Über das Wochenende hat sich die Lage im Klinikum etwas entspannt. So sind wir in die neue Woche mit elf Corona-Patienten gestartet, nach wie vor müssen zwei davon auf der Intensivstation behandelt und beatmet werden. Beide schwer Erkrankten sind im Prinzip stabil und ihre Entzündungswerte bessern sich, aber es geht nur in sehr kleinen Schritten voran. Genau das ist leider typisch für Covid-19.
Trotz der generellen Entspannung hatten wir am Morgen in der Inneren Medizin wesentlich mehr Patienten als Betten. Das liegt daran, dass im Herbst natürlich auch mehr Patienten mit anderen Atemwegsinfekten kommen. Zudem haben wir von einigen Krankenhäusern aus der Region Lungenpatienten übernommen, die eine spezielle Versorgung brauchen. Die erste Aufgabe bestand also darin, Patienten aus anderen Fachabteilungen zu übernehmen und für alle Erkrankten einen passenden Platz zu finden. Das ist gelungen.
Positiv ist auch, dass dank der leichten Entspannung alle geplanten Routine-Operationen stattfinden können – und das wird nach dem aktuellen Stand für die nächsten Tage so bleiben. Unser erweiterter Bereich für Corona-Patienten ist somit aufnahmebereit, aber derzeit nicht belegt. Dennoch muss ich zugeben: Vom frühen Morgen bis zum Nachmittag konnte ich mich heute noch keinen Augenblick hinsetzen. Aber ich bin zufrieden, weil ich denke, wir haben es ganz gut im Griff.
Held: Ein undifferenziertes Gießkannenprinzip ist ungut
Die bundesweit erhobene Forderung, planbare Operationen durchweg zu verschieben, sehe ich deshalb kritisch. Ich denke nicht, dass es sinnvoll ist, dies zum jetzigen Zeitpunkt flächendeckend zu entscheiden. Besser wäre es, regional hinzuschauen und dort, wo sich die Situation verschärft, einzugreifen. Ein undifferenziertes Gießkannenprinzip ist ungut. Darunter leiden auch Patienten, nicht jeder planbare Eingriff ist ohne Nachteile aufschiebbar. Deswegen ist es wichtig, abzuwägen und in der Kollegenschaft viel zu kommunizieren.
Einen schönen Moment habe ich heute bei der Visite erlebt, beim Besuch eines älteren Ehepaares, das an Covid-19 erkrankt ist. Der Mann ist Ende 70 und seit einem Schlaganfall auf Hilfe angewiesen. Er infizierte sich zuerst mit Corona, das Atmen fiel ihm schwer und es ging ihm immer schlechter. Seine Frau hatte ebenfalls leichte Symptome und irgendwann konnte sie ihn nicht mehr versorgen. Er wurde bei uns aufgenommen. Kurz darauf ging es auch seiner Frau schlechter, sie kam ebenfalls zu uns ins Klinikum.
Mittlerweile ist das Paar Corona-mäßig über den Berg. Aber beide leiden unter den Folgen der Erkrankung: Sie klagen über eine "unendliche Schwäche und Müdigkeit" – und das sieht man, wenn man in ihre Gesichter schaut. Trotzdem hat die Frau am Ende der Visite zu mir gesagt: "Ich bin so unglaublich dankbar, dass Sie uns geholfen haben und dass wir jetzt auch noch zusammenliegen können." Das hat sie sehr glücklich gemacht – und mich auch.
Diese bleierne Müdigkeit ist bei Patienten in der Nachsorge übrigens das häufigste Problem. Wichtig ist für uns dann, mögliche andere Ursachen auszuschließen. Wenn wir sicher sind, dass es sich um Corona-Spätfolgen handelt, können wir die Leute beruhigen und sagen: Es dauert lange, sehr lange, aber es wird besser werden.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Held (50) ist Ärztlicher Direktor am Klinikum Würzburg Mitte. Dort ist der Lungenspezialist auch für die Behandlung von Covid-19-Patienten zuständig. Per Tagebuch gibt er in den nächsten Wochen täglich Einblicke in den Klinikalltag unter: www.mainpost.de/corona-tagebuch