Kurz vor Feierabend geht er nochmal los - der Piepser. So hell und durchdringlich ist der Klang, dass selbst erfahrene Rettungsassistenten wie Ernst Freier noch zusammenzucken. Dann muss alles ganz schnell gehen. Christoph 18, der an der Main-Klinik in Ochsenfurt stationierte Rettungshubschrauber, hat Einsatz. Die Crew weiß, was jetzt zu tun ist. Möglichst schnell muss der Heli in der Luft sein. Freier sitzt wie immer neben dem Piloten und achtet darauf, dass die Maschine sicher starten kann. Dann bekommt er erste Informationen über Funk: Ein sieben Jahre altes Kind ist gestürzt – was den Stresslevel bei allen noch einmal erhöht.
Rettungsflieger haben täglich mit extremen Situationen zu tun
Selbst nach mehr als 15 000 Flügen mit Christoph 18 ist Freier noch angespannt. "Weil wir nicht wissen, was uns nach der Landung erwartet", sagt er. Und bei Kindern komme zu den körperlichen Schmerzen noch dazu, dass sie Angst haben. "Für uns ist das ein zusätzlicher Stressfaktor", erklärt der 64-Jährige. Und wie geht er damit um ? "Da hilft nur, ehrlich zu sein und ganz direkt sagen, 'Ja, die Spritze tut weh', um nicht lügen zu müssen."
Freier erinnert sich noch an jedes Detail seines letzten Fluges. Und vor allem daran, dass bei der Rückkehr in Ochsenfurt kurz vor der Landung Christoph 18 die Nase ihm zu Ehren nach unten senkte. Ein Verbeugung vor dem Mann, der seit der ersten Stunde zur Besatzung gehört. Am 31. Juli 1980 hob der Rettungshubschrauber zum ersten Mal von der Luftrettungsstation in Ochsenfurt ab. Bis Mai dieses Jahres flog der ADAC-Hubschrauber zu mehr als 60 000 Einsätzen im Umkreis von 50 Kilometern. Gut 2000 Flugstunden war Freier mit an Bord. "Das ist mehr als ein Bundeswehrpilot", sagt er. Die würden nicht so oft fliegen, vielleicht zwischen 60 und 80 Stunden im Jahr, weiß er. Und wohin ging eigentlich sein erster Flug? Freier erinnert sich nicht mehr.
Denn in 41 Jahren war er tagtäglich Extremsituationen ausgesetzt. Mehr als die Hälfte der Patienten hatten Polytraumen, also Verletzungen, die gleichzeitig mehrere Körperregionen oder Organsysteme betreffen, die er zusammen mit einem Notarzt versorgen musste. Und dabei bleibt er nach außen hin absolut ruhig, auch wenn er innerlich unter Strom steht, wie er sagt. "Ich verfalle nicht in Hektik, das ist vielleicht mein Naturell. Wenn ich selber noch hektisch bin, dann überträgt sich das auf andere." Viele Notärzte wüssten das sehr zu schätzen. "Wenn der Ernst dabei ist, wird alles gut." Solch ein Lob bekomme er dann schon einmal zu hören. Hat er in all der Hektik noch nie einen Fehler gemacht? "Aus Versehen mal ein EKG-Kabel durchgeschnitten, ja!" Aber das haben viele schon.
Wie Rettungsflieger Ernst Freier schwere Einsätze verabeitet
Dass er mal im Rettungsdienst arbeiten würde, war eigentlich gar nicht sein Plan gewesen. Als gelernter Facharbeiter für Maschinenbau hatte er sich bei den Maltesern in Würzburg beworben, weil er das Geld brauchte, was er auch deutlich in seinem Bewerbungsschreiben anmerkte. Für ein halbes Jahr wollte er bleiben, es wurden 41 mit Christoph 18 - ein weiteres Jahr im bodengebundenen Rettungsdienst wird noch folgen, bis Freier nächstes Jahr in Rente gehen will.
Täglich extreme Situationen. Täglich Menschen, die lebensgefährlich verletzt sind. Täglich den Tod vor Augen. Nagt das nicht an einem? Wie kann er so etwas aushalten? "Da hilft, dass unsere Einsätze zeitlich begrenzt sind", sagt er und zählt den Ablauf auf, wie er ihn schon mehrere tausend Male erlebt hat: "Der Piepser geht, wir fliegen hin, versorgen die oder den Patienten und dann fliegen wir wieder weg oder ins Krankenhaus. Aber ich muss mir keine Gedanken mehr machen, weil dann andere übernehmen."
Eine Woche Pause nach einem Hubschrauberabsturz
Was sich ziemlich abgebrüht anhört, kann für die Rettungsflieger auch eine Art Strategie sein, mit schweren Situationen umzugehen. Kalt lassen sie die Ereignisse dennoch nicht. "Wir sprechen danach darüber. So können wir das aufarbeiten. Wir sind eine kleine Familie", sagt Ernst Freier und weiß, dass diese Gespräche viel wert sind. "Sonst geht es an die Psyche." Das ist es auch, was er seinen Kolleginnen und Kollegen rät: darüber zu sprechen. Immer wieder. Gerade auch jetzt nach dem Messerangriff in Würzburg weiß er, dass reden wichtig ist. Auch, wenn er bei diesem Einsatz nur im Hintergrund für logistische Dinge verantwortlich war, habe er mitbekommen, wie belastend das für alle war. "Wem es richtig nahe geht, der soll sich nicht scheuen, externe Hilfe anzunehmen", sagt er.
Und dann gibt es aber auch schöne Momente. Szenen, die sich einprägen, weil sie so selten sind. Freier erinnert sich an einen Motorradfahrer, der gegen einen Baum gefahren und schwer verletzt war. "Der war eigentlich tot", erzählt er. "Wir hatten ihn zwei Stunden reanimiert und konnten ihn dann doch noch zurückholen." Zwei Jahre später fuhr der Mann dann in Ochsenfurt bei den Rettungsfliegern mit dem Motorrad vor. Als Dankeschön für die Lebensretter brachte er einen Kuchen mit. "Das machen nicht viele", sagt Freier und erinnert sich an diesen rührenden Moment besonders.
Und noch etwas wird er nicht vergessen: "Das Härteste" was Freier bisher erlebt hat - einen Hubschrauberabsturz. 1985, der Heckrotor blieb an einen Brückenpfleiler hängen, die Maschine stürzte ab. Zum Glück blieben alle Besatzungsmitglieder unverletzt. Eine Woche ist Ernst Freier nicht geflogen. Dann hat es ihn wieder gepackt.
Vielen Dank für ihren Einsatz für die Allgemeinheit.
Einen genehmen Ruhstand mit viel Zeit.
Ich weiss es nicht, habe keine Antwort!
Es wird etwas geben, das einer höheren Macht dienen muss.
Ein Danke scheint mir zuwenig, ist aber das Einzige, was ich unbekannterweise übermitteln darf. D A N K E für diese Lebensleistung! Chapeau!