Die US-amerikanische Politikerin Hillary Clinton leitet einen Kinderporno-Ring – gelogen. Deutsche Bundeswehrsoldaten vergewaltigen eine Minderjährige in Litauen – gelogen. Sängerin Sarah Lombardi ist tot – gelogen. Und trotzdem haben Millionen Menschen die falschen Nachrichten geglaubt und in Sozialen Medien verbreitet. Es handelt sich dabei um Fake News – ein Begriff, der in aller Munde ist. Doch nicht jeder, der von „Fake News“ spricht, meint dasselbe. Bewusst und unbewusst falsche Nachrichten, journalistische Fehler und Irrtümer, politische Propaganda sowie Satire landen immer häufiger in einem Topf, dem Fake-News-Topf. Was verbirgt sich aber tatsächlich hinter dem Begriff?
Oft werden Fake News als bloße Falschmeldung übersetzt, sind aber in der Regel mehr als das. Sie sind wissentlich gefälschte oder erfundene Nachrichten, mit denen die Öffentlichkeit manipuliert werden soll. Von einem „schwammigen Begriff, der heute fast schon inflationär verwendet wird“, spricht Astrid Carolus von der Universität Würzburg. Die Medienpsychologin beschäftigt sich mit computervermittelter Kommunikation, insbesondere in den Sozialen Medien.
„Meist sind mit Fake News falsche Nachrichten, Unwahrheiten oder Lügen gemeint, die im Kontext Sozialer Medien diskutiert werden“, sagt die Medienexpertin. „Da es sich bei Fake News um keinen geschützten Begriff handelt, ist eine eindeutige Definition schwierig“, sagt auch der bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz, Thomas Petri. Was man aktuell darunter verstehe, sei die „grob fahrlässige oder vorsätzliche Verbreitung von Falschnachrichten in sozialen Netzwerken“.
Nicht alle Gerüchte sind Fake News
Anfang 2016 wurde das Adjektiv „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gekürt. Es beschreibt eine Zeit, in der Menschen ihr Bauchgefühl über Fakten stellen. Einige Medien sprachen sogar vom „postfaktischen Zeitalter“. In eine ähnliche Richtung geht der Begriff Fake News, der zum Anglizismus des Jahres 2016 gewählt wurde. Laut der Jury der unabhängigen Initiative „Anglizismus des Jahres“, fülle er eine Lücke zwischen den Wörtern Falschmeldung und Propaganda.
Im Englischen wird er bereits Ende des 19. Jahrhunderts für bewusste Falschmeldungen in Zeitungen verwendet. Im Deutschen gibt es den Begriff „Zeitungsente“, der aber überwiegend für journalistische Fehler und Irrtümer in gedruckten Medien verwendet wird und den Begriff Fake News somit nicht abdecken kann. Ab 2014 wurde der Anglizismus Fake News allmählich ins Deutsche übernommen, konnte sich aber anfangs nicht gegen existierende Wörter wie „Hoax“ (deutsch: Scherz, Jux oder Schwindel) durchsetzen. Das wird heute teils als Synonym für Fake News verwendet. Heißt das, dass wir in einer Gesellschaft leben, die Fakten nicht mehr glauben kann oder will?
Emotionen statt Fakten
Die wachsende Bedeutung von Sozialen Medien beeinflusst zumindest die Art und Weise, wie Nachrichten konsumiert und verbreitet werden. Häufig lesen und teilen Nutzer vor allem das, was sie emotional berührt – ob der Inhalt auf Fakten beruht, steht dabei an zweiter Stelle. Dazu kommt, dass ein Beitrag mit nur einem Klick geteilt werden kann, ohne ihn gelesen zu haben.
Um herauszufinden, ob eine Nachricht glaubwürdig ist, ist jedoch mehr nötig als nur ein Klick. Dazu müssen Nutzer im Prinzip vorgehen wie Journalisten: Quellen prüfen und Informationen recherchieren – was im Internet aufgrund der großen Menge an Nachrichten, die dort täglich veröffentlicht werden, nicht immer leicht ist. In der analogen Welt ist es dagegen einfacher, Gerüchte oder Halbwahrheiten von Fakten zu unterscheiden.
Phänomen dahinter ist nicht neu
Die Regenbogen- und Boulevardpresse beispielsweise ist bekannt für ihre oftmals nicht faktenbasierte Berichterstattung und kann von seriösen Tageszeitungen unterschieden werden. Wer Klatschblätter liest, weiß also, dass ihn nicht nur gut recherchierte Fakten erwarten. Das ursprüngliche Phänomen, das hinter Fake News stecke, sei kein neues. Die Möglichkeiten der Verbreitung haben sich laut Medienpsychologin Carolus allerdings stark gewandelt.
Was früher erst gedruckt werden musste oder sich über Stammtische rumgesprochen hat, verbreitet sich heute mit rasanter Geschwindigkeit auf Facebook, Twitter und Co. „Lügen, Tratsch und Klatsch hat es schon vor dem Internet gegeben, das ist so alt wie die Menschheit selbst“, sagt Carolus. Nicht jedes Gerücht ist aber automatisch eine Fake News. Wer sich zum Tratschen mit Freunden trifft, macht das nicht nur in einem viel kleineren Rahmen, sondern hat auch andere Absichten als Fake-News-Erzeuger im Internet, die meist politisch oder materiell motiviert agieren.
Satire verfolgt andere Ziele
Was viele Menschen im Internet in die Irre führt, ist das optische Erscheinungsbild von Fake News, die sich auf den ersten Blick nicht von seriösen Nachrichten unterscheiden. Ähnlich aufgebaut sind Beiträge des „Postillons“, ein Satire-Magazin, das täglich satirische Beiträge im Stil von Zeitungsartikeln und Agenturmeldungen im Internet veröffentlicht. Dabei handelt es sich aber nicht um Fake News, auch wenn erfundene Meldungen des „Postillons“ immer wieder für bare Münze genommen werden. Satire verfolgt vollkommen andere Ziele, sie kritisiert Missstände unserer Gesellschaft in humoristischer Weise. Zu erkennen ist sie nicht an ihrer äußeren Form, sondern an ihrem Inhalt und Stilmitteln wie Übertreibung und Ironie.
Soziale Netzwerke spielen bei der Diskussion um Fake News eine entscheidende Rolle. Facebook hat sich im vergangenen Jahrzehnt zum erfolgreichsten sozialen Netzwerk entwickelt. Wegen seines mangelhaften Datenschutzes wird es jedoch immer wieder kritisiert. Vor allem wird ihm vorgeworfen, zu wenig gegen die Verbreitung von Falschmeldungen zu unternehmen.
„Das Problem ist, dass Fake-News-Verbreiter nicht den Regeln unterliegen, die etwa Journalisten befolgen. Sie müssen keine Quellen prüfen, bevor sie Nachrichten verbreiten“, sagt Datenschützer Petri. Fake News gewinnen laut Petri besonders durch ihre Reichweite in sozialen Netzwerken an Sprengkraft: „Internet-Nutzer müssen sich im Klaren darüber sein, dass jeder, Zugriff zum Internet hat und ungefiltert Beiträge verbreiten kann – und dass nicht jeder gute Absichten hat.“
Facebook in der Kritik
Mit seinen technischen Mechanismen begünstigt das Netzwerk sogar indirekt die Verbreitung von Fake News. Kontroverse Posts, darunter rechtspopulistische oder hetzerische Beiträge, erzeugen mehr Reaktionen und erreichen dadurch mehr Menschen. Das musste Anfang des Jahres der syrische Flüchtling Anas Modamani am eigenen Leib erfahren. Im sogenannten Facebook-Prozess entschied das Landgericht Würzburg, dass das Netzwerk verleumderische Inhalte mit einem Selfie von ihm mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht von sich aus finden und löschen muss. Wenn Facebook selbst keine Verantwortung übernimmt, wer dann?
„In Sozialen Netzwerken gibt es viele weiße aber auch schwarze Schafe, die strafbare Inhalte verbreiten“, sagt Datenschützer Petri. Wie aber löst man dieses Problem? „Entweder pickt man die schwarzen Schafe heraus oder man spricht den Schäfer direkt an.“ In Modamanis Fall wäre Facebook der Schäfer gewesen. Den Weg, den die Bundesregierung vorschlägt, hält Petri für richtig. Mit einem Gesetz will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Soziale Netzwerke zum Kampf gegen Falschnachrichten und Hassbotschaften im Internet verpflichten.
Der Entwurf wurde jedoch von Experten im Rechtsausschuss heftig kritisiert. Aus datenschutzrechtlicher Sicht sei es nicht immer einfach, strafrechtliche Delikte von freier Meinungsäußerung zu unterscheiden. „Viele Äußerungen bewegen sich im Grenzbereich“, sagt Petri. Einen Eingriff in die Meinungsfreiheit hält er für gefährlich: „Jeder sollte das Recht haben, sich ohne Angst zu äußern.“ Mit Informationen der DPA