Die Situation am Montagmorgen war sehr angespannt. 15 Covid-19-Patienten befinden sich in Isolation, zwei werden invasiv beatmet. Wir haben unter den Neuzugängen auch jüngere Corona-Patienten. Sie liegen noch auf der normalen Isolierstation. Aber es könnte sein, dass sie doch noch auf die Intensivstation müssen. Deshalb muss man mehrmals am Tag bei ihnen vorbeischauen, prüfen, entscheiden.
Es ist Winter - das verschärft die Lage
Was die Lage im Klinikum momentan verschärft: Wir hatten - bedingt durch die Jahreszeit - durch zahlreiche Zugänge von Nicht-Corona-Notfällen in der Inneren Medizin deutlich mehr Patienten als Betten. Deshalb musste entschieden werden: Wer muss im Moment noch im Krankenhaus behandelt werden? Wer müsste es vielleicht? Wer kann es verschmerzen, dass der Aufenthalt zunächst beendet und die Diagnostik später nachgeholt wird? Das ist leider notwendig, weil wir die Versorgung der Akutkranken sicherstellen müssen.
Wir müssen abwägen und Prioritäten setzen. Es ist eine Gewissensprüfung. Und leider muss ich Patienten durchaus etwas zumuten, was mir nicht lieb ist, was aber das kleinere Übel für die Gesamtheit aller Patienten darstellt.
Deshalb können wir nicht nachvollziehen, dass politisch häufiger postuliert worden ist, dass es hierzulande eine Krankenhaus-Überversorgung geben könnte. Das bewegt einen.
Wir haben für die nächsten Tage in der Inneren Medizin bei Patienten, die zur Therapie einbestellt waren, abwägen müssen: Wer braucht jetzt unbedingt eine Behandlung? Wen kann man um eine Woche verschieben? Auch das zeigt: Die Situation hat sich im Vergleich zur letzten Woche deutlich verschärft.
Es braucht Räume, Betten - und gesunde Mitarbeiter!
Hinzu kommt, dass momentan auch Pflegepersonal erkrankt ist. Deshalb kann ich nur immer wieder betonen: Es reicht für eine gute Patientenversorgung nicht, nur Räume und Betten zu haben - sondern es braucht auch die Menschen dazu!
Und dann haben wir Seniorinnen und Senioren, die ihre Coronaerkrankung überstanden haben und nach Hause könnten. Aber es geht nicht. Eine Patientin beispielsweise müsste in eine Pflegeeinrichtung entlassen werden. Es findet sich aber keine. 20 Einrichtungen haben wir schon abgefragt. Aber alle haben aktuell keine Aufnahmekapazität seit über einer Woche.
Hilfe für Kollegen aus Main-Spessart
Am Wochenende habe ich mich mit Kollegen aus dem Landkreis Main-Spessart ausgetauscht. Dort ist die Situation noch deutlich schlechter als bei uns. Deshalb werden von dort ab jetzt Patienten nach Würzburg verwiesen.
Diesen Tagebucheintrag möchte ich jedoch mit einem Lichtblick beenden. Uns hat der Dank eines Patienten erreicht, der über Wochen bei uns beatmet wurde: ein Brief und ein Foto der Familie. Alle lächeln. Dem Patienten geht es sehr gut - und das tut uns gut.
Priv.-Doz. Dr. Matthias Held (50) ist Ärztlicher Direktor am Klinikum Würzburg Mitte. Dort ist der Lungenspezialist auch für die Behandlung von Covid-19-Patienten zuständig. Im Tagebuch gibt er Einblicke in den Klinikalltag, im Dezember immer dienstags, donnerstags und samstags: www.mainpost.de/corona-tagebuch
Informativ, bewegend und sehr gute Einblicke bietend.
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