Zumindest die Ambition war da. 2014 stand im "Aktionsplan Inklusion" der Stadt Würzburg geschrieben: Mit dem Nautiland bestehe die Chance, ein "inklusives Leuchtturmprojekt" zu schaffen und "Barrierefreiheit in jeglicher Hinsicht konsequent umzusetzen". Wenn Sandra Steiner mit ihrem Rollstuhl irgendwo zwischen Sauna-Ausgang und Kassenbereich feststeckt, ihr Rufen nicht gehört wird und es keine Klingel gibt, kann sie darüber nur lachen.
Rollstuhlfahrerin Sandra Steiner über den Schwimmbad-Neubau: "Das ist eine Schande."
Dabei hatte sie große Hoffnungen in den Neubau von 2019: "Bevor ich das erste Mal dort war, dachte ich noch: Das ist nigelnagelneu, das dürfte komplett barrierefrei sein." Nach dem ersten Besuch ist sie entsetzt: Behindertenparkplätze fehlen, Duschrollstühle - heutzutage Standard - gibt es keine, das Bad ist voller hoher, unüberwindbarer Schwellen, elektrische Türöffner funktionieren nicht. "Das ist eine Schande. Ich erwarte eigentlich, dass es Mechanismen gibt, die solche Lücken bei einem städtischen Neubau verhindern."
Die gibt es auch - eigentlich. Der Arbeitskreis (AK) "Barrierefreies Bauen" berät Stadt und auch WVV bei großen Bauvorhaben. 2017 verfasste er eine Stellungnahme zu den Plänen, dort heißt es, dass "grundsätzlichen baulichen Gegebenheiten für die Belange von Menschen mit Behinderung in den vorliegenden Plänen zu erkennen" seien. Weiteren protokollierten Kontakt zwischen AK, Stadt und WVV gibt es nicht. Zwei Jahre später wird der AK ins Nautiland geladen, um eine Einschätzung abzugeben. Aber der Zeitpunkt wirft Fragen auf.
Warum wurde der AK erst wenige Tage vor Eröffnung um eine Einschätzung gebeten?
Rückblick: Es ist der 5. November 2019, in sechs Tagen startet das Probeschwimmen im 34-Milionen-Neubau, in drei Wochen wird das Bad offiziell eröffnet. Das Wasser blubbert in den Becken, alles ist bereit. Es ist das erste Mal, dass Stadt und WVV Menschen mit Behinderung ins Schwimmbad geladen haben, um ihre Einschätzung zu hören, wie behindertengerecht das Hallenbad ist.
Ein Protokoll der Begehung läge nicht vor, heißt es von der Stadt Würzburg. Bekannt sei aber, dass sowohl ein fehlender Hebelift, ohne den geheingeschränkte Personen nicht ins Wasser können, Bodenschwellen in der Behindertenumkleide und ein fehlendes Blindenleitsystem - eine Orientierungshilfe für Menschen, die schlecht oder gar nicht sehen - kritisiert wurden. Auch Julian Wendel, mittlerweile Behindertenbeauftragter der Stadt Würzburg, ist bei der Begehung dabei. "Ich war sauer, dass wir erst unmittelbar vor der Eröffnung um eine Einschätzung gebeten wurden. Da ist von Anfang an versäumt worden, an alle zu denken."
Im Anschluss an den Termin wird ein mobiler Hebelift angeschafft, die restlichen Themen werden nicht angegangen. Kurz darauf geht die Pandemie los, das Nautiland schließt.
Bei der zweiten Begehung zweieinhalb Jahre nach Eröffnung sind die Mängel noch gravierender
Zeitsprung ins Frühjahr 2022: Sandra Steiner ist nach ihrem Schwimmbadbesuch entsetzt. Sie wendet sich an Julian Wendel. Er organisiert daraufhin eine erneute Begehung mit Vertretern der Stadt und der WVV. Steiner und weitere Menschen mit Behinderung sind dabei. Auch von dieser Begehung gibt es laut Stadt kein Protokoll. Allerdings sei auch hier bekannt, was bemängelt wurde.
Ein Leitsystem für Blinde auf dem Vorplatz etwa fehlt im Mai '22 immer noch - für Wendel ist das nicht nachvollziehbar: "Das wurde einfach vergessen - und wäre problemlos und günstig nachzurüsten." Auch im Inneren des Bades fehlen nach wie vor einige Orientierungspunkte.
In der Dusche sucht Sandra Steiner bei dem Termin vergebens nach einem Duschrollstuhl. "Die sind mittlerweile eigentlich Standard", sagt sie. Auch das Problem, dass Menschen im Rollstuhl in einem Korridor quasi gefangen sind, wenn sie den Saunabereich verlassen wollen und laut schreiend auf sich aufmerksam machen müssen, kommt zur Sprache.
"Wir haben auch gefragt, warum es denn keinen Behindertenparkplatz gibt", erinnert sich Steiner. "'Dafür ist eine andere Abteilung zuständig' hieß es und damit war das Thema gegessen." Tatsächlich ist es so, dass für den Parkplatz die SVG, eine Tochter des WVV-Konzerns, zuständig ist. Für Steiner ist das kein Grund: "Man muss sich das mal vorstellen: Wir haben 2022 und es gibt bei einem neuen städtischen Schwimmbad noch nicht einmal Behindertenparkplätze. Da muss man halt mal mit der anderen Abteilung sprechen."
Ein weiterer Punkt sind die defekten Türöffner. Sandra Steiner erinnert sich: "Als ich das benannt habe, hieß es: 'Das liegt an der Feuchtigkeit.' Ich dachte, mich trifft der Schlag: Feuchtigkeit? Na klar, es ist ja auch ein Schwimmbad! Das kann doch alles nicht sein!" Bei der Begehung nimmt ein WVV-Mitarbeiter alle Punkte auf.
Und was passiert dann? Kaum etwas.
Fast drei Monate später hakt Julian Wendel bei der WVV nach. Zwar gäbe es theoretisch einen Duschrollstuhl, der sei allerdings die Sommermonate über im Dallenbergbad gebunden, heißt es. "Ein Duschrollstuhl kostet ein paar hundert Euro, er wäre problemlos und schnell anzuschaffen. Bei der Antwort dachte ich: 'Das kann doch nicht wahr sein.'", erinnert sich Wendel.
Der Auslass aus dem Saunabereich für Rollstuhlfahrer gestalte sich ebenso schwierig, so die Rückmeldung, man suche aber nach einer Lösung. Das sorgt bei Julian Wendel für Unverständnis: "Es braucht nur eine Klingel, die an der Kasse gehört wird." Zum Blindenleitsystem am Vorplatz bekommt er die Rückmeldung, dass das derzeit in Prüfung sei.
Einzig die Behindertenparkplätze wurden tatsächlich eingezeichnet. Allerdings sind die nicht - wie üblich - direkt am Eingang, sondern weit entfernt. "Unverständlich", sagt dazu Sandra Steiner.
Das sagt die WVV zur Kritik.
Und was sagen die Zuständigen bei der WVV? Die wollen es nicht gewesen sein. Auf die Frage der Redaktion, ob es hätte sinnvoll sein können, Menschen mit Behinderung schon eher mit einzubeziehen, heißt es: "Dies ist sicher richtig, aber von den Beteiligten im Zeitraum des Baus ist leider keiner mehr im Unternehmen beschäftigt, sodass wir diese Fragen nicht beantworten können."
Auch auf die Frage, warum sich bislang Dallenbergbad und Nautiland einen Duschrollstuhl teilen mussten, gibt es keine klare Antwort: "Seit Ende September ist einer in der Saunalandschaft vorhanden, weitere sind in Beschaffung." Duschmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung hätte es hingegen von Anfang an gegeben, welche genau das seien, bleibt aber offen. "Eine Klingel ist aktuell geplant und in Beschaffung", heißt es weiter - ein halbes Jahr nach Begehung und drei Jahre nach Eröffnung.
Und was ist mit den Parkplätzen? Aufgrund der Breite wäre die Wahl auf die nun markierten Plätze gefallen. Und warum gab es so lange keine? Angesprochen auf eine Luftaufnahme aus 2020, auf dem keine Behindertenparkplätze zu erkennen sind, schreibt die WVV: "Im Jahr 2020 gab es noch laufende Bauarbeiten, der Betrieb des Parkplatzes war damals noch nicht geklärt." Die Aufnahme, die der Redaktion vorliegt, vom 10. Juli 2020, zeigt keine Baustelle am Parkplatz.
Das Weltall ist näher, in vielen Firmen ist es auch so, Studierte kommen und machen Probleme.
Erfahrung sollte man bei neuen Bauten oder Produkten immer mit einbeziehen.
Das Thema Energiesparen gibt es ja nicht erst seit gestern. Die Häuser der Genossenschaft in der ich wohne saniert seit Jahren kein Haus mehr ohne Solarpanelen auf dem Dach zu installieren.
Ein Schwimmbad mit hohen Energiebedarf und Kosten wird komplett saniert...auf den Dachflächen wäre genug Platz dafür gewesen.....
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Zimmermann, Main-Post Digitales Management
Also war etwas da. Aber es wurde nicht umgesetzt? Wie aktiv war dann der AK? Hat er es verfolgt, war er weiter präsent, ist er auf die Architekten zugegangen, hat er darauf gedrängt, bei den Planungen, bei den laufenden Baustellenbesichtigungen dabei zu sein?
Es ist leider noch nicht selbstverständlich, dass behindertengerecht gebaut wird. das ist ein sehr dickes Brett. Deshalb müssen AK oder ähnliche Organisationen sich ständig einbringen und von Anfang an dabei sein. Nur dann können langfristig Änderungen einsetzen.
Wenn ich in diesen Artikel lese schäme ich mich Würzburger zu sein.
Leider ein Sinnbild für das Arbeiten unserer Stadtverwaltung. Aber egal, es sind nur unsere Steuergelder, mit denen ihr arbeitet und von denen ihr bezahlt werdet.
Und keinerlei Schuld- oder Unrechtsbewusstsein.
Eigentlich müsste man so etwas weitergeben an Institutionen wie den Steuerzahlerbund oder an investigative Journalisten.
Aber Respekt an die Stadt Würzburg: Ein mobiler Hebelift und ein Duschrollstuhl wurden nachgerüstet:-)
Wenn das Ganze nicht so traurig wäre. Leider muss sich keiner der Verantwortlichen dafür verantworten oder bekommt seine Bezüge gekürzt. Es geht so weiter in der Stadtverwaltung wie bisher. Nautiland, Stadttheater, Talavera Parken u.v.m.
Liebe Stadträte, liebe Stadtverwaltung, kümmert euch weiterhin um so dringende Angelegenheiten wie z. B. einen Platz möglichst schnell nach Barbara Stamm zu benennen.
Hoffentlich nicht elektrisch sondern mit Glocke und Kette zum dran ziehen.
Das macht auch bim bam wenn es mal feucht wird.
Aber Würzburg hat doch jetzt 57 Millionen zur freien Verwendung zugeteilt bekommen.
Da wären doch ein paar Duschrollstühle und Klingeln drin, sollte man meinen.
Ansonsten sehe ich das genauso:
wer zum Teufel hatte den Umbau eigentlich damals baulich abgenommen???
Es ist schon länger her, dass ich im Architekturbüro gearbeitet habe, aber es gab schon damals klare Vorschriften für behindertengerechtes Bauen, gerade in öffentlichen Einrichtungen.
Entweder sie wissen von nichts oder sie haben einfach keine Ahnung !
Wenn ich Pressesprecher der WVV oder Verantwortlicher wäre , würde ich mich der
vielen Pannen einfach nur noch schämen .
Eigentlich sollte der Behindertenbeauftragte von Anfang an doch mit am Tisch sitzen, oder? Aber dann müsste das ja fast ein Fulltimejob sein. Ist es doch nicht oder?
ich habe gedacht die Architekten lernen das alles mit den DINNormen für barrierefreies Bauen? Wieso muss man das denen ständig sagen? Wie sind denn da die Gesetze und wer überprüft das???? Das fehlt mir total in dem Artikel?!