Evelyn Meining, seit 2013 Intendantin des Würzburger Mozartfests, legt in diesem Jahr ihr zehntes Programm für das Klassikfestival vor. Das Motto lautet "Schuld und Vergebung: Seelenforscher Mozart". Im Gespräch erläutert sie, was es damit auf sich hat, und wie es sich in den 85 Terminen zwischen Freitag, 24. Mai, und Sonntag, 23. Juni, niederschlagen wird.
Meining, Jahrgang 1966, war von 1999 bis 2013 Programmdirektorin und Prokuristin beim Rheingau Musik Festival, zusätzlich von 2008 bis 2012 verantwortlich für die Pro Arte Konzerte an der Alten Oper Frankfurt. Von 1994 bis 1999 war die studierte Sängerin und Kulturmanagerin Orchester- und Konzertmanagerin am Staatstheater Darmstadt. Evelyn Meining lehrt im Bereich Kulturmanagement an den Musikhochschulen Mannheim und Karlsruhe.
Evelyn Meining: Das Motto war überfällig. Mozart greift solche existenziellen Fragen immer wieder auf. Sind nicht Schuld und Vergebung Teil unseres alltäglichen Lebens? Sie haben keineswegs nur mit religiösen oder moralischen Aspekten zu tun, sondern auch mit zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen. Das heißt, auch mit der Verantwortung, die jeder von uns auf seine Weise trägt. Mozart ist ein Meister darin, solche Dinge zu durchleuchten. Er zeigt besonders in seinen Opern, dass Scheitern und Schuldigwerden zum Leben gehört. Und dass es letztlich auf den Umgang damit ankommt.
Meining: Im Grunde soll so ein Motto auch einen Sensibilisierungsprozess auslösen. In diesem Verständnis findet es sich in fast jedem unserer Programme wieder. Bei Mozart gilt es für weltliche wie für geistliche Werke. Denken Sie an "Così fan tutte", die unser Artiste étoile Christophe Rousset in einer exklusiven Kooperation mit dem Théâtre du Châtelet in Paris einstudiert hat. Für Nikolaus Harnoncourt war das die traurigste Oper der Musikgeschichte. Sie erzählt von der Laune der Gefühle, von gebrochenen Treueschwüren, von verlorenen Idealen. Davon, wie fehlbar wir alle sind. Und wie brüchig jede Form von Selbstgewissheit ist. Ein Beispiel für Sakralwerke ist das unvollendet gebliebene Requiem, das vom Glauben an Vergebung spricht. Dem Werk haben wir einen ganzen Themenschwerpunkt gewidmet - unter anderem mit der Ausstellung "Lux perpetua" im Martin von Wagner Museum, die einen Bilderzyklus von Thomas Grochowiak nach Mozarts Requiem zeigt.
Meining: Das ist eine Erzählung, die wir uns gerne vorstellen - dass die Entwicklung zu einem immer Höher, immer Besser, immer Tiefer führt. Ich glaube nicht daran. Es gibt zu jeder Zeit Künstlerinnen und Künstler, die in besonderer Weise seelische Höhen und Tiefen ausloten. Und andere, die das eben nicht tun. Was Mozart von seinen Zeitgenossen unterschieden hat und was wir benennen können, sind seine künstlerischen Mittel. Wie es in ihm aussah, darüber können wir nur spekulieren. In einem späten Brief an Constanze von 1790 schreibt er: "Wenn die Leute in mein Herz sehen könnten - es ist kalt - eiskalt". Das kann man nun auf sehr verschiedene Weise interpretieren. Aber dass Komponieren eine sehr einsame Angelegenheit ist, versteht sich von selbst.
Meining: Die Frage möchte ich nicht philosophisch, sondern pragmatisch beantworten. Mozart sagt selbst, dass er "immer in der Musique" steckt. Das steht aber nicht in Opposition zum Leben. Er hat über Musik die Welt in sich aufgenommen und dadurch Ausdrucksformen für grundlegende Fragen gefunden. Er kennt Licht und Schatten, aber es war das 19. Jahrhundert, das Komponisten wie Mozart und Beethoven auf den Sockel gestellt hat. Heute kann jeder entscheiden, was ihm diese Musik bedeutet, und ob er sie mit solch grundlegenden Dingen in Verbindung bringt. Mir hilft diese Musik.
Meining: Es hat sich angeboten, diesmal viel mehr mit Stimme und Gesang zu arbeiten. 21 der 85 Konzerte haben Vokalmusik im Programm. Hervorheben möchte ich den Liederabend, den Johannes Martin Kränzle gestaltet. Explizit für das Zentrum Shalom Europa umkreist er das Motto auf vielfältige Weise mit jiddischen und hebräischen Liedern und mündet in die "Jedermann"-Monologe in der Vertonung von Frank Martin von 1943. Außerdem haben wir das Fauré-Requiem im Programm - ein Stück über die Auferstehung.
Meining: Wir machen uns sehr viele Gedanken über die Öffnung des Festivals in die Stadtgesellschaft hinein. So ist ein ganz besonderes Projekt entstanden: eine "Musiktheatrale Installation", wie die Kreativen den Abend nennen. Titel: "Hell ist die Nacht". Hier geht es um Erinnerungskultur. Spielort ist das Mutterhaus der Erlöserschwestern. Zwei ehemalige Stipendiaten des Mozartlabors haben die Ereignisse des 16. März 1945 aufgegriffen: In dieser Nacht haben 500 Menschen im Luftschutzkeller der Klosteranlage überlebt, darunter 200 Soldaten. Dazu wird es gesprochene Texte und gesungene Lieder geben. Im "Freispiel", einem Programm im Exerzitienhaus Himmelspforten, werden die Menschen selber "Wege der Schuld" abschreiten. Am Schluss, als Auflösung, finden alle zusammen, um Beethovens Quartett op. 132 mit dem berühmten "Heiligen Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit" zu hören. Und: Beim Mozarttag gibt es diesmal Gelegenheit mitzusingen, sich also in einen großen Chor einzureihen.
Meining: Der M PopUp ist inzwischen ein Lieblingsort von uns allen geworden. Er findet zum vierten Mal statt, dieses Mal wieder am Marktplatz. Die Kuratoren sind die beiden Podcaster von "Des Pudels Kern", Elisa Erkelenz und David-Maria Gramse. Sie haben den Raum diesmal "Garten Eden" genannt, und so statten ihn die Studenten der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt wieder aus, auch unter dem Aspekt Nachhaltigkeit – wir wollen keinen neuen Müll produzieren. Neben einer Fülle von Formaten und Veranstaltungen wird es hier einen KI-gesteuerten Beichtstuhl geben. Menschen, die dort ihre "Beichte" ablegen, werden anschließend eine musikalische Absolution erhalten und einen Ablassbon zum Mitnehmen.
Alle Informationen zu Terminen und Karten finden sich im Internet unter www.mozartfest.de