Kinder besuchen, 80. Geburtstag feiern, Enkelinnen und Enkel sehen: Dafür sind Israel und Anneliese Schwierz aus Würzburg am 19. September nach Karmi’el gereist, eine Stadt im Norden Israels.
Ihr Sohn Benjamin David Schwierz, der in Würzburg aufgewachsen ist, lebt seit 2006 in Karmi‘el mit seiner Frau, einer gemeinsamen Tochter und zwei Hunden. Und auch wenn es in der Stadt mit rund 46.000 Einwohnern bislang ruhig zugeht, wie Israel Schwierz sagt, ist das Leben seit dem 7. Oktober auch dort ein anderes als zuvor.
Im Interview erzählen der pensionierte Schulleiter aus Würzburg-Lengfeld und sein Sohn, wie sie die vergangenen Tage erlebt haben.
Israel Schwierz: Meine Familie und ich sind im Norden Israels, in Karmi’el, ungefähr 40 Kilometer südlich der Grenze zum Libanon. Im Augenblick ist es hier noch ruhig, aber das könnte sich jede Sekunde ändern.
Israel Schwierz: Meine Frau und ich wohnen in Lengfeld, aber unsere drei Kinder und unsere Enkel leben in Israel. Wir sind eigentlich nur zu Besuch gekommen, um meinen 80. Geburtstag zu feiern und um unsere Enkeltochter zu sehen. Ein paar Tage nach meinem Geburtstag wollten wir wieder heim fliegen, aber das müssen wir jetzt zunächst abwarten.
Israel Schwierz: Durch unseren Sohn.
Benjamin Schwierz: Ich habe morgens beobachtet, dass sich zwei unserer Nachbarn auf der Straße vor unserem Haus unterhalten haben. Sie haben geweint und sich umarmt. Ich bin hingegangen und habe gefragt, was los ist. Da meinten sie: "Israel ist im Krieg." Erst nachdem ich den Fernseher eingeschaltet und die Nachrichten verfolgt habe, wurde mir das Ausmaß langsam bewusst. Da meine Eltern die israelischen Medien nicht verstehen können, habe ich ihnen dann alles erklärt.
Benjamin Schwierz: Im Moment ist es hier relativ sicher. Vor zwei Tagen gab es zwar einen Luftalarm, weil man dachte, Karmi’el würde vom Libanon aus angegriffen. Der stellte sich dann aber als Fehler heraus. Trotzdem saßen wir für zwei Stunden im Bunker, bis wir grünes Licht bekommen haben. In Israel muss jede Wohnung Zugang zu einem Luftschutzraum haben. Im Haus meiner Eltern liegt dieser acht Stockwerke in der Tiefe.
Benjamin Schwierz: Die Stimmung ist extrem angespannt. Die Straßen sind so gut wie leer. Karmi’el selbst ist abgeriegelt, alle Eingänge werden kontrolliert.
Israel Schwierz: Und wir hören ständig Militärflugzeuge über uns kreisen, für den Fall, dass es einen Angriff gibt.
Israel Schwierz: Ich hätte nicht geglaubt, dass ich sowas mal erlebe.
Benjamin Schwierz: Als Vater einer sieben Monate alten Tochter kann ich meine Gefühlslage kaum in Worte fassen. Keiner hat mit einer solchen Eskalation gerechnet. Fast täglich gibt es seitdem Beerdigungen in Karmi‘el. Und das, obwohl wir uns hier nicht einmal im Zentrum der Angriffe befinden. Mehrere Freunde meiner Nichte sind gestorben. Ich kenne jemanden, dessen Bruder verschleppt wurde. Man weiß nicht, ob er tot oder lebendig ist. Jeder kennt jemanden, der auf irgendeine Weise von diesem Krieg betroffen ist. Wir sind geschockt – wir weinen nicht, wir funktionieren nur. Und wir müssen für die Familie stark sein. Das ist der schlimmste Pogrom gegen Juden, der seit dem Holocaust passiert ist. Wir reden hier nicht von ein paar Raketen, sondern von einem gezielten Angriff auf die Zivilbevölkerung.
Benjamin Schwierz: Wie man jetzt gerade für die Hamas auf die Straße gehen kann, finde ich unbegreiflich. Wir beerdigen hier Kinder, und Leute demonstrieren für die Hamas. Das macht mich einfach nur sprachlos.
Israel Schwierz: Unsere Kinder können nicht einberufen werden, aber deren Kinder schon. Unser 19-jähriger Enkel Ori ist jetzt bei der Armee, und unsere 22-jährige Enkelin Ariel wartet stündlich auf ihre Einberufung.
Benjamin Schwierz: Mich hat gleich am Morgen des 7. Oktober ein Freund angerufen. Er sagte, er wurde gerade ins Militär gerufen, und bat mich, seiner Familie zu helfen. Auch mein Chef und zwei weitere Kollegen müssen dienen. Ich arbeite hier eigentlich an einem College – das wurde jetzt in eine Militärbasis umgewandelt.
Benjamin Schwierz: Wir bereiten gerade alles vor, um kurzfristig ausreisen zu können. Problematisch ist nur, dass unsere Hunde auf Krankheiten getestet werden müssen, bevor wir sie nach Deutschland einführen dürfen. Und auf ein Testergebnis wartet man etwa 30 Tage.
Israel Schwierz: Ursprünglich wären wir am 2. November wieder zurück nach Würzburg gekommen. Bisher haben wir aber noch keinen Rückflug. Wir haben uns entschieden, vorerst hier bei unseren Kindern zu bleiben. Wenn etwas passiert, dann soll es uns eben treffen.