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Giebelstadt
Erinnerung an jüdische Mitbürger: Wie Künstler Demnig in Giebelstadt die Gedanken stolpern lässt
Mit der Nazi-Herrschaft endeten Jahrhunderte jüdischen Lebens in Giebelstadt und Allersheim. Zehn Stolpersteine erinnern nun an die Opfer der Diktatur.
Unterstützt von Bauhofmitarbeiter Klaus Gransitzki brachte Gunter Demnig drei Stolpersteine vor dem Haus in der Kirchgasse in den Straßenbelag ein, das einst von der jüdischen Familie Baumann bewohnt war.
Foto: Johannes Kiefer | Unterstützt von Bauhofmitarbeiter Klaus Gransitzki brachte Gunter Demnig drei Stolpersteine vor dem Haus in der Kirchgasse in den Straßenbelag ein, das einst von der jüdischen Familie Baumann bewohnt war.
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 07.04.2022 02:22 Uhr

Mit seinen Stolpersteinen will der Kölner Künstler Gunter Demnig den Opfern der Nazi-Diktatur ihre Namen zurückgeben und die Erinnerung an sie in der Öffentlichkeit sichtbar machen. In den Straßenbelag eingelassen, tragen sie Namen und Lebensdaten der Personen, denen sie gewidmet sind. Der Künstler selbst hat sie in die Messingplatten der Stolpersteine eingeschlagen, die nach Demnigs Worten kein Stolpern im eigentlichen Sinn, sondern ein Stolpern und Innehalten in Gedanken bewirken sollen.

Seit 1992 hat Demnig Abertausende solcher Stolpersteine verlegt, 648 davon in Würzburg. Zehn Stolpersteine erinnern nun auch in Giebelstadt und Allersheim an ehemalige jüdische Mitbürger, die während der Nazi-Diktatur aus ihrer Heimat vertrieben, in Konzentrationslager gesperrt oder ermordet wurden. In einer berührenden Aktion hat sie Gunter Demnig, unterstützt von Bauhofmitarbeiter Klaus Gransitzki, verlegt. Roland Mark und Heinz Gaßner, ehrenamtliche Mitarbeiter des Gemeindearchivs, und Jonas Blum vom Freilandmuseum Bad Windsheim hatten die Lebensumstände der Menschen recherchiert, deren Andenken damit bewahrt bleibt.

Drei Stolpersteine vor dem Anwesen Mergentheimer Straße 22 erinnern an die Geschwister Selma, Max und Leopold Pollak, die dort gelebt hatten. Ihr Vater, der Getreidehändler Ludwig Pollack, hatte 1884 die Giebelstadterin Mina Fischer geheiratet und war hierher gezogen, trägt Roland Mark vor. Selma, die älteste der drei Geschwister lebte vermutlich seit 1939 bei ihrem Bruder Leopold und dessen Frau Berta in Würzburg. Am. 27. November 1941 wurde sie nach Riga (Lettland) deportiert und in das SS-Behelfslager Jungfernhof gebracht, wo man sie vermutlich in den folgenden Wochen ermordete.

Nach Lettland deportiert und ermordet

Ihr Bruder Max verdiente sein Geld als Tabakwarenhändler und zog bereits 1936 mit seiner Frau Klara und den Kindern Günther, Manfred und Margot nach Würzburg, wo der Familie in der Domstraße bereits mit Stolpersteinen gedacht wird. Max Pollack emigrierte 1938 mit Unterstützung des Hilfsvereins der Juden in Deutschland nach New York. Sein Versuch, die Familie bald nachzuholen, scheiterte. Klara Pollak wurde gemeinsam mit ihren Kindern und Schwägerin Selma nach Riga verschleppt und dort ermordet.

Am 25. November 1941 hatte Leopold Pollack, der jüngste der Geschwister, seine Ehefrau Berta Gerstl geheiratet. Kurz nach dem Novemberpogrom 1938 war er nach Würzburg gezogen. Am 23. September 1943 wurde das Ehepaar ins Konzentrationslager Theresienstadt abtransportiert, wo ihre Tochter Dora zur Welt kam. Die Familie überlebte das KZ und kam nach dem Krieg nach Würzburg zurück. Dort starb Berta Pollak 1950. 1952 schickte Leopold Pollack seine neunjährige Tochter nach Israel, wo sie heute noch lebt. Er starb 1973 in Würzburg.

Mit der Ermordung von Heinrich und Jenny Baumann durch die Nazis endeten Jahrhunderte jüdischen Lebens in Allersheim.
Foto: Johannes Kiefer | Mit der Ermordung von Heinrich und Jenny Baumann durch die Nazis endeten Jahrhunderte jüdischen Lebens in Allersheim.

In der unteren Kirchgasse stand das Haus von Leo und Hedwig Baumann; Heinz Gaßner hat ihre Lebensgeschichte recherchiert. Leo Baumann stammte aus Adelsberg bei Gemünden und heiratete 1932 in der hiesigen Synagoge die Giebelstadterin Hedwig Heinemann. Es war das letzte große jüdische Fest im Ort. In der Kirchgasse hatte Leo Baumann den Stoffhandel seines Schwiegervaters Markus Heinemann übernommen. Nach Hitlers Machtergreifung und dem Verbot, bei Juden einzukaufen, verarmte die Familie. 1934 kam Sohn Berthold zur Welt. Beim Novemberpogrom 1938 schändete die Meute nicht nur die Giebelstadter Synagoge, sondern auch das Anwesen der Baumanns.

Unter dem zynischen Begriff "Umsiedlung in den Osten" wurden die letzten fünf jüdischen Mitbürger Giebelstadts im März 1942 verschleppt. Zusammen mit Betty und Rudolf Schmidt aus der Mergentheimer Straße 22 brachte man auch die Familie Baumann zum Bahnhof nach Kitzingen und von dort in Güterwaggons ins Durchgangslager Izbica in Ostpolen. Nicht lange nach der Ankunft wurde die Familie in einem der dortigen Vernichtungslager ermordet.

Das Haus wurde zwangsverkauft

Mit dem Judenfriedhof in Allersheim ist die Geschichte von Heinrich Baumann, seiner Frau Jenny und den beiden Töchtern Amalia und Stephanie verbunden. Nach dem Tod seines Vaters 1920 übernahm Heinrich Baumann die Stelle als Aufseher des jüdischen Friedhofs. Nachdem die jüdische Gemeinde Jahre zuvor aufgelöst worden war, waren die Baumanns die einzige jüdische Familie am Ort und betrieb dort einen kleinen Laden mit Textilien und Schreibwaren. 1939 wurde ihr Haus zwangsverkauft, sie erhielten zunächst ein Bleiberecht. Auch von ihren Nachbarn wurden die Juden gemieden.

Amalie war die Flucht in die Schweiz gelungen, Stephanie konnte mit Unterstützung von Verwandten  in Großbritannien Zuflucht finden. Beiden war es gelungen, Ausreisevisa für ihre Eltern zu organisieren. Die Auswanderungspläne scheiterten, nachdem Heinrich und Jenny Baumann 1942 nach Izbica deportiert und dort ermordet wurden.

Weitere Stolpersteine sollen folgen

Viele Allersheimer nahmen Anteil an der Verlegung der Stolpersteine nahe der ehemaligen Synagoge, die inzwischen im Freilandmuseum Bad Windsheim wieder aufgebaut wird. Zweiter Bürgermeister Hermann Eitel verlas die Recherchen von Jonas Blum, dem es gelungen war, Kontakt mit den Kindern von Stephanie Baumann in den USA herzustellen. Per Video konnten sie zumindest indirekt an der Verlegung der Stolpersteine teilhaben.

Den Anstoß für die Beschäftigung mit dem jüdischen Leben in Giebelstadt und dessen Ende während der Nazi-Herrschaft hatte die Arbeit an der Gemeindechronik zum 1250. Ortsjubiläum gegeben, berichtet Annette Barreca, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Gemeinde. Sie ist noch nicht abgeschlossen, so Barreca weiter. Im kommenden Jahr sollen weitere Stolpersteine zum sichtbaren Zeichen des Andenkens werden.

 
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  • E. B.
    Korrektur: Sie wurden nicht mit Güterwaggons befördert, sondern Personenwaggons, wie leicht auf den Fotos zu sehen ist.
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