
Mitten in der quirligen Ouvertüre zu Mozarts Oper "Così fan tutte" kommen plötzlich vier langsame, behutsame Töne. Eine absteigende Figur, die auf einen Schlag den ganzen Schwung aus der Sache nimmt. Knapp drei Stunden später enthüllt Mozart, was die vier Töne bedeuten. Don Alfonso, der Strippenzieher, der das ganze Schlamassel angerichtet hat, singt: "Co - sì - fan - tut - te." So machen es alle.
In der Oper geht dieser musikalische Coup manchmal unter. Aber in einer konzertanten Aufführung, also der Version ohne Inszenierung, Bühne und Kostüme, so wie bei der ersten von zwei Opernnächten des Mozartfests 2024 im Kaisersaal der Residenz, kann die Stelle ihre ganze Wucht entfalten. Als Beweis für die Unausweichlichkeit menschlicher Schwäche, menschlicher Verführbarkeit, menschlichen Scheiterns.
Dafür gingen viele Szenen verloren, die auf der Bühne zu den anrührendsten der Opernliteratur gehören. Denn anders als beim Mozartfest 2018, als an eben dieser Stelle eine fulminante "Così" über die Nicht-Bühne ging, mit frei beweglichen Sängerinnen und Sängern, die jede Möglichkeit auskosteten, die Statik aufzubrechen, hatte man sich diesmal entschieden, das Ensemble am Bühnenrand hinter Notenständern mit aufragenden Lämpchen aufzureihen.
Näher kann man dem diesjährigen Festivalmotto "Schuld und Vergebung" nicht kommen
Ohne die hilfreiche Inhaltsangabe im Programmheft wäre die Handlung für Nichtkenner kaum nachvollziehbar gewesen. Es geht um zwei eher einfältige Burschen, die nichts Besseres zu tun haben, als mit einem Zyniker eine höchst sittenwidrige und frauenverachtende Wette über die Treue ihrer Verlobten einzugehen. Näher kann man dem diesjährigen Festivalmotto "Schuld und Vergebung" nicht kommen.

Das alles ist zwar nicht sonderlich kompliziert, aber gerade, weil die Figuren ununterbrochen in unterschiedlichen Konstellationen interagieren, kann man leicht den Faden verlieren, wenn sie das unverrückbar von der immergleichen Stelle aus tun.
Es spricht für das Stück, vor allem aber für dessen musikalische Umsetzung, dass die Nacht dennoch zur glanzvollen Gala geriet, die mit langem Applaus im Stehen gefeiert wurde. Christophe Rousset, Artiste étoile dieses Mozartfests, und sein Originalklang-Ensemble Les Talens Lyriques verzichteten darauf, die pausenlosen Doppelbödigkeiten der Musik irgendwie entlarven zu wollen, sondern nahmen die Partitur zupackend beim Wort. Ironie funktioniert eben nur, wenn man dabei keine Augenbraue hochzieht.
Ein Zyniker, mit dem man sich quasi wider Willen identifizierte
Durch den Wegfall jeglicher Ablenkung (selbst der Prunk des Kaisersaals trat irgendwann in den Hintergrund) zeigte sich besonders eindrucksvoll, dass diese Oper nicht einen schwachen Takt kennt, nicht einen uninspirierten Moment. Dank eines fabelhaften Ensembles wurde diese "Così" zu einem schier unendlichen Fluss wunderbarer Momente, gesungen von wunderbaren Stimmen.
Georg Nigl (Don Alfonso) hat diese mühelose Präsenz bei grandios geschmeidiger Stimme, die seine Figur zum Epizentrum des Geschehens machte: ein Zyniker, mit dem man sich quasi wider Willen identifizierte. Galina Averina zeigte als Rollendebüt mit ausgesprochen mühelosem Sopran eine frappierend vielschichtige Fiordiligi, Emilie Renard mit griffig-warmem Mezzo und komödiantischem Gespür eine fahrlässig zugängliche Dorabella.

Ihre männlichen Gegenparts, Jeremy Ovenden als Ferrando und Benjamin Appl als Guglielmo, standen ihnen sängerisch in nichts nach, wirkten aber unbeweglicher, Appl, den Blick oft in den Noten, fast ein wenig unbeteiligt.
Die Oper "Così fan tutte" hat kein Happyend. In den meisten Inszenierungen verlassen die Figuren verunsichert und gedemütigt die Bühne. Das Publikum aber verließ an diesem Abend beglückt und erfüllt den Kaisersaal. Vielleicht gar nicht so schlecht, wenn hin und wieder einfach nur die bewegende Kraft der Musik gefeiert wird.