Braune Baumkronen und kahl gefressene Äste ohne Blätter, so weit das Auge reicht. So dokumentiert ein Video den Schwammspinnerbefall in einem Waldstück bei Hettstadt (Lkr. Würzburg). Es ist ein Beispiel von vielen. "Der Wald in ganz Deutschland ist derzeit in einem alarmierenden Zustand", sagt Bernhard Schuldt, Professor für Botanik an der Universität Würzburg.
Eine Bestandsaufnahme in Hessen zeigt: Der trockene, heiße Sommer 2018 hat rund 30 Prozent der alten Rotbuchen stark geschädigt. Ähnliche Meldungen kommen aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Nordbayern. Erstmals leiden viele verschiedene Baumarten, in Mittelfranken und Oberfranken vor allem die Kiefer, am Steigerwaldrand die Buche. Doch "Unterfranken, von Haus aus die wärmste Ecke Bayerns, steht im Zentrum des Geschehens und könnte Vorreiter der Entwicklung sein", sagt Olaf Schmidt, Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) in Freising. Er meint damit den Umbau der heimischen Wälder hin zu klimatoleranten Baumarten wie Hainbuche, Feldahorn, Spitzahorn, Elsbeere, Walnuss oder Speierling.
2018 war – was Hitze und Trockenheit angeht – das extremste Jahr seit Beginn der flächendeckenden Wetteraufzeichnungen 1881, so Botaniker Bernhard Schuldt. Dazu kommen die drei vorherigen extrem warmen Jahre sowie die geringen Niederschläge im Winter 2018/2019, die die Grundwasserspeicher nicht aufgefüllt haben. Das hat viele Bäume geschwächt. Borkenkäfer, Schwammspinner oder Wärme liebende Pilze geben vielen von ihnen jetzt den Rest.
Seit 1936 wurde es immer wärmer im Wald
Die stetige Erwärmung beobachtet Elfi Raunecker, stellvertretende Behördenleiterin beim Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Würzburg, mit Sorge. Zeigte die Waldklimastation im Gramschatzer Wald zwischen November und April 1936 noch eine mittlere Lufttemperatur von 1,8 Grad, waren es 2018 bereits 3,3 Grad. Allein im Monat Mai kletterte das Thermometer im Schnitt von 8 Grad im Jahr 1936 auf 15 Grad im Jahr 2019.
In Unterfranken gibt es auffallend hohe Trockenschäden im Stadtwald Würzburg (5000 tote Bäume) sowie im westlichen Landkreis Würzburg (Uettingen, Helmstadt, Margetshöchheim, Leinach, Greußenheim), sagt Raunecker. Betroffen sei im Grunde aber die ganze fränkische Platte, vor allem der Untermain, aber auch die Haßberge und der Spessart. Zwischen Erlabrunn und Leinach kämpfen die Schwarzkiefern mit dem Pilz Diplodia, über 1000 Bäume sind schwer geschädigt. Selbst die klimatechnisch stabile Eiche wird heuer vom Schwammspinner befressen.
Von "Totalausfällen bei Fichten, teils auch bei Kiefern", sowie großen Schäden bei Lerchen, Douglasien und Buchen berichtet Wolfgang Borst, Vorsitzender der Forstwirtschaftlichen Vereinigung Unterfrankens und Bürgermeister in Hofheim. Viele private Waldbesitzer seien verzweifelt, denn das Käferholz decke, wenn man Glück habe, gerade einmal die Kosten, das Holz aus dem Wald zu schaffen und weiterzuverarbeiten. "Alles, was man in Aufzucht und Waldpflege investiert hat, war umsonst." Der Markt wird mit Holz überschwemmt. Der Holzpreis geht in den Keller.
Spaziergang im Wald kann gefährlich werden
Ein Förster aus dem Landkreis Main-Spessart berichtet, seit fast eineinhalb Jahren werde ohne Pause Holz geschlagen. Die Waldarbeiter kämen kaum noch hinterher. Die sonst übliche Sommerpause gebe es heuer nicht. Auf Waldwegen und an Straßenrändern sei die Verkehrssicherheit kaum noch zu gewährleisten. Herunter brechende Äste könnten Waldbesucher gefährden.
Bundesagrarministerin Julia Klöckner kündigte an, ein "Mehrere-Millionen-Bäume-Programm" aufzulegen, um den Verlust von insgesamt 110 000 Hektar Wald aus den verheerenden Folgen von Sturm, Dürre und Schädlingsbefall der Jahre 2018 und 2019 auszugleichen. Die Finanzierung soll aus dem Energie- und Klimafond (EKF) der Bundesregierung erfolgen.