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Erlabrunn-Prozess: Angeklagter gibt auf
Überraschendes Ende: Der Fahrer eines Streu-Traktors zieht die Berufung zurück und akzeptiert die Gefängnisstrafe aus erster Instanz. Viele Fragen bleiben unbeantwortet.
Überraschend nahm der Angeklagte im Erlabrunn-Prozess seine Berufung zurück und akzeptiert das Urteil von 22 Monaten Haftstrafe aus erster Instanz.
Foto: Daniel Peter | Überraschend nahm der Angeklagte im Erlabrunn-Prozess seine Berufung zurück und akzeptiert das Urteil von 22 Monaten Haftstrafe aus erster Instanz.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:41 Uhr

Am siebten Verhandlungstag vor dem Landgericht Würzburg zog der Angeklagte im Erlabrunn-Prozess die letzte Notbremse: Er nahm völlig überraschend seine Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts zurück und akzeptiert eine Gefängnisstrafe von 22 Monaten wegen fahrlässiger Tötung und Unfallflucht. Die hatte er vor einem Jahr vom Amtsgericht Würzburg dafür erhalten, dass er am 5. Januar 2016 mit dem Streutraktor der Gemeinde die Fußgängerin Gisela K. in Erlabrunn versehentlich überfahren hatte.

Nach drei Jahren mürbe

Es ist das überraschende Ende in einem spektakulären Prozess, der nahezu täglich eine andere Wendung genommen hatte: Am Donnerstagvormittag war gegen den 58-jährigen Angeklagten zunächst ein Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr erlassen worden. Ein von ihm engagierter Gutachter hatte versucht, ihn zu schützen. Überdies fiel der Bericht des leitenden Ermittlers  Andreas Scheckenbach vernichtend klar gegen ihn aus – wie bereits im ersten Prozess.

Danach appellierte Anwalt Peter Auffermann, Vertreter der Familie der Getöteten, noch einmal an Günther K., die Angehörigen der Getöteten nicht weiter mit der Ungewissheit zu belasten, ehe ein Urteil falle. "Machen Sie endlich reinen Tisch." Die Vorsitzende Susanne Krischker griff das auf und machte deutlich, dass in diesem Verfahren eine Bewährungsstrafe nicht mehr in Frage komme.

Berufung zurückgenommen

Diesmal hörte der Angeklagte auf sie, nachdem drei ähnliche Appelle zuvor ungehört verhallt waren. Nach kurzer Beratung nahm Verteidiger Martin Reitmaier namens seines Mandanten die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts vom vorigen November zurück. Das hätte nicht ausgereicht, nachdem auch die Staatsanwaltschaft in Berufung gegangen war. Dann stimmte aber auch die Staatsanwaltschaft dieser Lösung zu, wie Leitender Oberstaatsanwalt Burkhard Pöpperl sagte.

Zur Begründung der Entscheidung erklärte er: Die Staatsanwaltschaft messe der Schonung der durch das Verfahren bereits erheblich belasteten Angehörigen von Gisela K. höhere Bedeutung zu als der Klärung letzter Fragen über die dubiosen Vorgänge nach dem Unfall. Wer sich wie an der Vertuschung des Unfalls und der mutmaßlichen Fahrerflucht beteiligt hatte, bliebt damit ungeklärt. Die Nebenkläger (der Ehemann und die zwei Söhne der Getöteten) und ihre Anwälte hatten keine rechtliche Möglichkeit, dieses Ende des Prozesses zu beeinflussen.

"Eigentlich gibt es nur Verlierer"

Sie waren mit dieser Entwicklung erkennbar unzufrieden. In ihren Schlussworten sagte Richterin Susanne Krischker, dass sie noch kein Verfahren abgeschlossen habe, in dem am Ende so ein beklemmendes Gefühl zurückbleibe. "Eigentlich gibt es nur Verlierer." Die Vorsitzende habe damit den Ausgang des Verfahrens treffend beschrieben, pflichtete Verteidiger Reitmaier bei. 

Der ehemalige Gemeindearbeiter hatte vor einer Woche überraschend gestanden, die Frau unbemerkt mit dem Traktor überrollt zu haben und die Angehörigen um Verzeihung gebeten. An diesem Mittwoch hatte er zur Verwunderung des Gerichts dieses Geständnis dann wieder verwässert.

Am Donnerstagvormittag hatte das Gericht dann den Angeklagten zunächst in Haft genommen, dieser Haftbefehl wurde am Abend nach der Einigung wieder aufgehoben. Der Staatsanwältin war der Kragen geplatzt, nachdem ein Gutachter im Zeugenstand erkennbar versucht hatte, den Angeklagten zu schützen. Der von Günther K. beauftragte und bezahlte Gutachter hatte vor einem Jahr geschrieben: Es gäbe auch andere Möglichkeiten für das Unfallgeschehen als ein Überrollen durch den Traktor.

Ein Jahr später ging er jetzt mündlich als Zeuge zur Entlastung noch weiter: Nun habe er "erhebliche Zweifel" daran, dass es der Traktor gewesen sei. Nachfragen ergaben, dass dem Zeugen für die Beurteilung die Kompetenz eines Rechtsmediziners fehlte, er ist Kfz-Sachverständiger.

Auf Nachfrage gab er zu: Ein Freund des Angeklagten (Kfz-Sachverständiger) stellte den Kontakt her, war am Gutachten beteiligt und hielt den Gutachter über den Prozess auf dem Laufenden, wie hartnäckige Nachfragen der Staatsanwältin und Nebenklage-Anwalt Hanjo Schrepfer ergaben.

Der Schwager des Angeklagten, der vor Gericht die Aussage verweigert hatte, steuerte bei den Tests den Traktor, sagte der Gutachter. "Wären wir die Verteidiger, hätten wir diesen Gutachter wegen Befangenheit abgelehnt", sagte hinterher Anwalt Peter Auffermann kopfschüttelnd. 

Wurde der Gutachter der Verteidigung beeinflusst?

Es bestand der Verdacht auf Beeinflussung des Gutachters als Zeuge durch den Angeklagten und damit die Fortsetzung der Vertuschung. Daher kam der Antrag auf Festnahme des in Freiheit befindlichen Angeklagten wegen Verdunkelungsgefahr. Vergeblich widersprach Verteidiger Martin Reitmaier, bei der Beauftragung handle es sich um einen ganz normalen Vorgang.

Die Vorsitzende schloss die Öffentlichkeit aus, um den Haftbefehl zu verkünden. "Wir haben Haftbefehl wegen Verdunklungsgefahr erlassen", sagte sie dann. Die Familie des Angeklagten war wie von Donner gerührt. Eine junge Frau begann zu weinen.

Am Nachmittag dann die überraschende Wende: Im Gerichtssaal herrschte zunächst Ratlosigkeit über dieses abrupte Ende des Verfahrens. "Es bleiben nur offene Fragen und viele Wunden", sagte eine Prozessbeobachter aus Erlabrunn. Am Ende gab Rechtsanwalt Auffermann dem Angeklagten mit: Er hoffe, dass der Verurteilte irgendwann die Charakterstärke aufbringe und den Hinterbliebenen die ganze Wahrheit offenbare. Sein Kollege Norman Jacob jr. fügte hinzu: Er hoffe, dass nun diejenigen in Erlabrunn, "die aus der Familie des Opfers böswillig Täter zu machen versuchten", kapiert hätten, wie schief sie lagen. "Da wäre eigentlich manche Entschuldigung bei der Familie von Gisela K. fällig."

 
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  • Undine
    Das ganze "Theater" des Angeklagten und seiner Familie erinnert teilw. an den Fall der Friederike von Möhlmann in Celle vor über 30 Jahren, deren später aufgrund von DNA-Spuren identifizierte Mörder Ismet H. tatsächlich im Nachhinein vom Bundesgerichtshof freigesprochen wurde aufgrund eines "Gegengutachtens". Trotz erdrückender Beweise urteilten diese Richter "im Zweifel für den Angeklagten" da der "neue" Gutachter "Zweifel" aufgrund der Reifenspuren hatte (trotz vieler eindeutiger Indizien). Es könne sich auch um ein anderes Fahrzeug gehandelt haben. Jetzt, nachdem die Schuld des überführten Mörders aufgrund von DNA-Spuren eindeutig erwiesen ist, kann er nicht mehr ein 2. Mal für die gleiche Tat vor Gericht gestellt werden. Der Gutachter gab danach zu, dass er sich wohl "geirrt haben müsse.
    Auch wenn es in Erlabrunn zum Glück kein Mordprozess war, vermute ich, dass der "Verurteilte" und seine Familie auf einen ähnlichen Ausgang hinwirken wollten.
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  • Barbara
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  • felix52
    Ich hoffe nun, dass die ganzen Vertuscher, "Kumpels" und sonstige Lügenbeudel nicht noch die Oberhand behalten nach dem Motto: "Wir haben nichts falsch gemacht, uns ist ja nichts passiert"! Ich kann mir nicht vorstellen, dass in dem Dorf jetzt Ruhe einkehrt und dass die Angehörigen der Toten nun Genugtuung haben. Hohes Gericht dieser Ausgang des Verfahren könnte manchen nun verleiten, "....hab ich was angestellt, lass ich erstmal meine Kumpels aufmarschieren, vielleichts klappts, denn passieren tut ihnen ja eh nichts, wenn ich später doch alles zugebe....!"
    Unglaublich!
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  • johannes-fasel@t-online.de
    Auch die "Entschuldigung" bei den Angehörigen des Unfallopfers war offensichtlich nur ein taktisches Manöver. Wie erbärmlich ist das denn? Wie schaffen es solche Leute in den Spiegel zu schauen?
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  • Laeufer61
    Es gibt halt...

    ...auch blinde Spiegel, leider.

    MfG
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  • katja.hopf.handy@gmx.de
    Da muss ich einfach den Kopf schütteln. Dass der Angeklagte die Tat nun zugibt, finde ich ok, aber er hat trotzdem von Anfang an versucht hat, seine "Unschuld" zu beweisen, finde ich unakzeptabel. Dass aber der Staatsanwalt damit zufrieden ist, finde ich nicht in Ordnung. Ich hätte ein höheres Strafmaß als das bisherige gefordert und die exakte Aufklärung des Unfalles. Ebenso auch alle Zeugen mit dessen Falschaussagen konfrontiert bzw. eine Anzeige gestellt. Somit würde es jedem klar gemacht, dass man so nicht mit dem Gericht umgeht und eine Lüge immer aufgedeckt wird. In diesem Fall finde ich das Verhalten des Staatsanwalts nicht in Ordnung!
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  • reutjo
    Alles in Allem ….. abwägend !

    der OSta, Herr Burkard Pöpperl, hat eine weise Entscheidung getroffen. Gesegnete Weihnachten !!!
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  • Barbara
    zu "Erlabrunn ist allgegenwärtig" muss ich schreiben, dass dies nur teilweise zu trifft, verlgeicht man diesen Fall mit einer Großstadt wo keiner den anderen kennt, ist das eine völlig andere Perspektive. Aber in einem Dorf dieser Größenordnung ist das mehr als erbärmlich.
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  • stefan.behringer@web.de
    Was ist das für ein Staatsanwalt?

    Der hätte doch mit den Angehörigen reden müssen, bevor er einem Prozessende zustimmt.
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  • Arcus
    Wir haben einen Hinweis zu Ihrem Kommentar: Da wir den Namen des Angeklagten nicht online veröffentlicht haben, können wir Ihren Kommentar leider nicht freigeben, da er Rückschlüsse auf den vollständigen Namen erlaubt.
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  • Mainung
    Kann mir jemand die Verteidigungsstragie der Verteidigung erklären? Die Kanzlei ist auf Strafrecht spezialisiert, wirkt aber eher nach dem Gegenteil.
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  • johannes-fasel@t-online.de
    Anwälte arbeiten zwar oft vergeblich, aber nie umsonst...
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  • 6ak5w
    Einerseits ist es gut, dass das Drama endlich ein Ende hat. Andererseits jedoch ist es unerträglich, dass damit all die "Lüchebeudel" um ihn herum so glimpflich davon kommen. Sicherlich hat nur er letztlich alles zu verantworten. Aber er konnte sein Taktieren nur durchhalten in einem Umfeld, das ihn in falsch verstandener Kameraderie bestärkte. Feuerwehrkommandant, Feldgeschworener, Bauhofleiter und Gemeinderat in einer Person haben in einem Dorf schon fast Unfehlbarkeitscharakter. In diesem Umfeld hätte man sich gewünscht, dass man von Beginn an auf ihn eingewirkt hätte, zu einem womöglich tragischen Unfallgeschehen zu stehen. Von Familienangehörigen, Verwandten und anderen Nahestehenden ist Derartiges eher nicht zu erwarten. Er hat nicht nur unsägliches Leid über eine Familie gebracht, sondern ein bis dato bestens funktionierendes Gemeinwesen zutiefst erschüttert. Wer wohl unser Dorflied "Eingehüllt in lauter Reben..." jetzt noch freudig singen kann? Daran zweifle ich. Sehr schade.
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  • fabian-koenig@t-online.de
    Die Begründung der Staatsanwaltschaft für ihre Zurücknahme der Berufung verwundert doch schon sehr. Es heißt, sie messe der Schonung der Angehörigen mehr Bedeutung zu als der Klärung letzter Fragen. Wenn man die Prozessberichterstattung aufmerksam verfolgt hat und die Reaktion der Angehörigen auf die Entscheidung der Staatsanwaltschaft betrachtet, sind aber gerade diese letzten ungeklärten Fragen das, was sie so quälen. Die Angehörigen scheinen eine lückenlose Aufklärung sowohl der Tat selbst als auch des Nachtatgeschehens zu wollen - verständlicherweise. Es wäre von Seiten der Staatsanwaltschaft ratsam gewesen, zumindest inoffiziell mit den Angehörigen in Kontakt zu treten, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, unter was die Angehörigen mehr leiden würden - unter einem weiteren Prozessverlauf oder unter der Gewissheit, wohl nie die ganze Wahrheit über den Tod ihrer Frau, Mutter und Großmutter zu erfahren. Angesichts der Reaktionen der Familie scheint die Antwort klar zu sein.
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  • felix52
    Erlabrunn ist überall und allgegenwärtig!
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  • rhönfuchs
    Es gibt nur Verlierer, heißt es. Aber das Gewissen schläft nicht, schon gar nicht nachts. Ich denke, dass hier einige aktiv mitgeholfen haben, um einen 'Freundschaftsdienst' zu leisten. Aber aus dieser Nummer kommt man halt nicht mehr raus. Deshalb nimmt der Hauptverdächtige das erste Urteil an, um weitere zu schonen. Aber das Gewissen schläft nicht......
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  • winni31
    Was müssen manche Zeugen (Erinnerungslücken) für miese Typen sein. Können die überhaupt noch der Familie des Opfers gegenüber treten?
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  • flyarcus@gmx.de
    Dreistigkeit siegt, wie so oft! Einfach mal lügen dass sich die Balken biegen und ungestraft davon kommen.......was für eine Theater!
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  • 2ostsee
    Gibt es nicht den Straftatbestand uneidlicher Falschaussage ? Da wären wohl einige fällig.
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  • Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt.
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