
Mehr als ein Drittel der 124 Bürgermeister in Unterfranken, die sich an einer Umfrage dieser Redaktion beteiligt haben, gibt an, schon mal Hass-Mails und -Briefe bekommen zu haben. Fast 40 Prozent berichten von Anfeindungen im Internet. Zahlen, die Chan-jo Jun nicht wirklich überraschen. Der Würzburger Rechtsanwalt engagiert sich seit langem gegen Hass und Hetze vor allem in den Sozialen Netzwerken. Deutschlandweit bekannt wurde der 45-Jährige, als er vor zwei Jahren einen syrischen Flüchtling vor Gericht gegen den Internet-Riesen Facebook vertrat. Er wollte erreichen, dass der Konzern Beiträge, die den Syrer völlig zu Unrecht in Zusammenhang mit Verbrechen brachten, dauerhaft von der Plattform löscht – und scheiterte.
Im Zuge dieses Prozesses war Jun selbst bedroht worden. Wenn er weiter gegen Facebook vorgehe, werde es Tote geben, hieß es mehrfach am Telefon. Der Anwalt kann also ganz gut nachvollziehen, wie Bürgermeistern zumute ist, die beschimpft oder bedroht werden. Noch schlimmer ist es, wenn Familienmitglieder in die politischen Auseinandersetzungen mit einbezogen werden. Immerhin 20 Prozent der Umfrage-Teilnehmer sagen, ihre Angehörigen seien ebenfalls schon bedroht worden, weil dem Täter eine Entscheidung oder Stellungnahme des Bürgermeisters nicht gepasst habe.
Jun beklagt Hang der Justiz, verbale Angriffe zu bagatellisieren
Jurist Jun weist auf die rechtliche Unterscheidung zwischen Beleidigung und Bedrohung hin. Demnach ist Beleidigung ein "Antragsdelikt", das heißt, es wird nur ermittelt, wenn ein Betroffener Anzeige erstattet. Dass es am Ende zu Verurteilungen kommt, sei sehr selten, so Jun. Er glaubt, viele Ermittler scheuten den Aufwand, "solche mutmaßlichen Kleindelikte" konsequent aufzuklären. Gleiches gelte "leider" allzu häufig auch im Fall von Bedrohungen. "Bedrohung" ist ein Offizialdelikt, das heißt, Polizei und Staatsanwaltschaft müssen ermitteln, wenn sie davon erfahren. Jemanden Prügel in Aussicht zu stellen, sei noch keine Bedrohung. Es müsse schon ein schweres Verbrechen, ein Mord oder eine schwere Körperverletzung, angekündigt werden.
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Aber selbst dann machten viele Betroffene die Erfahrung, dass die Ängste, die aus den Bedrohungen resultieren, von Kriminalbeamten nicht ernst genug genommen werden, fürchtet Jun. "Es heißt dann, es sei ja nichts passiert." Diesen Hang, solche verbalen Übergriffe zu bagatellisieren, führt der Würzburger Anwalt unter anderem darauf zurück, dass das deutsche Rechtssystem eine Morddrohung mit Schwarzfahren gleichsetze. "In beiden Fällen liegt der Strafrahmen bei maximal einem Jahr." Für Chan-jo Jun ist deshalb klar: "Wenn wir den Schutz der Opfer vor Hass-Kriminalität ernst nehmen wollen, müssen wir die Wertigkeit der Rechtsgüter neu sortieren."
In NRW fahndet ein Sonderermittler nach Hass- und Gewaltaufrufen im Netz
Gesetzesverschärfungen seien eine Möglichkeit, Opfern von Bedrohungen das Gefühl zu nehmen, sie würden im Stich gelassen. Eine andere sei die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze. "Es wäre schon einiges geholfen, wenn die Politik den Staatsanwaltschaften das Signal gibt, bei Beleidigungen und Bedrohungen genauer hinzuschauen." Es sei ja richtig, wenn der Freistaat Bayern eine zentrale Staatsanwaltschaft "Cybercrime" in Bamberg einrichte, um Kinderpornografie und organisiertes Verbrechen im Darknet zu bekämpfen. Aber es bräuchte eben auch Spezialisten, die die sozialen Netzwerke auf Hasskriminalität und Bedrohungen untersuchten.

Beispielhaft gehe Nordrhein-Westfalen vor: Bei der Zentralstelle Cybercrime in Köln durchforsten seit einem Jahr zwei eigens geschulte Staatsanwälte die einschlägigen Plattformen nach Aufrufen zu Hass und Gewalt. Gemäß der Devise "Verfolgen statt nur löschen" bemühen sich die Ermittler, nicht nur die Löschung der Posts bei Facebook und Co. durchzusetzen, sondern auch die Urheber zu ermitteln und vor Gericht zu bringen. Viele mutmaßliche Täter wüssten gar nicht, dass man auch im Netz "keineswegs alles sagen darf, was man will", so Sonderermittler Christoph Hebbecker im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur. Andere ahnten , dass sie etwas Verbotenes tun, rechneten aber nicht mit einer Verfolgung. Gut möglich also, dass wachsender Ermittlungsdruck präventiv Eindruck auf potenzielle Hetzer macht. Nach Beobachtung von Anwalt Jun fühlten sich "gerade ständige Hetzer aus der rechtsextremen Szene" häufig ziemlich sicher vor juristischer Verfolgung.
Bedrohten Kommunalpolitikern empfiehlt der Anwalt, mutmaßliche Täter im Zweifel statt wegen Bedrohung eher wegen "Nachstellung" anzuzeigen. Sobald Drohungen mehrfach wiederholt würden, käme dieser Tatbestand, ursprünglich vor allem gegen Stalker gerichtet, zur Anwendung. Hier sind Strafen bis zu drei Jahren möglich, deshalb ermittelten die Behörden in solchen Fällen sehr viel engagierter. Hilfreich könnte es auch ein, zivilrechtlich gegen Urheber von Beleidigungen, Verleumdungen und Bedrohungen vorzugehen. Beispielsweise könnte man sie per einstweiliger Verfügung dazu zwingen, bestimmte Äußerungen künftig zu unterlassen, Unwahrheiten zu widerrufen oder, sofern das Internet im Spiel ist, zu löschen.
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Es bedürfe Mut und Zivilcourage, sich zu wehren, sagt Jun. Sich lediglich ein dickes Fell zuzulegen und Anfeindungen zu ignorieren, reiche nicht. "Dass bedrohte Politiker die Klappe halten, ist doch genau das, was die Täter möchten. Am Ende verliert die Demokratie."