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Würzburg
In Würzburg liegen bayernweit die meisten Stolpersteine
Am 2. Dezember hat sich die Deportation der ersten Würzburger Juden nach Riga zum 80. Mal gejährt. Am Donnerstag sind 22 neue Stolpersteine verlegt worden, woran auch Nachkommen teilnahmen.
Stolpersteinverlegung:
Am Donnerstag wurden zum 30. Mal in Würzburg Stolpersteine verlegt. An der Verlegung in der Stephanstraße nahmen auch Verwandte aus Israel und Frankreich teil.
Foto: Thomas Obermeier | Stolpersteinverlegung: Am Donnerstag wurden zum 30. Mal in Würzburg Stolpersteine verlegt. An der Verlegung in der Stephanstraße nahmen auch Verwandte aus Israel und Frankreich teil.
Vanessa Michaeli
 |  aktualisiert: 07.12.2021 02:23 Uhr

Mit Fingerspitzengefühl klopft der Bauarbeiter zwei goldene Steine fest, nebenbei läuft ein jiddisches Lied. Anschließend füllt er die Seiten so lange mit Mörtel auf, bis die Steine mit dem Pflaster drumherum verschmelzen. Er reinigt sein Werk, tritt zur Seite und lässt den Blick frei auf die Erinnerung an das Ehepaar Jettchen und Benjamin Oberndörfer.

Die goldenen Steine sind zwei von insgesamt 22 Stolpersteinen, die neu in Würzburg verlegt wurden. Bereits zum 30. Mal hat der Arbeitskreis Stolpersteine eine solche Verlegung organisiert. Mit nunmehr 648 Steinen liegen in Würzburg derzeit so viele Stolpersteine wie in keiner anderen bayerischen Stadt.

Da die Stadt München sich jahrelang geweigert habe, Stolpersteine zu verlegen, hätten viele andere Städte in Bayern ebenfalls damit gezögert, berichtet Benita Stolz, Leiterin des Arbeitskreises Stolpersteine. Würzburg sei daher früh dran gewesen. In München dürfen Stolpersteine bis heute nur auf privatem Grund verlegt werden.

Nachkommen sind nach Würzburg gereist

Das Schicksal des Ehepaars Oberndörfer steht exemplarisch für unzählige weitere. Und doch ist die Verlegung ihrer Steine an diesem regnerischen Donnerstag etwas Besonderes: Enkel und Urenkel der Beiden sind aus Israel und Frankreich angereist, weitere Verwandte sind von dort und aus den USA per Zoom zugeschaltet.

"Wir haben es geschafft – trotz der Nazis", sagt Laurent Chouraqui auf Englisch. Der Urenkel der Oberndörfer ist heute mit seinem Bruder Jerome und seiner Mutter Francoise Avram nach Würzburg gekommen. Auch Francoise Cousine Miriam Rubin, ebenfalls Enkelin der Oberndörfers, ist mit ihren beiden Töchtern Ayetet und Kinneret hergereist.

Nachdem die beiden Stolpersteine für Jettchen und Benjamin Oberndörfer verlegt sind, stellen die Nachkommen alte Fotos auf und legen weiße Rosen nieder. Arm in Arm stehen sie um die Steine herum, einige weinen, sie geben sich gegenseitig Halt, sind traurig und dankbar zugleich. "Die Stolpersteine zeigen, dass auch heute noch Wunder geschehen", sagt Miriam Rubin. Sie danke allen, die diese Verlegung ermöglicht haben. Und Laurent Chouraqui fügt hinzu: "Die zwei Steine schließen eine Lücke."

Im Konzentrationslager getötet

Die Geschichte der Oberndörfers erzählt Chouraqui gemeinsam mit Nicole Lenner – seiner Seelenverwandten, wie er sie nennt. Die beiden haben sich vor fünf Jahren auf einem Seminar in Oxford kennengelernt. Lenner hatte damals das Gefühl, die gesamtdeutsche Last der Vergangenheit auf ihren Schultern zu tragen. Und Chouraqui wollte den Spuren seiner Ahnen nach Deutschland folgen. Die gemeinsame Suche sei für beide heilsam gewesen, sagen sie.

Besondere Erinnerung: Verwandte der Oberndörfer halten weiße Rosen und alte Fotos in den Händen.
Foto: Thomas Obermeier | Besondere Erinnerung: Verwandte der Oberndörfer halten weiße Rosen und alte Fotos in den Händen.

Benjamin Oberndörfer wurde 1879 in Creglingen geboren, Jettchen ein Jahr später in Theilheim. 1905 heirateten die beiden, 1929 kauften sie ein Haus in Würzburg und eröffneten dort ein Kleidergeschäft. Vor diesem Haus, in der Stephanstraße 7, liegen nun die beiden Stolpersteine. Am 23. September 1942 wurde das Ehepaar ins KZ Theresienstadt deportiert, wo Benjamin Oberndörfer am 15. Februar 1943 ermordet wurde. Jettchen wurde im Mai 1944 mit ihrer Schwester Bertha ins KZ Auschwitz verlegt und an einem unbekannten Datum dort getötet.

Benita Stolz vom Arbeitskreis Stolpersteine sagt, die Steine seien "konkretisierte Geschichte". Es sei kaum zu glauben, was solch ein kleines Quadrat an Versöhnung schaffe. "Für die Nachkommen ist es so ergreifend, dass wir an ihre Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern denken."

Der erste Transport in den Osten

Eine weitere Verlegung, auf die der Arbeitskreis vorab explizit hingewiesen hatte, war die der Familie Pollak. Die fünf Stolpersteine für die Eltern Max und Klara Pollak sowie ihre drei Kinder Karl-Günther, Manfred und Margot liegen in der Domstraße 38, direkt vor dem Eingang des Schuhgeschäfts. "Das besonders Tragische ist, dass Max Pollak seine Familie nicht nachholen konnte", erzählt Stolz. Er selbst ist 1938 über Antwerpen nach New York geflüchtet. Doch die Versuche, seine Familie ebenfalls dorthin zu bringen, scheiterten allesamt.

Die fünf Stolpersteine für die Eltern Max und Klara Pollak sowie ihre drei Kinder Karl-Günther, Manfred und Margot liegen in der Domstraße 38.
Foto: Thomas Obermeier | Die fünf Stolpersteine für die Eltern Max und Klara Pollak sowie ihre drei Kinder Karl-Günther, Manfred und Margot liegen in der Domstraße 38.

Klara Pollak und ihre drei Kinder müssen am 27. November 1941 in einen Zug steigen. Sie gehören zur Gruppe der zumeist jüngeren und arbeitsfähigen Würzburger Juden, die mit dem ersten Transport in den Osten verschleppt werden. Am 2. Dezember 1941 kommen sie am Jungfernhof in Riga an. Ihre Spur verliert sich in Lettland. Ob sie im harten Winter erfroren oder verhungert sind oder bei den Massenerschießungen im Wald von Bikernieki erschossen wurden, ist nicht genau belegt. Klaras Bruder Leopold, seine Frau Berta und ihre Tochter Dora überlebten die Shoa. Die 1943 geborene Dora lebt heute mit ihrer Tochter in Israel.

 
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  • rasputin32
    Durch 648 Stolpersteine wird die Erinnerung an Jüdische Mitbürger dauerhaft erhalten.
    Wäre es für die jetzige und zukünftige Generationen nicht auch interessant zu erfahren, wie und zu welchem Preis diese jüdischen Immobilien an die heutigen Besitzer gelangt sind?
    Man hat in den letzten 10 Jahren weder Aufwand und Kosten gescheut, um aus 1500 Kunstwerken des Sammlers Gurlitt 14 Werke als Raubkunst zuzuodnen.
    Über Grundbucheinträge und Verträge müsste das bei Immobilien viel leichter möglich sein.
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  • Oreus
    Was mich viel mehr stört, ist diese absolut nicht vorhandene Sensibilität des Bauamts der Stadt Würzburg:
    Im Bereich Benediktstraße/Konradstraße wurden vor einigen Jahren Bauarbeiten durchgeführt, denen jede Menge dieser Stolpersteine ersatzlos zum Opfer gefallen sind.
    Die hat man einfach mit der Teer-Decke entsorgt.
    Das fand ich unglaublich geschmacklos! Es muss einem doch eigentlich klar sein: Diese Menschen, die auf diesen Solpersteinen verewigt sind, wurden vom damaligen Deutschland ermordet. Die haben nirgendwo ein Grab, oder gar einen Grabstein!
    Das Einzige, was es jetzt noch gibt, sind diese Stolpersteine, die an diese Menschen erinnern. Doch das Bauamt entsorgt die als Bauschutt...
    Das hat mich mehr, als sehr erschüttert...
    Sensibilität gegenüber diesem Thema ist der Stadt Würzburg leider absolut nicht gegeben!
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  • 2ostsee
    Bei den vielen Baustellen in Würzburg muss da wohl sehr darauf geachtet werden, hoffentlich sind da nicht noch mehr "verschwunden".
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  • fabian-koenig@t-online.de
    Ich bin froh, dass die Stolpersteine verlegt wurden. Es ist sehr schön, dass wir in Würzburg bereits so viele haben. Ich finde, es muss damit so lange weitergemacht werden, bis auch für das letzte Opfer der Würzburger Juden ein Stolperstein verlegt ist.
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  • fabian-koenig@t-online.de
    Sie scheinen mich absichtlich missverstehen zu wollen. Selbstverständlich ist der Anlass für die Notwendigkeit der Verlegung von Stolpersteinen nicht schön, sondern furchtbar. Aber es ist schön, dass man mit den Stolpersteinen den Opfern der Shoa gedenkt und den heute in Deutschland lebenden Menschen gleichsam „auf Schritt und Tritt“ zeigt, dass Menschen mitten aus ihrem Leben gerissen und ermordet wurden. Es ist schön, dass es genug Menschen gibt, die eben keinen unsäglichen Schlussstrich ziehen wollen (denn die Ermordeten sind immer noch tot, und ihre Kinder u Enkel wurden und werden nie geboren) sondern immer und immer wieder mahnen, dass sich dieses schreckliche Menschheitsverbrechen niemals wiederholen darf. Und wie ein anderer Kommentator bereits zutreffend schreibt, sind diese Stolpersteine mangels Grab(-stein) oft das einzige, was noch an jene Menschen erinnert. Und aus diesem Grund finde ich, dass es für jeden der ermordeten Würzburger Juden eines solchen Stolpersteins bedarf.
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  • 2ostsee
    Stört sie was daran? Ohne die Nazis wäre er doch wahrscheinlich nicht geflüchtet.
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  • eboehrer@gmx.de
    Warum gibt es für Max Pollak einen Stolperstein? Ihm gelang doch die Flucht. Gibt es jetzt auch Steine für Überlebende?
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  • MedDeeg@web.de
    „STOLPERSTEINE sind Gedenksteine und keine Grabsteine. Sie sollen uns über die Schicksale der Menschen reflektieren lassen und vor allem Familien, die im Nationalsozialismus einst jäh auseinandergerissen wurden, im Gedenken wieder zusammenführen. Wir wollen zudem nicht darüber urteilen, wer Opfer der Verbrechen war und wer nicht. Das Leid eines Menschen, der sich verstecken, seine Heimat verlassen musste oder ein KZ überlebt hat, möchten wir nicht bemessen.“

    Quelle: FAQ zu Stolpersteine
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