Das Ziel war ein gemeinsamer Fahrplan für die Öffnung der Schulen. Doch wie so oft in der Bildungspolitik hat auch in der Coronakrise am Ende jedes Bundesland eigene Regeln beschlossen. Das Konzept der Kultusministerkonferenz (KMK) bestehe eigentlich nur aus Plattitüden, kritisiert Dieter Brückner. Er ist Vorsitzender der Bundesdirektorenvereinigung (BDK) und vertritt seit fünf Jahren etwa 2300 Gymnasial-Schulleiter aus ganz Deutschland. Im Hauptberuf leitet Brückner das Gymnasium Veitshöchheim (Lkr. Würzburg). Es sei nicht das erste Mal, dass die Kultusminister ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden.
Dieter Brückner: Die Erklärungen der KMK enthielten nichts anderes als Allgemeinplätze. Die Schüler sollen irgendwann, irgendwie, irgendwo – in jedem Bundesland anders – wieder unterrichtet werden. Von einem so hochkarätigen Gremium erwarten wir als Direktorenvereinigung deutlich mehr. Niemand verlangt hellseherische Fähigkeiten, aber man kann von Politik erwarten, dass sie für die Schulen nachvollziehbare Szenarien entwickelt.
Brückner: Dem Gremium fehlt schlicht der Wille zur Vereinheitlichung. Bisher habe ich den Eindruck, dass in der Runde Lösungen gesucht werden, die es den einzelnen Ländern erlauben, an ihren Alleingängen festzuhalten. Die Bildungshoheit ist eine der wenigen Kompetenzen, die den Ländern geblieben ist, und wird entsprechend verteidigt.
Brückner: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Vor 50 Jahren hat die BDK einen Beschluss zur Vereinheitlichung der Schullaufbahnen zwischen den Ländern gefasst. Passiert ist seither wenig. Das zeigt, was die KMK über Jahrzehnte versäumt hat.
Brückner: Das ist zumindest eine Ohrfeige für diejenigen, die dafür verantwortlich sind. Wenn einem das höchste Gericht attestiert, dass Prüfungsergebnisse nicht vergleichbar sind, dann muss sich etwas ändern. Unsere Kritik geht sogar darüber hinaus: Auch der Übertritt nach der Grundschule oder die Versetzung in die nächste Klasse sind in jedem Bundesland anders geregelt. Das widerspricht dem Gedanken der Bildungsgerechtigkeit.
Brückner: Wenn wir die Arbeit der KMK kritisieren, wollen wir gerade nicht das hohe Gut des Föderalismusabschaffen. Die Gewaltenteilungzwischen Bund und Ländern ist gerade aus der historischen Erfahrung ein unschätzbarer Reichtum. So spiegeln sich die vielfältigen Strukturen in Deutschland in den Lehrinhalten, je nachdem, ob ein Bundesland eher städtisch oder ländlich geprägt ist, eher küsten- oder gebirgsnah liegt.
Brückner: Es muss eine Struktur geschaffen werden, die es ermöglicht, den Föderalismus mit anderen im Grundgesetz verankerten Prinzipien wie Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Freizügigkeit zu vereinbaren. Es kann nicht sein, dass ein Kind, das in der siebten Klasse von Hamburg nach Würzburg zieht, erstmal ein Jahr Latein nachlernen muss. Dabei schließt die Vereinheitlichung von Ausbildungsstrukturen nicht aus, eine Fremdsprache trotzdem nach örtlichen Gegebenheiten und Traditionen zu unterrichten.
Brückner: Die KMK schafft es nicht, die Probleme zu lösen, die vielen Menschen auf den Nägeln brennen. Der Ruf nach mehr Zentralisierung überrascht mich daher nicht. Wir leben in einer mobileren Gesellschaft und es gehört zum Alltag, den Arbeitsplatz zu wechseln. Folglich spüren immer mehr Menschen die Defizite in der Struktur unseres Bildungssystems.
Brückner: Wir stehen hinter der Idee, solange die Ratschläge des Bildungsrats auch umgesetzt werden. Es muss klar sein, dass das kein Gremium für Sonntagsreden ist. Sinnvoll wäre, wenn der Rat nicht nur aus Wissenschaftlern besteht, sondern auch Praktiker, beispielsweise Vertreter der Schulverbände, mit am Tisch sitzen.
Brückner: Der grundlegende Fehler war damals vermutlich, dass der Rat installiert wurde, ohne dass der Wille bestand, den Ratschlägen der Experten tatsächlich zu folgen. Dieses Schicksal darf den neuen Bildungsrat nicht ereilen. Es steht und fällt mit der Bereitschaft der Bildungsminister. In den 1960er-Jahren war die Schulpolitik stark ideologisiert. Das sehe ich momentan nicht. Vielleicht ist das eine Chance, dass der neue Bildungsrat nicht gleich zwischen die Mühlsteine einer ideologischen Unvereinbarkeit gerät.