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Würzburg
Burnout und Depressionen: Warum Landwirtinnen und Landwirte so häufig daran erkranken
Oft wird über Tierwohl und Naturschutz berichtet, aber wie geht es Bäuerinnen und Bauern? Der Leiter der Ländlichen Familienberatung in Würzburg über die Belastungen.
Wenn viele Menschen bereits Feierabend haben, ist für diesen unterfränkischen Landwirt noch lange nicht Schluss. Arbeitsüberlastung kann ein Auslöser für Depressionen sein.
Foto: Christoph Weiss | Wenn viele Menschen bereits Feierabend haben, ist für diesen unterfränkischen Landwirt noch lange nicht Schluss. Arbeitsüberlastung kann ein Auslöser für Depressionen sein.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 16.07.2024 10:40 Uhr

Landwirtinnen und Landwirte haben ein hohes Arbeitspensum und einen stressigen Alltag. Sie tragen Verantwortung für Tiere, die das ganze Jahr über versorgt werden müssen. Sie kümmern sich um Höfe, die seit Generationen im Familienbesitz sind. Doch sie erhalten statt Wertschätzung häufig von Verbraucherinnen und Verbrauchern Kritik. Dazu kommen bei vielen finanzielle oder familiäre Sorgen. 

Erhebungen zufolge erkranken Landwirtinnen und Landwirte sehr viel häufiger an Angststörungen, Burnout und Depression als die Durchschnittsbevölkerung. "Die seelische Not in der Landwirtschaft nimmt seit Jahren zu", sagt auch Wolfgang Scharl, Leiter der Ländlichen Familienberatung in Würzburg. Und viele Bauern würde sehr lange warten, bis sie Rat suchen. Im Interview schildert  Scharl die Probleme - und wie Betroffenen helfen kann. 

Landwirte und Landwirtinnen erkranken sehr viel häufiger an Angst, Burnout und Depression als andere. Woran liegt das?

Wolfgang Scharl: Eine Landwirtschaft zu führen bedeutet viel Arbeit - und zwar 365 Tage im Jahr. Oft hört sie auch an den Wochenenden und im Urlaub nicht auf. Gleichzeitig sinkt das Ansehen der Landwirtschaft in der Gesellschaft: Landwirte haben oft das Gefühl, dass sie zum Sündenbock für alles gemacht werden, ihre Arbeit wird nicht anerkannt und kaum wertgeschätzt. Was oft in den Köpfen der Bevölkerung bleibt ist, dass Landwirte Tiere quälen und die Umwelt schädigen.

Sind die Ängste und Probleme der Bauern in den vergangenen Jahren größer geworden?

Scharl: Überlastung, Hoffnungslosigkeit, Zukunftssorgen, das alles hat in den letzten Jahren zugenommen. Hinzu kommt: Die Preise für Lebensmittel werden bei uns künstlich niedrig gehalten. Wir bezahlen für einen Liter Milch oder für einen Schweinebraten sehr wenig. Niemand überlegt sich, was für ein Aufwand hinter der Produktion steckt. Auch das nagt am Selbstwertgefühl. Noch dazu plagen viele Bauern Zukunftsängste. Sie stehen vor Fragen wie: Soll ich den Stall modernisieren oder gebe ich den Betrieb auf? Soll ich die Tiere behalten? Werde ich die Landwirtschaft auch in Zukunft weiterführen können?

Wolfgang Scharl ist seit 25 Jahre Leiter der Ländlichen Familienberatung der Diözese Würzburg. 
Foto: Johannes Kiefer | Wolfgang Scharl ist seit 25 Jahre Leiter der Ländlichen Familienberatung der Diözese Würzburg. 
Mit welchen Problemen wenden sich Landwirte an die Ländliche Familienberatung?

Scharl: Viele melden sich bei uns, wenn wichtigen Entscheidungen, die den Hof und die Familie betreffen, anstehen - zum Beispiel die Hofübergabe. Andere suchen auch Hilfe bei gesundheitlichen, wirtschaftlichen oder finanziellen Problemen. Es geht häufig um Generationskonflikte oder einfach darum, dass jemandem die Arbeit über den Kopf wächst.

Um welche Konflikte geht es? Können Sie Beispiele nennen?

Scharl: Häufig geht es in den Beratungen um Partnerschaftsprobleme, wenn zum Beispiel eine junge Frau zu der Schwiergerfamilie auf den Hof zieht, aber selbst nicht aus der Landwirtschaft kommt. Oft sind dann Probleme vorprogrammiert - und der Mann fühlt sich zwischen seiner Ursprungsfamilie und seiner neuen Familie hin- und hergerissen. Hier geht es darum, offen miteinander zu sprechen und die Empfindungen und Wünsche zu äußern, anstatt die Unzufriedenheit lange Zeit in sich hineinzufressen. Außerdem geht es in unseren Beratungen oft um das so genannte "Höfe Denken".

Höfe Denken: Was ist damit gemeint?

Scharl: Viele Betriebe gibt es bereits seit Generationen. Und so mancher Vater hat zu seinem Nachfolger zum Beispiel gesagt, die Tiere musst du aber behalten. Ob das wirtschaftlich ist oder nicht. Viele Landwirtinnen und Landwirte fühlen sich dann verpflichtet, den Hof so fortzuführen, wie ihre Vorfahren, auch wenn sich die Rahmenbedingungen völlig geändert haben. Das kann einen ungeheuren inneren Druck erzeugen. Da sind oft Ärger und Frust vorprogrammiert.

Wie helfen Sie in der Beratungsstelle?

Scharl: Es ist schon ein Zeichen von Stärke, wenn Betroffene sich Hilfe holen und sich bei uns melden. Damit ist der erste wichtige Schritt getan. Jemand von außen kann helfen, anders auf Probleme zu schauen und neue Wege aufzuzeigen. Wir hören uns im einem geschützten Raum zunächst einmal alle Probleme an. In der Bratung können dann Entscheidungen mit neutralen Beraterinnen und Beratern besprochen werden. Wir unterstützen bei der Suche nach Lösungswegen und begleiten die Landwirtinnen und Landwirte bei der Umsetzung. Wir arbeiten vorrangig nach der systemischen Therapie und Beratung. Meist bleibt es nicht bei einem Gespräch, manche Klienten begleiten wir über Jahre.

Was raten Sie Menschen, die gerade akut Probleme haben?

Scharl: Ich rate, die Probleme wahr- und ernstzunehmen, anstatt die Augen zu verschließen und so weiterzumachen wie bisher. Dann ist es wichtig zu reden, die eigenen Wahrnehmungen anzusprechen, viel miteinander zu sprechen. Hierbei kann eine Beratung und Begleitung von außen oft eine große Hilfe sein. Die Verhaltensmuster innerhalb von Familien sind oft so eingefahren und verfestigt, dass es schwierig ist, ohne Anstöße von außen da herauszukommen und neue Wege zu erkennen. Wenn ich merke, irgendetwas stimmt nicht, mein Körper zeigt mir das oder meine Familie zeigt mir das. Oder wenn ich merke, dass ich ständig nur noch unzufrieden und lustlos bin - dann ist es höchste Zeit, darüber zu sprechen und Beratung in Anspruch zu nehmen.

Was tun Sie, wenn Ihre Hilfe nicht ausreicht?

Scharl: Wenn wir merken, dass es sich um eine Depression handelt, dann raten wir den Betroffenen, sich zunächst an ihren Hausarzt oder einen Facharzt zu wenden. Nicht ausgesprochene Sorgen, Ängste und psychische Nöte können erdrückend werden. Oft ist auch ein Psychotherapieplatz notwendig.

Ländliche Familienberatung

Die Ländliche Familienberatung als Einrichtung der Diözese Würzburg wurde 1998 von der Katholischen Landvolkbewegung und Landjugendbewegung gegründet. In der Geschäftsstelle arbeiten zwei hauptamtliche Teilzeitkräfte und 13 ehrenamtliche Mitarbeiter. Sie kommen in der Regel selbst aus Landwirtschaft, Garten- oder Weinbau, denn das Betriebliche spielt bei den Konflikten eine große Rolle. Die Bera­te­rin­nen und Bera­ter ste­hen unter Schwei­ge­pflicht, die Beratung ist kostenfrei. Die Beratungsstelle beglei­tet Betroffene je nach Bedarf über einen bestimm­ten Zeit­raum.
Infos und Kontakt: Tel. (0931) 386-63 725 oder per E‑Mail an info@lfb-wuerzburg.de.  Infos: www.lfb-wuerzburg.de
Weitere Hilfe finden Betroffene bei der Krisenhotline der Landwirtschaftlichen Sozialversicherung: Unter Tel. (0561) 785 10101 kann sie rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche auch anonym genutzt werden.
clk
 
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  • K. F.
    Fazit:

    ...Mit der geradezu perfiden Prügelknabenrolle können diese Schaffer aber heute kaum mehr umgehen - schlimmer geht schließlich noch immer schicksalhaft für die Sattmacher!!!
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  • K. F.
    Es ist eben die Berufsgruppe, die am längsten arbeitet und mittlerweile dabei das massivste gesellschaftliche Pressing einfach aushalten müssen, verbal massiv abgestraft zu werden, weil sie nichts anderes tun, als ihre Mitmenschen satt machen zu wollen.

    Über Generationen hinweg bis zur Industrialisierung war eben selbige Peitsche in Händen der Aristokratie, unserer kirchlichen Würdeträger, hernach abgelöst von eben jenen Entscheidern, die in einer entsprechenden Hierarchie positioniert sind. - Das hat jetzt wahrlich nichts mit Verschwörungstheorien zu tun, bei tiefsinnigerem Nachdenken erstarkt man hier zu den simplen Realitäten.

    Die Bewirtschafter, die hier in unserer Region übrigens auf den Flächen ackern, halten davon betriebswirtschaftlich allenfalls um die 20% Eigentum. Genau das demonstriert ganz nebenbei die enorme Belastbarkeit dieses im eigentlichen nur noch marginalen Restvölkchens, das bereits mit einem Ziegelstein auf der Brust in die hofeigene Wiege hineingeboren wurde.
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  • R. B.
    Die Landwirtschaft ist längst zum Spielball der Gesellschaft geworden, in Jahrzehnten vom Staat totsubventioniert, werden sie heute dem Mainstream als Klimakiller und Umweltzerstörer zum Frass vorgeworfen. Die Landwirtinnen und Landwirte arbeiten 7 Tage die Woche, selten bis nie Urlaub. Aber dies sind bestimmt nicht die eigentlichen Probleme, es ist vielmehr der wirtschaftliche Druck, denn das Motto lautet nach wie vor "wachse oder weiche", doch ein größerer Hof bedeutet natürlich auch mehr Arbeit. Die Verschuldung wächst stetig, wie sieht es einmal mit der Hofnachfolge aus? Umweltauflagen, Wetter, das schlechte Image in der Gesellschaft u.s.w. Die Politik der letzten 60 Jahre hat die Landwirtschaft kaputt gemacht, die vielgepriesene Regionalität für Massenproduktion geopfert. Und heute möchte die Politik das Rad auf Kosten der Landwirte zurückdrehen, aber der Zug ist längst abgefahren.
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