Mit Fingerspitzengefühl klopft der Bauarbeiter zwei goldene Steine fest, nebenbei läuft ein jiddisches Lied. Anschließend füllt er die Seiten so lange mit Mörtel auf, bis die Steine mit dem Pflaster drumherum verschmelzen. Er reinigt sein Werk, tritt zur Seite und lässt den Blick frei auf die Erinnerung an das Ehepaar Jettchen und Benjamin Oberndörfer.
Die goldenen Steine sind zwei von insgesamt 22 Stolpersteinen, die neu in Würzburg verlegt wurden. Bereits zum 30. Mal hat der Arbeitskreis Stolpersteine eine solche Verlegung organisiert. Mit nunmehr 648 Steinen liegen in Würzburg derzeit so viele Stolpersteine wie in keiner anderen bayerischen Stadt.
Da die Stadt München sich jahrelang geweigert habe, Stolpersteine zu verlegen, hätten viele andere Städte in Bayern ebenfalls damit gezögert, berichtet Benita Stolz, Leiterin des Arbeitskreises Stolpersteine. Würzburg sei daher früh dran gewesen. In München dürfen Stolpersteine bis heute nur auf privatem Grund verlegt werden.
Nachkommen sind nach Würzburg gereist
Das Schicksal des Ehepaars Oberndörfer steht exemplarisch für unzählige weitere. Und doch ist die Verlegung ihrer Steine an diesem regnerischen Donnerstag etwas Besonderes: Enkel und Urenkel der Beiden sind aus Israel und Frankreich angereist, weitere Verwandte sind von dort und aus den USA per Zoom zugeschaltet.
"Wir haben es geschafft – trotz der Nazis", sagt Laurent Chouraqui auf Englisch. Der Urenkel der Oberndörfer ist heute mit seinem Bruder Jerome und seiner Mutter Francoise Avram nach Würzburg gekommen. Auch Francoise Cousine Miriam Rubin, ebenfalls Enkelin der Oberndörfers, ist mit ihren beiden Töchtern Ayetet und Kinneret hergereist.
Nachdem die beiden Stolpersteine für Jettchen und Benjamin Oberndörfer verlegt sind, stellen die Nachkommen alte Fotos auf und legen weiße Rosen nieder. Arm in Arm stehen sie um die Steine herum, einige weinen, sie geben sich gegenseitig Halt, sind traurig und dankbar zugleich. "Die Stolpersteine zeigen, dass auch heute noch Wunder geschehen", sagt Miriam Rubin. Sie danke allen, die diese Verlegung ermöglicht haben. Und Laurent Chouraqui fügt hinzu: "Die zwei Steine schließen eine Lücke."
Im Konzentrationslager getötet
Die Geschichte der Oberndörfers erzählt Chouraqui gemeinsam mit Nicole Lenner – seiner Seelenverwandten, wie er sie nennt. Die beiden haben sich vor fünf Jahren auf einem Seminar in Oxford kennengelernt. Lenner hatte damals das Gefühl, die gesamtdeutsche Last der Vergangenheit auf ihren Schultern zu tragen. Und Chouraqui wollte den Spuren seiner Ahnen nach Deutschland folgen. Die gemeinsame Suche sei für beide heilsam gewesen, sagen sie.
Benjamin Oberndörfer wurde 1879 in Creglingen geboren, Jettchen ein Jahr später in Theilheim. 1905 heirateten die beiden, 1929 kauften sie ein Haus in Würzburg und eröffneten dort ein Kleidergeschäft. Vor diesem Haus, in der Stephanstraße 7, liegen nun die beiden Stolpersteine. Am 23. September 1942 wurde das Ehepaar ins KZ Theresienstadt deportiert, wo Benjamin Oberndörfer am 15. Februar 1943 ermordet wurde. Jettchen wurde im Mai 1944 mit ihrer Schwester Bertha ins KZ Auschwitz verlegt und an einem unbekannten Datum dort getötet.
Benita Stolz vom Arbeitskreis Stolpersteine sagt, die Steine seien "konkretisierte Geschichte". Es sei kaum zu glauben, was solch ein kleines Quadrat an Versöhnung schaffe. "Für die Nachkommen ist es so ergreifend, dass wir an ihre Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern denken."
Der erste Transport in den Osten
Eine weitere Verlegung, auf die der Arbeitskreis vorab explizit hingewiesen hatte, war die der Familie Pollak. Die fünf Stolpersteine für die Eltern Max und Klara Pollak sowie ihre drei Kinder Karl-Günther, Manfred und Margot liegen in der Domstraße 38, direkt vor dem Eingang des Schuhgeschäfts. "Das besonders Tragische ist, dass Max Pollak seine Familie nicht nachholen konnte", erzählt Stolz. Er selbst ist 1938 über Antwerpen nach New York geflüchtet. Doch die Versuche, seine Familie ebenfalls dorthin zu bringen, scheiterten allesamt.
Klara Pollak und ihre drei Kinder müssen am 27. November 1941 in einen Zug steigen. Sie gehören zur Gruppe der zumeist jüngeren und arbeitsfähigen Würzburger Juden, die mit dem ersten Transport in den Osten verschleppt werden. Am 2. Dezember 1941 kommen sie am Jungfernhof in Riga an. Ihre Spur verliert sich in Lettland. Ob sie im harten Winter erfroren oder verhungert sind oder bei den Massenerschießungen im Wald von Bikernieki erschossen wurden, ist nicht genau belegt. Klaras Bruder Leopold, seine Frau Berta und ihre Tochter Dora überlebten die Shoa. Die 1943 geborene Dora lebt heute mit ihrer Tochter in Israel.
Wäre es für die jetzige und zukünftige Generationen nicht auch interessant zu erfahren, wie und zu welchem Preis diese jüdischen Immobilien an die heutigen Besitzer gelangt sind?
Man hat in den letzten 10 Jahren weder Aufwand und Kosten gescheut, um aus 1500 Kunstwerken des Sammlers Gurlitt 14 Werke als Raubkunst zuzuodnen.
Über Grundbucheinträge und Verträge müsste das bei Immobilien viel leichter möglich sein.
Im Bereich Benediktstraße/Konradstraße wurden vor einigen Jahren Bauarbeiten durchgeführt, denen jede Menge dieser Stolpersteine ersatzlos zum Opfer gefallen sind.
Die hat man einfach mit der Teer-Decke entsorgt.
Das fand ich unglaublich geschmacklos! Es muss einem doch eigentlich klar sein: Diese Menschen, die auf diesen Solpersteinen verewigt sind, wurden vom damaligen Deutschland ermordet. Die haben nirgendwo ein Grab, oder gar einen Grabstein!
Das Einzige, was es jetzt noch gibt, sind diese Stolpersteine, die an diese Menschen erinnern. Doch das Bauamt entsorgt die als Bauschutt...
Das hat mich mehr, als sehr erschüttert...
Sensibilität gegenüber diesem Thema ist der Stadt Würzburg leider absolut nicht gegeben!
Quelle: FAQ zu Stolpersteine