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Würzburg
Experte für Energierecht: "Es braucht faire und einfache Regeln"
Für die Klimaziele müssen erneuerbare Energien ausgebaut werden. Thorsten Müller von der Würzburger Stiftung Umweltenergierecht über Widerstände, Probleme - und Lösungen.
Fordert ein 'neues Recht in allen Bereichen', um die gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen: Thorsten Müller, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht.
Foto: Silvia Gralla | Fordert ein "neues Recht in allen Bereichen", um die gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen: Thorsten Müller, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:18 Uhr

Der Klimawandel schreitet voran, mit einer Energiewende bis zum Jahr 2050 will Deutschland gegensteuern. Der Anteil erneuerbarer Energien soll ausgebaut, die Emission von Treibhausgasen reduziert werden. Doch dafür müssen rechtliche Rahmen angepasst werden. Von Würzburg aus befasst sich die Stiftung Umweltenergierecht  seit zehn Jahren damit und berät die Politik. Wissenschaftlicher Leiter Thorsten Müller (46) erklärt, was zu tun ist.

Frage: Herr Müller, zum Erreichen der Klimaschutzziele fordern Sie ein "neues Recht in allen Bereichen". Wo sind die höchsten Hindernisse?

Thorsten Müller: Die Ziele sind für konkrete Maßnahmen zu abstrakt und unklar, das betrifft Unternehmen und Gesetzgebung. Energierecht, aber auch Planungs- und Genehmigungsrecht muss auf den Ausbau regenerativer Stromgewinnung ausgerichtet werden. Schließlich muss man Flächen dafür bekommen. Und drittens sprechen wir von einem ganz anderen Gesamtsystem, das sich an dezentralen Energiequellen und nicht an großen Kraftwerken ausrichtet. Bei dieser Systemveränderung stehen wir noch ganz am Anfang.

Aber die Ziele der Energiewende sind doch formuliert, oder?

Müller: Der Bundesgesetzgeber hat geregelt, dass Deutschland bis 2050 treibhausgasneutral sein soll. Aber was bedeutet das? Rein rechnerisch heißt es: Die Summe der Emissionen darf nicht größer sein als die Summe der kompensierenden Maßnahmen. Das sagt aber nichts über die tatsächliche Reduktion von Emissionen aus. Sind es nur 80 Prozent, könnten wir uns für den Rest sogar noch Gaskraftwerke erlauben. Bei 95 Prozent wären schon die Emissionen aus der Landwirtschaft zu viel.

Es braucht also genauere Vorgaben, damit mit man besser lenken kann?

Müller: So ist es. Damit der Gesetzgeber weiß, wo er hinsteuern muss. Es ist ein Unterschied, ob wir 65 oder 80 Prozent aus erneuerbaren Energien gewinnen wollen.

Warum geht der Umbau nicht schneller voran?

Müller: Das hat verschiedene Ursachen. Da ist der Widerstand von Kohlekraftwerksbetreibern, deren Geschäftsmodelle früher enden. Eine dezentrale Energieversorgung bringt Veränderungen in der Landschaft. Menschen müssen mitgenommen und Flächen für solche Anlagen ausgewiesen werden. Neue Netze, Speicher, Verfahren – all das muss der Gesetzgeber ansteuern. Aber bei jeder dieser Fragen muss er mit Widerständen umgehen.

Hat die Stiftung Umweltenergierecht vor zehn Jahren mitinitiiert: Thorsten Müller.
Foto: Silvia Gralla | Hat die Stiftung Umweltenergierecht vor zehn Jahren mitinitiiert: Thorsten Müller.
Vor lauter Vorschriften verliert mancher Privatmann die Lust auf die Energiewende, Beispiel Photovoltaik.

Müller: Leider wollen wir mitunter alle Details regeln. Da wendet sich dann mancher Adressat ab. Man könnte sich auf jedem Hausdach eine Photovoltaikanlage denken. Aber wenn wir Privatleute einbinden wollen, braucht es faire und einfache Regeln. Damit müssen Privatleute umgehen können und nicht nur Unternehmen.

Es gibt also zu viel Bürokratie?

Müller: Es ist zu kompliziert. Wenn Sie heute eine Photovoltaikanlage installieren, müssen Sie Zählerkonzepte umsetzen, sich mit Steuerrecht befassen, müssen monatlich oder vierteljährlich Daten erheben – das könnte man theoretisch pauschalieren mit Standardbeträgen nach Leistung. Der Aufwand wäre deutlich geringer.

Ist es rechtlich denkbar, Privatleute bei Bau oder Sanierung zur Installation von Solaranlagen zu zwingen?

Müller: Auf alle Fälle. Wir verpflichten Privatleute ständig im deutschen und im europäischen Recht, gerade beim Bauen: Brandschutzvorschriften, Rauchmelder und so weiter. Alles Regeln, die wir verpflichtend einhalten müssen, weil sie einen bestimmten Sinn haben. Und Klimaschutz hat definitiv Sinn. Also wären solche Vorschriften machbar, wenn man sie politisch will.

Zu erlassen auch von einzelnen Kommunen?

Müller: Nur auf Umwegen, etwa wenn sie den Verkauf städtischer Grundstücke an die Errichtung von Photovoltaikanlagen knüpfen. Die Frage ist: Wer soll diese Pflicht aussprechen? Das könnte der Bund sein oder ein einzelnes Bundesland wie Bayern. In Hamburg, Berlin oder Baden-Württemberg gibt es solche Regelungen bereits. Wenn wir auf die Dimension von Klimaschutz schauen, spricht einiges für eine bundesweite Regelung.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz wurde im Januar novelliert. Bringt das einen spürbaren Fortschritt?

Müller: Nur in dem einen oder anderen Detail. Diese Novelle ist mehr ein Kontinuum als eine Weiterentwicklung. Es ging vor allem um eine Anschlussregelung für kleine Photovoltaikanlagen, deren Förderung nach 20 Jahren ausgelaufen ist. Das war mehr Vergangenheitsbewältigung als Zukunftsgestaltung.

Wieweit konkurriert Energierecht mit anderen Rechtsgütern? Sind Sie da als Stiftung gefordert?

Müller: Das ist eines unserer Hauptgebiete. Beispiel Unternehmen: Da stehen sich wirtschaftliche Interessen und staatliche Vorgaben gegenüber. Energiewende braucht Flächen – da geht es um Anwohnerinteressen. Oder der Artenschutz bei Windkraftanlagen. Überall muss ein sinnvoller Ausgleich gefunden und ins Recht überführt werden.

Sind Sie deshalb mit Ihrer Stiftung auch Mitinitiator eines Klimaforschungszentrums für Würzburg?

Müller: Da geht es um die Auswirkungen des Klimawandels und die Anpassung, weniger um die Energiewende. Aber die Phänomene sind vergleichbar: Wenn wir über Unterfrankens Wasserversorgung in trockenen Zeiten nachdenken, brauchen wir Wasserexperten, Ökonomen – und Juristen, denn am Ende braucht es ein neues Wasserrecht.

Stiftung Umweltenergierecht

Die rechtswissenschaftliche Forschungseinrichtung wurde 2011 gegründet, in der Nachfolge der früheren Forschungsstelle Umweltenergierecht an der Uni Würzburg. Stiftungsvorstand sind die Juristen Thorsten Müller und Fabian Pause. Die unabhängige und gemeinnützige Stiftung forscht selbstständig und mit wissenschaftlichen Partnern zu Rechtsfragen der Energiewende. Mit ihren Ergebnissen berät sie Regierungen in Bund und Ländern sowie die EU-Kommission. Außerdem werden Nachwuchsjuristen für das Umweltenergierecht gefördert. Derzeit sind 34 Juristen und 9 weitere Angestellte für die Stiftung tätig. Sie finanziert sich über Spenden, Zustiftungen und Fördermittel. Infos: www.stiftung-umweltenergierecht.de
Quelle: aj
 
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