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Würzburg
Embolie im Baum: Dürre 2018 schädigt Wald auf Jahre hinaus
Trockenheit, Hitze - die Jahre 2018 und 2019 waren extrem und stressten Unterfrankens Wälder. Ökologe Bernhard Schuldt zeigt, warum das Baumsterben noch lange andauern wird.
Auf Jahre hinaus geschädigt: Im neuen bayerischen Naturwald 'Irtenberger Wald' sind nach den Dürrejahren 2018 und 2019 auch alte große Buche abgestorben. 
Foto: Patty Varasano | Auf Jahre hinaus geschädigt: Im neuen bayerischen Naturwald "Irtenberger Wald" sind nach den Dürrejahren 2018 und 2019 auch alte große Buche abgestorben. 
Alice Natter
 |  aktualisiert: 09.02.2024 21:48 Uhr

Heiß, heißer, 2003. Mit seinen lange anhaltenden Hitzewellen im Sommer wurde jenes Jahr zum trockensten und heißesten, seit die modernen Wetteraufzeichnungen im 19. Jahrhundert begannen. Die Menschen schwitzten, Tiere litten – und die Bäume auch. Die Trockenschäden in den Wäldern waren enorm. Doch immerhin, die Bäume erholten sich auch wieder. Im Irtenberger Wald an der A3 zum Beispiel – gerade von Bayerns Forstministerin zum „Naturwald“ ausgerufen und unter Schutz gestellt – seien „die Schäden nach drei, vier Jahren“ wieder ausgewachsen gewesen, erzählen der damalige Revierleiter Wolfgang Schölch und Armin Amrehn vom BUND Naturschutz in Würzburg.

"Zwei trockene Sommer - das war zu viel."
Förster Karl-Georg Schönmüller über die Schäden im Wald 

Wenn Amrehn heute bei Kist durch den frisch geschützten Wald radelt, sieht er wieder braune Blätter, abgestorbene Äste, Stämme ohne Kronen. An manchen Stellen sei ein Viertel bis ein Drittel der Bäume des Irtenberger Wald geschädigt oder ganz abgestorben. „Die Schäden sind deutlich größer als 2003“, sagt auch der Würzburger Stadtförster Karl-Georg Schönmüller. „Zwei trockene Sommer – das war zu viel.“

15 Jahre lang war 2003 das schlimmste, das heißeste Jahr gewesen – dann kam der Sommer 2018. Heiß, sonnig, extrem trocken. „Einzigartig“, sagten die Meteorologen. „Die vergangenen fünf Jahre waren in Mitteleuropa mit die wärmsten seit Beginn der regelmäßigen Aufzeichnungen“, sagt auch Professor Bernhard Schuldt von der Universität Würzburg. „Und 2018 war das extremste davon.“

'Die Bäume kommen an ihre Grenzen': Pflanzenökologe Professor Bernhard Schuldt im Labor an der Uni Würzburg.
Foto: Patty Varasano | "Die Bäume kommen an ihre Grenzen": Pflanzenökologe Professor Bernhard Schuldt im Labor an der Uni Würzburg.

Die Durchschnittstemperatur hatte von April bis Oktober im Mittel um 3,3 Grad Celsius über dem langjährigen Mittel gelegen, sagt Schuldt. Und immer noch um 1,2 Grad höher als 2003. Zudem fielen im Frühling und Sommer im Schnitt 110 Liter Regen weniger als üblich. Schuldt indes ist nicht Meteorologe, sondern Ökologe. Am Lehrstuhl für Botanik forscht er über Ökophysiologie und Vegetationsökologie. Er beschäftigt sich mit der Vitalität und der Wasserversorgung der Bäume, mit der „Hydraulik“ der Pflanzen – und mit Phasen der Trockenheit. Und er fragt sich vor allem, wie Buchen, Eichen, Fichten mit dem Klimawandel zurechtkommen.

Als der Ökologe im Juli vor einem Jahr in einem Wald bei Uettingen im Landkreis Würzburg unterwegs war, um Löcher in Stämme zu bohren und mit den Bohrkernen die Auswirkungen der Klimaerhitzung zu untersuchen, mussten sie nicht lange tote Buchen suchen. Jeder zweite Baum im betreffenden Waldstück eine Buche – doch von den rund 200 bis 300 Exemplaren auf den fünf Hektar hatte nicht mal ein Dutzend überlebt. „In dem Ausmaß wie dort ist das noch nie da gewesen", sagt Schuldt.

"Bei solchen Temperaturen kommt unsere mitteleuropäische Vegetation an ihre Grenzen." 
Prof. Bernhard Schuldt über die Durchschnittstemperatur des Sommers 2018

Die Uettinger Buchen konnten die Dürre nicht mehr verkraften. Die 3,3 Grad Celsius über dem langjährigen Mittel vom Sommer 2018 hatten „unsere mitteleuropäische Vegetation an ihre Grenzen gebracht“, sagt Bernhard Schuldt. Und der Wald leidet mit am meisten.

Wie drastisch die Auswirkungen auf die Wälder in Mitteleuropa sind, zeigte der Würzburger Biologe jetzt mit Kollegen aus Deutschland und der Schweiz. Denn so extrem die Bedingungen 2018 für die Bäume auch waren, so glücklich war die Fügung für die Forscher. Schuldt will den „Datenzustand auf Blattebene“ wissen. Doch vom Extremjahr 2003, sagt der Ökophysiologe, lägen keine Messungen vor. „Wir müssen ja in die Kronen.“ Die genauen Auswirkungen der Hitze und Trockenheit auf einzelne Bäume und das Ökosystem Wald zu untersuchen, war nachträglich also kaum möglich. Vor zwei Jahren aber hatten Wissenschaftler an drei Standorten in Deutschland und der Schweiz zufällig bereits Messungen in den Baumwipfeln laufen. „Ein Glücksfall.“

Es sind physiologische Messungen an den Blättern, auf die der Pflanzenökologe zurückgreift: „Wir messen die Saugspannung in den Leitungsbahnen“, sagt Schuldt. Die Daten aus dem Jahr 2018 waren deutlich: "Bei zu großer Hitze verliert der Baum über seine Oberfläche zu viel Wasser.“ Verdunstet oben am Blatt zu viel, wird die Saugspannung in den Leitungsbahnen des Holzes zu groß – und letztlich versagt und kollabiert das komplette Wasserleitsystem.

„Die Dürre 2018 schädigt unser Wälder auf Jahre“, sagt der 41-jährige Forscher. Schon im Verlauf des Sommers seien bei vielen forstwirtschaftlich wichtigen Baumarten schwere Stress-Symptome aufgetreten. Das Laub welkte, alterte, weil die Bäume kein Wasser mehr von den Wurzeln in die Kronen befördern konnten. Der Sog riss ab, die Leitungen im Holz füllten sich mit Luft - es kam quasi zur Embolie. Frühzeitig warfen die Bäume die Blätter ab und wurden kahl.

Die wahren Ausmaße der Dürre zeigten sich dann im Jahr darauf: 2019 trieben viele Bäume nicht mehr aus – sie waren schlicht abgestorben. Andere hatten den Trocken- und Hitzestress des Vorjahres zwar überlebt, aber nicht verkraftet. Sie konnten Borkenkäfern und Pilzen nicht mehr trotzen.

Die empfindlichen Fichten seien am stärksten betroffen, sagt Schuldt: „Ihr natürlicher Lebensraum in Mitteleuropa liegt in feuchten und kühlen Bergwäldern, nicht in Tieflagen.“ Kein Wunder also. Was Waldbesitzer allerdings erschreckte und auch die Forscher überraschte: in welchem Ausmaß auch die Buchen betroffen sind. „Hier in Unterfranken habe ich mehrere Bestände gesehen, die komplett eingegangen sind, vor allem auf flachgründigen Standorten auf Muschelkalk“, sagt Schuld über den „Zukunftsbaum“ dessen Toleranz gegenüber der Trockenheit seit dem Hitzejahr 2003 kontrovers diskutiert wird.

Zu wenig regen, zu heiß - hier verdunstet nichts mehr.
Foto: Silvia Gralla | Zu wenig regen, zu heiß - hier verdunstet nichts mehr.

Hätte es nach dem Hitzesommer 2018 im Winter geregnet, „hätten sich viele Baumarten wieder erholen können“, vermutet der Ökologe. „Aber 2019 war die Katastrophe“ – und wurde das nächste Dürrejahr. Dass bis in den späten Herbst hinein die Niederschläge ausblieben, sei bis jetzt noch nicht überwunden. Selbst in den tieferen Bodenschichten herrscht in großen Teilen Deutschlands weiter die Dürre, die vor zwei Jahren begann. Das Ökosystem Wald, zeigten Schuldt und seine Kollegen mit ihrer aktuellen Studie, ist – dauerhaft – geschädigt.

"2003 war schlimm, aber es gab kein Baumsterben."
Prof. Bernhard Schuldt über das erste Hitzejahr des Jahrtausends

Die sensiblen Fichten sind besonders betroffen, aber eben auch die dominierende Buche und selbst die als relativ resistent geltenden Eichen oder Kiefern. Die Ökosystem-Forscher gehen davon aus, dass die Folgen von 2018 in unseren Wäldern noch jahrelang zu spüren sein werden. „2003 war schlimm“, sagt Schuldt, „aber es gab kein Baumsterben.“

Das gibt es jetzt. Die Baumkronen-Messungen deuten darauf hin, dass viele der typischen mitteleuropäischen Baumarten empfindlicher auf Dürren und Hitzestress reagieren, als bislang gedacht. „Unsere Wälder“, sagt Schuldt, „werden sich extrem verändern“.

Pflanzenphysiologen müssen in die Baumkronen, um die Verdunstung messen zu können. Doch langfristig erforschen kann man die Folgen der Klima-Extreme im Wald nur im Monitoring aus der Luft, sagt Bernhard Schuldt. 
Foto: Patty Varasano | Pflanzenphysiologen müssen in die Baumkronen, um die Verdunstung messen zu können. Doch langfristig erforschen kann man die Folgen der Klima-Extreme im Wald nur im Monitoring aus der Luft, sagt Bernhard Schuldt. 

Was tun? Auf welche Arten setzen? Was pflanzen? Hainbuchen? Eichen? „Das einzige, was man im Moment empfehlen kann, sind Mischwälder“, sagt der Würzburger Ökologie-Professor. Wie beim Aktiendepot müssten Forstleute das Risiko mit möglichst trockenresistenten Arten streuen, „damit nicht gleich der gesamte Bestand ausfällt“.

Und was dieses Jahr betrifft? Das Frühjahr 2020 habe für den Wald wieder viel zu warm und zu trocken begonnen. „Aber wir haben Glück! Jetzt im Juni hat es gut geregnet.“ Das habe die Lage abgemildert, aber das Wasserdefizit in den tieferen Bodenschichten sei mit Sicherheit nicht behoben. Er geht davon aus, dass selbst große, alte Bäume in den kommenden Jahren erst sichtbar absterben werden.

Das Problem für die Forscher: Ihnen fehlen wissenschaftlich verwertbare Daten, um genauere Prognosen zu machen und zu erkennen, welche Arten am besten mit den Klimaextremen in Mitteleuropa zurande kommen. „Wir sehen an den Wäldern zwar, dass Schäden da sind. Es ist aber sehr schwer, sie exakt zu beziffern.“ Die Forstwirte würden bei ihren Schadensmeldungen nur angeben, wie viel Kubikmeter Schadholz insgesamt entsteht – nicht, wie viele und welche Bäume abgestorben sind.

Tote Fichten im Irtenberger Wald: Nicht nur die empfindlichen Nadelhölzer, viele der typischen mitteleuropäischen Baumarten reagieren stärker auf Dürren und Hitzestress als bislang gedacht.
Foto: Patty Varasano | Tote Fichten im Irtenberger Wald: Nicht nur die empfindlichen Nadelhölzer, viele der typischen mitteleuropäischen Baumarten reagieren stärker auf Dürren und Hitzestress als bislang gedacht.

Überall in die Baumkronen zu klettern und die Verdunstung der Blätter zu messen? „Monitoring geht nur aus der Luft“, sagt Bernhard Schuldt und hofft auf Überwachungssysteme, die mit zeitlich und räumlich sehr gut aufgelösten Erdbeobachtungsdaten von Flugzeugen oder Satelliten arbeiten. „Auf diese Weise ließe sich das Baumsterben sehr kleinräumig nachverfolgen.“ In Kalifornien beispielsweise gebe es bereits solche Systeme, dort würden mehrmals im Jahr die gleichen Gebiete überflogen. „Vom Boden aus werden wir den Zustand der Wälder großflächig nicht überwachen können“, sagt Schuldt.

Und dass in Unterfranken, im Irtenberger Wald jetzt so viele Buchen sterben? Es hat auch sein Gutes. „Derzeit fahren viele Naturfreunde, Förster, Biologen zu den letzten großflächigen Buchenurwäldern nach Albanien, Rumänien und in die Slowakei um Erfahrungen für den eigenen Bereich zu sammeln und die Schönheit und Erhabenheit solcher Wälder zu studieren“, sagt der Würzburger Stadtförster Karl-Georg Schönmüller, der auch im Arbeitskreis Wald im Bund Naturschutz Bayern tätig ist. Mit dem nicht genutzten, abgestorbenen Holz, das die Trockenheit der vergangenen zwei Jahre im neue Schutzgebiet verursachte, „gibt es schon Waldstrukturen die selbst in ursprünglichen Buchenwäldern nicht selbstverständlich sind“.

 
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