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Würzburg
Der barrierefreie ÖPNV im Landkreis Würzburg ist noch immer Zukunftsmusik
Nicht einmal ein Drittel aller Bushaltestellen im Landkreis ist barrierefrei. Das erschwert den Umstieg vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel. Doch wo liegen die Schwierigkeiten?
Für gehbehinderte Menschen wird Busfahren schwierig, wenn die Haltestelle nicht, wie hier in Zell, barrierefrei ist.
Foto: Thomas Obermeier | Für gehbehinderte Menschen wird Busfahren schwierig, wenn die Haltestelle nicht, wie hier in Zell, barrierefrei ist.
Gerhard Meißner
 |  aktualisiert: 14.02.2022 02:19 Uhr

2013 hat der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer das Ziel ausgegeben, den öffentlichen Nahverkehr im Freistaat bis 2023 barrierefrei zu machen. Das Datum rückt näher, doch vom Ziel ist man zumindest im Landkreis Würzburg noch weit entfernt. Nicht einmal ein Drittel der Bushaltestellen ist inzwischen barrierefrei ausgebaut, wie eine Erhebung der Nahverkehrsgesellschaft des Landkreises APG ergeben hat. Bei den Bahnhaltepunkten sieht es nicht besser aus.

APG-Betriebsleiter Dominik Stiller ärgert sich über die schleppende Umsetzung. Barrierefreie Haltestellen seien schließlich eine wichtige Voraussetzung, um den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu machen und mehr Menschen vom eigenen Auto in den Bus zu bringen. Das Problem betrifft nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch Seniorinnen und Senioren oder Eltern mit Kinderwagen.

Der barrierefreie ÖPNV im Landkreis Würzburg ist noch immer Zukunftsmusik

"Wir haben uns in den letzten Jahren mächtig auf die Hinterbeine gestellt", sagt Stiller. 98 Prozent der Busse seien inzwischen sogenannte Niederflur-Fahrzeuge, die sich gegebenenfalls sogar hydraulisch ansenken lassen, um Fahrgästen einen ebenen Einstieg zu ermöglichen. Der Einsatz von Niederflurbussen wurde bei der Vergabe der Verkehrsleistung an die verschiedenen Verkehrsunternehmen sogar zur Bedingung gemacht.

Das funktioniert aber nur, wenn auch die Haltestellen entsprechend ausgerüstet sind. Grundvoraussetzung dafür ist ein sogenanntes Kasseler Bord, also ein erhöhter Randstein im Haltestellenbereich, der genau der Einstiegshöhe des Busses angepasst ist. Außerdem sind barrierefreie Haltestellen mit weißen, profilierten Leitstreifen ausgestattet, die sehbehinderten Menschen eine bessere Orientierung geben und  auch mit dem Blindenstock ertastet werden können.

Nicht einmal der Busbahnhof in Würzburg ist barrierefrei

"Nur bei 30 Prozent unserer Haltestellen passt das", sagt Stiller. Nicht einmal der Würzburger Busbahnhof als zentrale Drehscheibe sei entsprechend ausgerüstet. Noch schlechter sehe es in den meisten Landkreisgemeinden aus. "Manche Gemeinden haben eine gewisse Sensibilität für das Thema, andere überhaupt nicht", sagt Alexander Schraml, Vorstand des Landkreis-Kommunalunternehmens, dem auch die APG untersteht. Dabei habe der Landkreis Würzburg sogar ein eigenes Förderprogramm aufgelegt.

Vom Freistaat wird der Bau von barrierefreien Haltestellen in der Regel mit 50 Prozent der förderfähigen Kosten unterstützt. 4000 Euro zahlt der Landkreis Würzburg zusätzlich oben drauf. "Die Förderung wird genutzt, aber einige Gemeinden nutzen sie überhaupt nicht oder nur im Rahmen eines ohnehin geplanten Ausbauvorhabens", sagt Schraml.

"Wenn wir in jedem Ort eine barrierefreie Haltestelle bauen wollten, müsste die Förderung deutlich nach oben gehen."
Johannes Menth, Bürgermeister von Gaukönigshofen

Besonders düster schaut es dabei im Linienkorridor 3 aus, der in den äußersten Süden des Landkreises führt. Gerade einmal 21 der 178 Bushaltestellen in diesem Korridor seien barrierefrei, sagt Dominik Stiller. Nun sind die kleinen Gemeinden des Ochsenfurter Gaus nicht gerade bekannt für ihr dichtes ÖPNV-Angebot. Aber wenigstens eine zentrale Haltestelle pro Ort sollte den Ansprüchen von Menschen mit Behinderung oder Müttern mit Kinderwagen gerecht werden, meint Stiller.

Ein Problem dabei könnte der Preis sein. Durch die anziehenden Baupreis gehe man inzwischen von Baukosten pro Haltestelle von 45 000 bis 50 000 Euro aus, sagt die stellvertretende APG-Betriebsleiterin Sibylle Holste. Wenn für jede Fahrtrichtung eine Haltestelle nötig ist, verdoppelt sich der Betrag. Da bleibt also trotz Förderung für die Gemeinden noch immer ein gehöriger Eigenanteil übrig.

80 000 Euro Eigenanteil für zwei barrierefreie Haltestellen

Das bestätigt auch Johannes Menth, Bürgermeister von Gaukönigshofen, einer Gemeinde mit fünf Ortsteilen. "Wir tragen das Ziel voll und ganz mit, aber wenn wir in jedem Ort eine barrierefreie Haltestelle bauen wollten, müsste die Förderung deutlich nach oben gehen", so Menth. Im vergangenen Jahr waren im Hauptort die ersten beiden barrierefreie Haltepunkt gebaut worden, so Menth - eine Haltestelle je Fahrtrichtung. Der Eigenanteil der Gemeinde lag bei rund 80 000 Euro.

Da stellt sich für Menth die Kosten-Nutzen-Frage. "Man muss schon abwägen, ob man mit dem Geld an anderer Stelle nicht einen höheren Mehrwert für die Bürger generieren könnte", so der Bürgermeister. Zumal in den kleinen Gaugemeinden abseits der Schülerbeförderungen vor allem das Rufbus-System in Zusammenarbeit mit Taxiunternehmen genutzt wird. "Für den Rufbus helfen uns barrierefreie Haltestellen wenig", meint Johannes Menth.

Auch in Gaukönigshofen setze man deshalb darauf, den barrierefreien Ausbau in andere Maßnahmen einzubeziehen. "Man muss Barrierefreiheit immer mitdenken, aber das ist sicher nicht in jedem Ortsteil zu machen", so Menth weiter. Zumal mancherorts schlicht der Platz fehle. In solchen Fälle bietet die APG Rat und Hilfe. "Wir koordinieren das Verfahren, beraten die Gemeinden und unterstützen die Planung, wenn es nötig ist, auch mit Kompromissen", sagt Betriebsleiter Dominik Stiller.

Erst vier von zwölf Bahnhaltepunkten sind barrierefrei

Aus Sicht von Bürgermeister Johannes Menth, zugleich Kreisrat der Freien Wähler, sollte sich der barrierefreie Ausbau vorrangig auf die stark frequentierten Strecken im bevölkerungsreichen Stadtumland und auf die Anbindung der Bahnhaltepunkte konzentrieren. Auf die Bahnhaltepunkte richtet auch die APG ihr Augenmerk. Zunehmend orientiere sich die Verkehrsplanung an der Vernetzung von Bus und Schiene, um so auch zur Verkehrsentlastung des Oberzentrums Würzburg beizutragen, sagt Dominik Stiller.

Dass es dort noch einen gehörigen Nachholbedarf gibt, zeigt eine weitere Erhebung der APG. Acht der insgesamt zwölf Bahnhaltepunkte im Landkreis sind demnach noch nicht barrierefrei, darunter der Bahnhof Ochsenfurt als einer der größten und fahrgaststärksten.

 
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    Es hackt wie immer an mehreren Dingen. Meistens am praktischen Menschenverstand!

    Es sind die auch einige Haltestellen barrierefrei, aber der Bus kann nicht bis an die Kante fahren, weil die Anfahrt gar nicht möglich ist.

    Oder die barrierefreie Haltestelle ist so weit am Anfang der Haltestelle verbaut, wo der Bus gar nicht halten kann. Sonder nur ein Stück weiter vorne, wo die Kante wegen einer Einfahrt auf Höhe der Straße ist.

    Weiter geht es mit der Fahrzeiten-Anzeige, die so hoch angebracht ist, dass man vom Unterstand aus gar nicht hinsehen kann.

    Und noch eines von vielen Dingen sind die Haltewunsch-Drücker, die nur auf einer Seite vom Bus zu finden sind, damit man keinen zweiten Kabelstrang ziehen musste?!?

    ...
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    Alles ist relativ -

    die barrierefreieste Haltestelle nützt auch nur bedingt, wenn dort so ca. 3 x am Tag (im Schülerverkehr) ein Bus vorbeikommt - wenn mich jemand fragt, im ÖPNV (leider nicht nur hier in der Region) besteht noch ein bisschen mehr und grundsätzlicherer Verbesserungsbedarf. Aber nicht dass das dann so läuft wie in Seligenstadt, wo man den Bahnhalt (unter erheblichem Aufwand/ mittels einer Unterführung) so umgebaut hat, dass er hinterher nicht mehr barrierefrei war... 100 Punkte für diesen Geniestreich...
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  • kujuhi
    Der Umbau der Haltestellen nützt wenig wenn manche Busfahrer (aus welchen Gründen auch immer) die Haltestellen nicht richtig anfahren. Da kommt die Oma dann mit dem Rollator/die Mutter mit Kinderwagen weder raus noch rein und ist auf die Hilfe von anderen Fahrgästen angewiesen. Für Rollstuhlfahrer ist es noch unangenehmer. Da gibt es eine Rampe die vom Fahrer ausgeklappt/ausgezogen werden muss.
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  • Mainkommentar
    Leute ihr wollt doch nicht etwa eine lange Anreise aus dem Outback ins tosende, wilde Stadtleben antreten?
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  • Anita.Feuerbach
    Diese Haltestelle ist definitiv barrierefrei! Kann man auf dem Foto sogar sehen! Schade, dass Sie genau diese Haltestelle (Zell Kestlerstraße) für Ihr Foto verwenden!
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  • Stimmt, Frau Feuerbach!

    Diese Haltestelle in Zell ist - sozusagen "brandneu" - barrierefrei hergerichtet worden.

    Leider hat man die - durch Erlaß der Europäischen Union vorgeschriebene(!) - Herstellung von Barrierefreiheit (in diesem konkreten Fall der Haltestellen) jedoch viel zu lange vor sich hergeschoben. Sie hätte schon längst - nach den EU-Vorgaben - umgesetzt sein müssen. Und zwar so vollständig wie nur irgend möglich - für möglichst alle Haltestellen.

    Da geben sich Stadt und Landkreis leider allerdings nicht viel in ihrer (bisherigen) Nachlässigkeit. Es war teilweise schon ein erheblicher Kampf im Stadtrat in Würzburg zusätzliche Mittel durchzubekommen um ein wenig die Aufholjagd zu beschleunigen ...

    Insofern stochert hier der Artikel genau in der richtigen Wunde; nämlich auch der die Atrraktivität des ÖPNVs deutlich zu verbessern. Als ernstzunehmende Alternative zum Einsteigen ins eigene Auto. Gerade auch in den Kommunen in direkter Anliegerschaft zur Stadt.

    Danke MP!
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  • gotcha
    Ja, da stimme ich voll zu! Ohne Pflicht passiert nichts.
    Und selbst die pragmatische Idee, wenigstens eine Haltestelle pro Ortschaft barrierefrei zu gestalten, hilft der Dame, die auf den Rollator angewiesen ist, nichts wenn sie blöderweise an der anderen Haltestelle wohnt. Soll gerade sie dann erst mal 900m weiter zur "passenden" Haltestelle laufen?
    Barrierefreiheit braucht nun mal die ganze Gesellschaft; viele von uns irgendwann. Wenn man immer erst anfängt,zu überlegen, wenn ein Mensch mit Behinderung zu sehen ist, wird das nix. Ein Beispiel : Suchen Sie mal nach einer rollstuhlgerechten Mittelschule im Lkr. Würzburg. Kommt ein Schüler, der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, sagt man "das geht hier nicht". Kommt die Sache in den Gemeinderat, heißt es "das lohnt doch nicht, der hat ja in 5 Jahren seinen Abschluss und bis der Aufzug gebaut ist, steht der schon kurz vorm Quali..." So lange es keine (Nachrüst-) Pflicht für Schulen und Haltestellen gibt, wird sich daran nichts ändern.
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  • chris.buchholz@gmx.de
    "Suchen Sie mal nach einer rollstuhlgerechten Mittelschule im Lkr. Würzburg."
    Die Mittelschule Gaukönigshofen ist komplett Barrierefrei.
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