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Würzburg
Rente oder Krankengeld: Wer bezahlt, wenn ich nicht mehr arbeiten kann?
Wie bin ich abgesichert bei langer Krankheit oder nach einem Unfall? Ein Überblick, wie lange man Lohn erhält, was Erwerbsminderungsrente ist und wann man sie beantragen sollte.
Psychische Erkrankungen sind mittlerweile die häufigste Ursache für eine Berufsunfähigkeit.
Foto: djd/Swiss Life/Getty | Psychische Erkrankungen sind mittlerweile die häufigste Ursache für eine Berufsunfähigkeit.
Claudia Kneifel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:45 Uhr

Noch vor 30 Jahren galt starke körperliche Belastung als Haupt­ursache für eine Berufsunfähigkeit. Doch die Arbeitswelt hat sich gewandelt: Harte körperliche Arbeit ist weniger geworden, dafür wächst in vielen Branchen der Stress. "Psychische Krankheiten wie Depressionen und Burnout nehmen zu und sind mittlerweile die häufigsten Auslöser für eine Erwerbsminderung", sagt Carsten Vetter, Bezirksgeschäftsführer des Sozialverbands VdK für Unterfranken. In Deutschland treffe Erwerbsminderung jeden vierten Arbeitnehmer im Laufe seines Arbeitslebens. Das heißt, er oder sie  muss die Erwerbstätigkeit noch vor der Rente einschränken oder sogar ganz aufgeben. 

Wie ist man staatlich abgesichert, wenn man schwer krank wird und nicht mehr arbeiten kann? Was ist eine Erwerbsminderungsrente? Wird das Geld reichen? Oder entsteht eine Versorgungslücke?  Antworten auf die wichtigsten Fragen.  

Wie ist man staatlich abgesichert, wenn man krank wird oder einen Unfall hat?

In den ersten sechs Wochen einer Erkrankung gibt es in der Regel Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber, sagt Carsten Vetter. Danach übernehmt die gesetzliche Krankenkasse die Zahlung eines Krankengeldes. "Das Krankengeld ist eine sehr gute Sozialleistung", so der VdK-Bezirksgeschäftsführer. Dieses werde bei einer diagnostizierten Krankheit maximal 72 Wochen lang gezahlt. Das Krankengeld beträgt maximal 90 Prozent des bisherigen Nettoeinkommens. Wichtig: "Wer schwer erkrankt, sollte möglichst schon in einer frühen Phase einen Fachmann oder eine Fachfrau zur Beratung hinzuzuziehen."   

Hat jeder Anspruch auf Krankengeld?

"Das Krankengeld bekommt nur, wer sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist", sagt Carsten Vetter. Ein Selbstständiger, der sich nicht zusätzlich abgesichert hat, bekommt kein Krankengeld. Minijobbern steht die sechswöchige Entgeltfortzahlung zu, jedoch kein Krankengeld. Als Selbständiger in der gesetzlichen Krankenversicherung sollte man prüfen, ob ein Anspruch auf Krankengeld mitversichert ist.

Carsten Vetter ist Jurist ist und Bezirksgeschäftsführer des Sozialverbands VdK in Würzburg. Der VdK Deutschland e. V. ist mit fast 2,2 Millionen Mitgliedern der größte Sozialverband in Deutschland. 
Foto: Patty Varasano | Carsten Vetter ist Jurist ist und Bezirksgeschäftsführer des Sozialverbands VdK in Würzburg. Der VdK Deutschland e. V. ist mit fast 2,2 Millionen Mitgliedern der größte Sozialverband in Deutschland. 

Was passiert, wenn man auch nach 78 Wochen noch nicht arbeiten kann?

"Man kann Arbeitslosengeld beantragen, auch wenn das Beschäftigungsverhältnis noch besteht", sagt Carsten Vetter. Diese Sozialleistung bekomme man zwischen sechs und 24 Monaten, je nach Alter und Vorversicherungszeit. Das Arbeitslosengeld betrage aber nur etwa 60 Prozent des Nettogehalts,  beziehungsweise 67 Prozent, wenn man mindestens ein unterhaltpflichtiges Kind hat.

Was ist eine Wiedereingliederung und wer bezahlt sie?

Bei einer stufenweise Wiedereingliederung, bei der die Arbeitszeit reduziert und dann nach und nach angehoben wird, bleiben Angestellte im Krankenstand und bekommen Krankengeld. Die Wiedereingliederung kann zusammen mit den Ärzten und der Krankenkasse festgelegt werden. "Die Arbeitgeber müssen also kein Gehalt zahlen", sagt der VdK-Bezirksgeschäftsführer. Nach einer Reha kann die Wiedereingliederung auch über die Rentenversicherung durchgeführt werden.

Wer hat Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente?

"Nicht alle schaffen es, bis 63 Jahre, geschweige denn bis 65 plus zu arbeiten", sagt Vetter. Wer dauerhaft täglich nur noch weniger als drei Stunden Arbeit durchstehe, kann eine Rente wegen Erwerbsminderung – und zwar in voller Höhe – beantragen. Doch eine Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) erhält nur, wer mindestens fünf Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat. Außerdem muss man in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge eingezahlt haben. Wer zum Beispiel aufgrund einer selbstständigen Tätigkeit oder einer Familienauszeit längere Zeit keine Beiträge in die Rentenkasse zahlt, verliert unter Umständen seinen Anspruch.

Wann liegt eine Erwerbsminderung vor?

"Eine Erwerbsminderung liegt bereits vor, wenn Sie einer regelmäßigen leichten Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus gesundheitlichen Gründe nur noch weniger als sechs Stunden am Tag nachgehen können", erklärt der Sozialexperte. Früher gab es viele Frühverrentungen aufgrund von orthopädischen Erkrankungen, mittlerweile liegen psychische Erkrankungen an der Spitze, gefolgt von Krebserkrankungen. "Wir gehen davon aus, dass die psychischen Erkrankungen weiter zunehmen", sagt Vetter. 

Was ist der Unterschied zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung?

Für die EM-Rente ist eine ärztliche Prüfung nötig. Wer zwischen drei und unter sechs Stunden täglich arbeiten kann, hat Anspruch auf eine halbe Erwerbsminderungsrente. Wer nur weniger als drei Stunden am Tag arbeiten kann, ist voll erwerbsgemindert. Doch: "Die Prüfung, ob eine Erwerbsminderungsrente gezahlt wird, kann unter Umständen drei bis sechs Monate dauern", sagt Vetter. Durch die aktuelle Pandemie seien die Wartezeiten auf die Begutachtungen oft noch länger.

Wie beantragt man eine Erwerbsminderungsrente?

Für eine Rente wegen Erwerbsminderung muss ein Antrag bei der Rentenversicherung gestellt werden. Die Krankenkasse kann Beschäftigte auch auffordern, einen Reha-Antrag zu stellen. "Dieser Aufforderung müssen sie nachkommen", teilt eine Sprecherin der Deutschen Rentenversicherung Bund mit. Wenn ein Gutachter für eine beantragte Reha-Maßnahme keine Erfolgsprognose bescheinigt, kann der Reha-Antrag in einen Rentenantrag umgedeutet werden. Carsten Vetter empfiehlt, genau hinzuschauen: "Nicht jede Aufforderung der Krankenkassen an den Versicherten, einen Reha-Antrag zu stellen, ist auch rechtmäßig. Dies sollte unbedingt überprüft werden. Die Krankenkasse muss dem Patienten eine Frist von zehn Wochen setzen und androhen, dass das Krankengeld ansonsten eingestellt wird." Und: Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit müsse sich aus einem Gutachten ergeben.

Bekomme ich also automatisch eine Reha vorgeschlagen?

"Manche Krankenkassen schicken die Patienten eher in eine Rehabilitation als sie sich das vielleicht wünschen", sagt der VdK-Bezirksgeschäftsführer. So versuchten die Kassen Krankengeld einzusparen und die Weiterbezahlung auf die Rentenversicherung abzuschieben. Vorsicht, sagt Vetter: "Wer eine Reha unbegründet ausschlägt, dem wird manchmal kein Krankengeld mehr bezahlt." Hier sei eine Beratung sehr wichtig. Denn in vielen Fällen werde relativ viel Druck durch die Krankenkassen aufgebaut. Im Zuge des Rehaverfahrens prüft die Rentenversicherung immer, ob eine Rente in Frage kommt.

Wie hoch ist die Erwerbsminderungsrente? 

Die Höhe der EM-Rente ist individuell und ergibt sich aus den zurückgelegten Versicherungszeiten. Orientierung bietet die Rentenauskunft Renteninformation, die man regelmäßig von der Rentenversicherung zugeschickt bekommt. In Bayern beträgt die durchschnittliche EM-Rente nach den Daten der Deutschen Rentenversicherung derzeit etwa 901 Euro. Bei Männern ist sie etwas höher und beträgt 923 Euro, bei Frauen liegt sie bei 882 Euro.

Kann man zur EM-Rente etwas hinzuverdienen?

Die Hinzuverdienstgrenze für Renten wegen voller Erwerbsminderung liegt bei jährlich 6300 Euro brutto. "Was Sie darüber hinaus verdienen, wird zu 40 Prozent von Ihrer Rente abgezogen", so Vetter.

Was tun, wenn der Antrag abgelehnt wurde?

Mehr als 42 Prozent derer, die wegen Erwerbsminderung in Rente gehen wollten, sind im vergangenen Jahr mit ihrem Antrag gescheitert. Das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken. "Oft scheitern Anträge, weil die Rentenversicherung bei der Beurteilung der gesundheitlichen Verfassung zu einem anderen Ergebnis kommt als der Antragsteller", erklärt Vetter. Oder weil erst nach Ablehnung des Bescheides, im Widerspruchsverfahren, wichtige Unterlagen eingereicht werden. Der VdK setze sich für eine faire Begutachtung von Menschen, die einen Antrag auf EM-Rente stellen ein. Denn nach einer Ablehnung sehen sich viele aufgrund ihrer Erkrankung oft nicht in der Lage, gegen die Rentenkasse Widerspruch einzulegen oder zu klagen. Hier unterstütze der VdK, aber auch Gewerkschaften, mit einer hohen Erfolgsquote.

Sozialverband VdK

Der Verbandsname "VdK" war ursprünglich die Abkürzung für "Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands". Heute ist der Verband mit 2,2 Millionen Mitgliedern der größte Sozialverband Deutschlands. Er vertritt sozialpolitische Interessen und setzt sich für einen starken Sozialstaat, eine tragfähige gesetzliche Sozialversicherung und soziale Gerechtigkeit ein. In Bayern hat der VdK derzeit 755 000 Mitglieder, in Unterfranken 98 500. Seit Beginn der Corona-Krise traten bayernweit über 90 000 Menschen neu in den Verband ein, über 11 000 in der Region. In Unterfranken arbeiten 100 hauptamtliche Mitarbeiter und 1200 Ehrenamtliche beim VdK.
In Unterfranken gibt es neun VdK-Kreisgeschäftsstellen. Die genauen Adressen und Telefonnummern findet man unter www.vdk.de/bg-unterfranken
Carsten Vetter, Jahrgang 1972, ist seit 2010 Bezirksgeschäftsführer beim VdK in Unterfranken. Er hat in Würzburg Rechtswissenschaften studiert und war vorher als Rechtsanwalt tätig. 
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  • michaela.j.bader
    Sehr informative und klare Darstellung!
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  • TessaKraemer@t-online.de
    Wichtig ist da auch, nicht allein da ran zu gehen. So einfach bekommt man die Erwerbsminderungsrente nämlich nicht.
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  • frankenausdistanz
    Interessanter Bericht - sollte mehr Beachtung/Kommentare finden!
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