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WÜRZBURG
Interview: „Wir brauchen kein Wahrheitsministerium“
Im Interview: Sogenannte Fake News sind spätestens seit dem Wahlkampf um das US-Präsidentenamt in aller Munde. Der Medienforscher Stephan Ruß-Mohl erklärt, warum sie gefährlich sind und was man dagegen tun kann.
Illustration: Annabell Griebl
Foto: Annabell Griebl | Illustration: Annabell Griebl
Das Gespräch führte Niklas Molter
 |  aktualisiert: 03.02.2017 03:58 Uhr

Fake News sind in aller Munde. Sie werden oft als Falschmeldung übersetzt, sind aber in der Regel mehr als das. Sie sind wissentlich gefälschte oder erfundene Nachrichten, mit denen die Öffentlichkeit für politische oder kommerzielle Zwecke manipuliert werden soll. Häufig werden zudem bewusst falsche Nachrichten unter anderem über soziale Medien verbreitet. Auch werden auf Netzwerken wie Facebook die Anreißer für Links zu etablierten Nachrichtenseiten bewusst irreführend formuliert – und so der Inhalt des verlinkten Textes falsch zusammengefasst. Das Thema beschäftigt auch Medienwissenschaftler wie Stephan Ruß-Mohl stark.

Frage: Herr Ruß-Mohl, im US-Wahlkampf wurden erfundene Geschichten auf Facebook hunderttausendfach geteilt. Ein pakistanischer Minister drohte jüngst Israel mit dem Einsatz von Atomwaffen, weil er auf einen gefälschten Artikel hereingefallen war. Was macht Fake News so attraktiv, dass sich so viele Menschen täuschen lassen?

Stephan Ruß-Mohl: Ich denke, dieses Getäuschtwerden ist in sozialen Medien zum Tagesgeschäft geworden. Man bekommt die Falschnachricht von einem Freund, dem man vertraut, zugespielt, und schon denkt man, sie stimmt. Das ist brandgefährlich, weil sich so Meinungen verbreiten, die auf Falschnachrichten beruhen und die sehr viel Sprengstoff enthalten, wenn man etwa an Wahlen denkt, aber auch an andere alltägliche Dinge.

Welche Verantwortung haben Facebook & Co. bei der Verbreitung von Fake News?

Ruß-Mohl: Aus meiner Sicht eine ganz große – und da drücken sie sich. Sie sind eben nicht nur IT-Unternehmen, sondern, wenn sie solche Plattformen bereithalten, de facto Medienunternehmen. Und jedes Medienunternehmen hat eine Verantwortung für die Inhalte, die es verbreitet. Dass sie sich dieser Verantwortung bislang so genial entziehen, ist ein Skandal für sich. Jedes andere Unternehmen hat eine gesellschaftliche Verantwortung für das, was es macht, Volkswagen mit seinen Dieselmotoren etwa.

Stecken dahinter am Ende knallharte wirtschaftliche Gründe?

Ruß-Mohl: Man muss realistisch sehen, dass Facebook selbst an der Verbreitung von Unsinn Geld verdient. Denn der wird auch an Werbung gekoppelt. Alles, was auf Facebook läuft, bringt Werbeerlöse. Man muss auch die Werbetreibenden in die Pflicht nehmen, dass sie dafür sorgen, dass ihre Werbung nicht auf Fake-News-Seiten erscheint.

Halten Sie Facebooks Zusammenarbeit mit Fakten-Checkern wie dem deutschen Recherche-Zentrum Correctiv für erfolgversprechend?

Ruß-Mohl: Ich bin da unsicher. Auf der einen Seite fällt mir auch nicht viel mehr ein, als dass wir Fakes kennzeichnen und Netzwerke mobilisieren sollten, die auf solche Fakes hinweisen. Das sind alles Schritte in die richtige Richtung. Aber ob es uns wirklich gelingt, Filterblasen aufzubrechen, die in sozialen Netzwerken entstanden sind, muss man sehen. Wir wissen aus Studien, dass sich im Netz Fake News, Verschwörungstheorien und Propaganda oft schneller und intensiver verbreiten. Schwarz-weiß und drastisch zugespitzt läuft einfach besser. Das ist auch nachvollziehbar: Sie sitzen in der einen Filterblase und die anderen sitzen in der anderen.

Warum löscht Facebook Fake News nicht einfach?

Ruß-Mohl: Das müssen Sie Facebook fragen. Allerdings würde Löschen voraussetzen, dass man Fake News klar identifiziert haben muss. Das ist oft schwierig. Deshalb werden Journalisten gut ausgebildet – und schaffen es doch nicht immer. Und auch Wissenschaftler gehen mal einer Fälschung auf den Leim. Es ist sehr einfach, Fake News zu erfinden, wenn man kreativ ist. Aber es ist aufwendig, sie zu entlarven.

Sie sagen: „Wenn Facebook so weitermacht, ist das gefährlich fürs eigene Geschäftsmodell.“ Warum?

Ruß-Mohl: Wenn Nutzer mittelfristig merken, wie sie zugemüllt werden, könnte es sein, dass sie nicht mehr auf die Seite gehen. Davor muss Facebook Angst haben.

Wie zielführend sind aktuelle Vorschläge der deutschen Politik, ein „Abwehrzentrum gegen Desinformation“ einzurichten?

Ruß-Mohl: Wenn das Regierungsinstitutionen sind, dann bin ich sehr, sehr skeptisch. Wir haben mithilfe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, aber auch vieler privatwirtschaftlicher Redaktionen ein gutes Netzwerk, das Fake News bereits bekämpft. Wir brauchen kein „Wahrheitsministerium“. Das würde nur als Gegenpropaganda empfunden. Was man dagegen machen kann: Mehr in die Ausbildung von Journalisten investieren. Mehr in Medienkompetenz investieren. Das heißt, an Schulen dafür sorgen, dass die Kids ganz anders vorbereitet werden auf den Umgang mit digitalisierten Medien. Da darf man allerdings keine Wunder erwarten: Die Lehrer, die das können, müssen erst mal ausgebildet werden.

Inwiefern rechnet es sich für bestimmte Gruppen, solche Fake News zu verbreiten?

Ruß-Mohl: Ich denke, es rechnet sich beispielsweise machtpolitisch für die AfD oder für Putin, wenn sie so Stimmung machen oder bestehende Strukturen infrage stellen können. Und an bestimmten Stellen rechnet es sich auch für Firmen, Desinformation zu verbreiten. Energiekonzerne haben jahrzehntelang den Klimawandel geleugnet, die Tabakindustrie hat jahrzehntelang bestritten, dass Nikotin schädlich ist. Mithilfe der sozialen Netzwerke ist es leichter geworden, Desinformation zu verbreiten. Daneben gibt es noch einen zweiten Trend: Es gibt immer weniger Journalisten, immer mehr PR-Leute. Das läuft darauf hinaus, dass Firmen, Politiker und Regierungen Nachrichten verstärkt beeinflussen, weil ausgedünnte Redaktionen hinterherhecheln, anstatt selbst Themen zu setzen. Vor 30 Jahren hatten wir in den Vereinigten Staaten ein Verhältnis von 1:1. Heute kommen auf einen Journalisten fünf PR-Leute. Das ist eine Machtverschiebung.

Stephan Ruß-Mohl (66) ist Professor für Journalismus an der Universität in Lugano und Direktor des Europäischen Journalismus-Observatoriums. Von 1985 bis 2001 lehrte er Publizistik an der Freien Universität Berlin. Außerdem forschte er in Italien und den USA. Foto: Uni Mainz

 
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