge Bezugsperson. Daher liegt es nahe, sie in den Urlaub mitzunehmen. Wenn Eltern dennoch jemanden mit der Obhut beauftragen, sollte es eine Person sein, die den Kindern ähnlich nahesteht und auch mit den Bedürfnissen der Kinder vertraut ist, zum Beispiel die Großeltern.
Adler: Wenn wir von einer fraglichen Betreuung erfahren, müssen wir eine Risikoeinschätzung vornehmen. Je nach Alter des Kindes, seiner Bindungserfahrung und der Qualität der Betreuung kann die Situation Stress und Unsicherheit erzeugen, das Kind kann Trennungsangst entwickeln. In der Regel werden uns fragwürdige Betreuungsmodelle allerdings nicht mitgeteilt. Im vorliegenden Fall war es die Betreuungsperson selbst, die sich gemeldet und um Hilfe gerufen hat. Die Situation vor Ort war so desolat, dass wir die Kinder sofort in Obhut nehmen mussten.
Adler: Die Trennung der Kinder von ihren Eltern ist immer das letzte Mittel. Sie ist nur zulässig, wenn der festgestellten erheblichen Kindeswohlgefährdung nicht auf andere Weise, zum Beispiel durch Unterstützung des Jugendamts, begegnet werden kann. Die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern sind immer mit abzuwägen. Diese Entscheidung trifft ein Familiengericht. Das Jugendamt kann als vorläufige Schutzmaßnahme ein Kind in Obhut nehmen, wenn eine dringende Gefahr für das Kindeswohl vorliegt und eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig eingeholt werden kann. Eine solche Situation haben wir in diesem Fall vorgefunden.
Adler: Das Jugendamt nimmt eine Risikoeinschätzung vor und kontaktiert in der Regel zunächst die Eltern, meist in Form von Hausbesuchen. Auch die Kinder selbst sind einzubeziehen. Zur Informationsgewinnung können auch andere Stellen befragt werden, etwa die Schule, der Kindergarten und der Hausarzt. Wenn Hilfen geeignet sind, die Gefährdung der Kinder abzuwenden, bieten wir diese an und beraten die Eltern entsprechend. Das Vorgehen erfolgt immer im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte nach dem Vier-Augen-Prinzip. Wenn die Eltern nicht zur Zusammenarbeit bereit sind, kann das Jugendamt das Familiengericht hinzurufen.
Adler: Die Eltern können der Inobhutnahme widersprechen, dann hat das Jugendamt unverzüglich eine Entscheidung des Familiengerichts herbeizuführen. Sofern sich dabei herausstellt, dass keine Gefährdung besteht, ist es selbstverständlich unsere Pflicht, die Kinder umgehend wieder an die Eltern zu übergeben. Nehmen die Eltern die Hilfe des Jugendamtes an, um die Gefahr zu beseitigen, kehren die Kinder ebenfalls zu den Eltern zurück.
Adler: Je nach Bedarf verweisen wir die Eltern an Erziehungsberatungsstellen oder bieten Erziehungshilfen in ambulanter oder teilstationärer Form an. Viele Familien beantragen zum Beispiel eine konkrete und alltagsbezogene Hilfe in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe oder einer Familienpflegerin.
Adler: Die Kinder in den Blick nehmen. Betroffene ansprechen und motivieren, sich Hilfe zu holen. Das Jugendamt informieren.