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Würzburg
"Da reagiert man nicht normal": Rentner Eberhard Saupe über den Schockanruf von Betrügern, der ihn kopflos machte
Auch in Unterfranken werden häufig ältere Menschen am Telefon Opfer der tückischen Betrugsmasche. Ein 85-jähriger Würzburger schildert, wie es ihm erging - und warnt.
Erst geschockt, dann besonnen und clever reagiert: Der Würzburger Eberhard Saupe schildert, wie er Opfer von Trickbetrügern wurde - und durch einen perfiden Anruf fast viel Geld verlor.
Foto: Thomas Obermeier | Erst geschockt, dann besonnen und clever reagiert: Der Würzburger Eberhard Saupe schildert, wie er Opfer von Trickbetrügern wurde - und durch einen perfiden Anruf fast viel Geld verlor.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 22.07.2023 05:33 Uhr

Eberhard Saupe ist keiner, dem schnell die Gäule durchgehen. Wer den 85-Jährigen kennenlernt, begegnet einem wohltuend unaufgeregten promovierten Akademiker, dessen Lebensmotto sein könnte: "Immer mit der Ruhe." Der pensionierte Veterinär ist jedenfalls keiner, der zu panischen Reaktionen neigt. Ein Leben lang hat der Würzburger in Ruhe nachgedacht, bevor er handelte. Aber jetzt machte ein einziger Anruf selbst diesen rationalen Kopfmenschen völlig kopflos - und fast arm.

Anruf am Nachmittag: Schockierende Nachricht für den Vater

Ein Donnerstag Anfang Juli, gegen 16.30 Uhr klingelt bei Saupe das Telefon. Ein Mann, der sich als Staatsanwalt vorstellt, hat eine schockierenden Nachricht: "Er sagte, meine Tochter habe einen Verkehrsunfall verursacht, bei dem ein Kind zu Tode kam", erinnert sich der 85-Jährige. Wenn er sein Kind nicht hinter Gittern sehen wolle, soll er 30.000 Euro Kaution stellen - gerne auch mit Gold, Diamanten oder anderen Wertgegenständen. Und er darf mit keinem Menschen darüber reden.

Der Würzburger ist fassungslos. Welcher Vater, welche Mutter würde da nicht helfen? Saupe will seine Tochter sprechen. Er hört am Telefon im Hintergrund eine Frau weinen - nicht deutlich genug, um seine Tochter zweifelsfrei zu erkennen. Und schon drängt wieder der Anrufer.

Kaution gefordert: Falscher Staatsanwalt schickt den Rentner zur Bank

Saupe entgegnet zunehmend verzweifelt: Er habe doch kaum Geld im Haus. "Kein Problem. Wir schicken Ihnen ein Taxi", erwidert der vermeintliche Staatsanwalt am Telefon: "Fahren Sie zur Bank, holen es sich da und übergeben es dann der Staatskasse." Aber, wiederholt er, Saupe dürfe mit keinem Menschen darüber sprechen.

Tage später sitzt Eberhard Saupe der Schreck noch immer in den Knochen. Er ist über sich selbst erschrocken - darüber, wie schnell in so einer Stresssituation unter Schock der Verstand aussetze. Und wie schnell man alle Vorsicht vergesse.

"Früher habe ich gedacht: Wie kann man so naiv sein?"
Dr. Eberhard Saupe über betrogene Seniorinnen und Senioren

"Schockanruf" heißt deshalb auch bei der Polizei die Methode, mit der Betrüger alte Menschen in Panik versetzen - und immer wieder erfolgreich dazu bringen, all ihr Erspartes herzugeben. Der Anrufer bei Eberhard Saupe war kein Staatsanwalt - und der angebliche Unfall seiner Tochter reine Erfindung.

"Früher habe ich gedacht: Wie kann man so naiv sein?", sagt der 85-Jährige nach dem Schockanruf.  "Heute weiß ich: Es kann jeden treffen. Denn unter Schock reagiert man nicht normal."

Als warnendes Beispiel will der frühere Leiter des Würzburger Veterinäramtes öffentlich von seinem Fall berichten - und nicht aus Scham schweigen wie viele Betroffene. Andere, sagt er, sollen nicht so den Kopf verlieren wie er.

In Panik im Taxi zur Bank - und auf der Fahrt kamen die Zweifel

Der Rentner erinnert sich, wie er nach dem Anruf in fieberhafter Sorge um seine Tochter auf das Taxi wartete. Wie ihn der Anrufer zwang, seine Handynummer preiszugeben. Er sollte auf dem Weg zur Bank ständig auf Empfang bleiben, so habe ihn der Mann am anderen Ende der Leitung völlig unter Kontrolle gehabt. Als der Anruf einmal bei schlechter Verbindung abbrach, sei sofort ein Kontrollanruf gekommen.

Geschockt durch den Anruf und quasi ferngesteuert: Eberhard Saupe hat erlebt, wie die perfide Methode funktioniert.
Foto: Thomas Obermeier | Geschockt durch den Anruf und quasi ferngesteuert: Eberhard Saupe hat erlebt, wie die perfide Methode funktioniert.

Auf der Fahrt zur Bank in der Innenstadt sei ihm dieser Gedanke durch den Kopf geschossen, schildert Saupe: Ob das ganze doch nur so ein Betrug war, von dem er schon gehört hatte? Der 85-Jährige beschloss geistesgegenwärtig, die alarmierende Nachricht über seine Tochter zu überprüfen. Aber wie, wo doch der angebliche Staatsanwalt am anderen Ende der Leitung mithörte?

Heimlich eine Notiz übergeben - und die Bankmitarbeiter reagierten mustergültig

Am Bankschalter bat Saupe zwei Angestellte - über das angeschaltete Handy hörbar - um Auszahlung seines Vermögens. Und drückte ihnen dabei - still und heimlich - einen Zettel mit der Telefonnummer seiner Tochter in die Hand.

Die für solche Fälle geschulten Bankangestellten reagierten sofort und wählten zur Kontrolle die Nummer: Saupes Tochter meldete sich, unversehrt und verwundert.

Ihm sei ein Stein vom Herzen gefallen, berichtet Saupe. Erleichtert zahlte er sein Taxi. Weil er Sorge vor einer Observierung hatte ging er durch den Hinterausgang der Bank - und sofort zur Polizei, ein paar Straßen weiter, um Anzeige zu erstatten. 

"Ich weiß jetzt, wie manipulierbar und steuerbar man nach dem schockierenden Anruf ist."
Eberhard Saupe nach seinem Erlebnis

Woher der Schockanrufer wusste, dass er eine Tochter hat?  "Ich weiß es nicht", sagt der Rentner. "Aber ich weiß jetzt, wie manipulierbar und steuerbar man nach dem schockierenden Anruf ist – und brav macht, was der Anrufer sagt."

Saupe ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Masche funktioniert. Jede Woche meldet die Polizei Unterfranken neue Fälle. Laut Sprecher Philipp Hümmer wurden im vergangenen Jahr allein 2725 Versuche bei älteren Menschen in der ganzen Region bekannt, fast 500 davon waren erfolgreich: In Sorge um ihre Angehörigen drückten die Betroffenen - am Telefon in Schock versetzt - Unbekannten verzweifelt Schmuck, Goldmünzen oder all ihr Erspartes in die Hände.

Die Ermittler der bayerischen Spezialeinheit zur Bekämpfung dieser Betrugsmasche mit Sitz in Bamberg wissen: Der vermeintliche Staatsanwalt oder Polizist, der über das Telefon Opfer mit brutalem Geschick in einen Schockzustand versetzt, sitzt meist mit vielen anderen in einem Callcenter irgendwo in Südosteuropa. Mit einer Schauspielerin neben sich, die auf Kommando weint. Und die perfide Masche boomt. Kaum schließen die Ermittler ein solches Callcenter, wird an anderer Stelle das nächste eröffnet.  

Präventionsmaßnahmen der Polizei: Schulungen, Warnungen und Aufklärung über die Masche helfen

Aber inzwischen tragen die massive Prävention und die regelmäßigen Appelle der Polizei Früchte: Das Personal in den Banken ist geschult und fragt nach. Taxifahrer alarmieren die Polizei. Senioren-Verbände warnen bei Infoabenden vor der Masche. Enkel sprechen mit Opa und Oma vor der Gefahr solcher falschen Anrufer.

So bleibt es immer häufiger beim Versuch - wie im Fall von Rentner Eberhard Saupe. Der 85-Jährige ist froh, dass bei ihm während der Taxifahrt zur Bank rechtzeitig der Verstand wieder einsetzte: "Ich bin glücklich davongekommen", sagt er. Sein Rat an andere: "Bewahren Sie keine größeren Beträge zuhause auf, sonst haben die Täter leichtes Spiel."

Polizei gibt Tipps: Das müssen Sie über Schockanrufe wissen

"Leg auf!" heißt eine Präventionskampagne des Polizeipräsidiums Unterfranken zum Schutz von Seniorinnen und Senioren vor der Telefonmasche. Die Polizei will insbesondere ältere Menschen und deren Angehörigen über "Schockanrufe", "Enkeltrickbetrug" und "Falsche Polizeibeamte" informieren, warnen und Verhaltenstipps geben. Die wichtigsten Botschaften sind:
  • Legen Sie auf. Wählen Sie selbst die Notrufnummer 110. Fragen Sie bei der Polizei vorsichtshalber nach, ob tatsächlich Verwandte in Not sind.
  • Die Polizei holt nie Geld oder Schmuck zu Hause ab!
  • Übergeben Sie keine Geldbeträge an Fremde!
  • Die Täter können falsche Rufnummer auf dem Telefon der Opfer erscheinen lassen. Wenn die echte Polizei anruft, erscheint niemals die 110 (auch nicht mit Vorwahl)!
  • Reden hilft: Sprechen Sie mit ihren Freunden, Nachbarn und Verwandten über das Phänomen.
mas
 
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Kommentare
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  • Felix Habermann
    @ Roland Albert & Jürgen Huller sowie Reinhold Hellmann ! ! !
    Es ist möglich in der Hektik auch die 112 zu wählen.
    Die Leitstelle vermittelt kurzfristig weiter.
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  • Lisa Reschke
    Mich rief gestern die Tochter an Mama Mama, Trillerpfeife in den Mund und Ruhe war.
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  • Roland Albert
    Ist mir auch schon zweimal passiert. da heulte auch im Hintergrund jemand rum, opi hilf mir, habe Probleme...
    Ich bin darauf eingegangen, wohlweislich ich nur einen Sohn habe und ich berufsbedingt mit derartigen Anrufen klarkomme. ich wollte dann mitspielen, aber irgendwie hat der dann etwas gemerkt und aufgelegt.

    Mein Appell an Betroffene. Hören Sie kurz zu und legen Sie dann auf. Kommt der Anrufer wieder zurück, stellen Sie das Telefon auf laut mithören. Versuchen Sie über ein zweites Telefon Kontakt zu den Angehörigen aufzubauen oder eine Vertrauensperson hinzuzuziehen. Scheuen Sie nicht, die 112 anzurufen und mithören zu lassen.
    Die Disponenten am anderen Ende der Leitung kennen diese Anrufer und werden im Zweifelsfall Massnahmen einleiten.
    Man kann es nicht oft genug wiederholen: NIEMALS holt die Polizei, Staatsanwaltschaft oder sonstige Erfüllungsgehilfen Wertsachen zuhause ab. Schon gar nicht ausserhalb der Regelarbeitszeit. Verfallen Sie niemals in Panik.
    Legen Sie
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  • Jürgen Huller
    110, nicht 112, oder?
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  • Reinhold Hellmann
    Hallo Herr Albert,
    ich glaube, es ist in so einem Fall sinnvoller, die 110 (Polizei) und nicht die 112 (Notruf) anzurufen.
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  • Roland Albert
    Möge man meinen.
    Aber die ILS ist in indifferenten Situationen besser geschult. Die Einsatzzentrale 110 legt bei derartigen Situationen schneller auf, um die Leitung wieder freizuhalten.
    Aber im Prinzip ist es egal, diese Personen benötigen Hilfe, wo sie dann schnell herkommt, entscheiden dann die Alarmpläne/ Einsatzszenarien.
    Dennoch empfehle ich externen Beistand und einen einigermaßen klaren Kopf zu behalten.
    Das Problem dieser Zeit ist die räumliche Distanz und die daraus resultierende schwache Kommunikation.
    Aber vorhin habens im Radio gebracht, dass da so ne 7 köpfige Truppe hochgenommen haben.
    Es wird, mit der Arbeit der Ermittler 👍
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  • Matthias Schmitt
    Mich würde interessieren, ob Herr Saupe im Vorfeld mal einen Anruf mit einer angeblichen Umfrage zum Thema "Senioren-Notruf-Systeme" bekommen hat. Ich hatte dahingehend schon zwei solche Anrufe, in denen auch Informationen zu Verwandten abgefragt werden. Wenn man hier ggf. diese Informationen preis gibt, dann kann diese beim folgenden Schockanruf ein paar Tage/Wochen später genau dazu verwendet werden. Somit weiß der Schockanrufer schon im Vorfeld, dass eben ein Sohn/Tochter oder sonst ein naher Verwandter existiert. Mein Appell ist, schon bei unseriösen Umfrage-Anrufen, keine privaten Informationen preiszugeben!
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  • Inge Deufert
    Viele Dank für den Artikel. Es ist wirklich schwierig, kühlen Kopf zu behalten.
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  • Steffen Link
    Danke für diesen Bericht und Ihre Offenheit Herr Saupe, man kann da nicht oft genug darauf hinweisen.
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