Wenn Nadine R. die Bahnhofsmission verlässt, geht es ihr mal besser als vorher und mal schlechter. Schlechter geht es ihr, weil sie dort manchmal Menschen sieht, "die sehr, sehr arm dran sind und sehr, sehr krank sind. Da leidet man mit. Und wenn man psychisch sehr sensibel ist wie ich beispielsweise, da ist das manchmal schon sehr schwer." So erzählt sie neulich beim Picknick der Bahnhofsmission auf dem strohgelben, verdorrten Gras beim Kiliansbrunnen auf dem Bahnhofsvorplatz. Ihren Namen will sie der Öffentlichkeit nicht preisgeben.
Die Polizei sieht in der Bahnhofsmission eine wichtige Institution
Die Polizei schaute beim Picknick vorbei, einer mit drei goldenen Sternen auf der Schulter, ein wichtiger Mann: Sven Schultheiß, der als Leiter der Bundespolizei-Inspektion Würzburg zuständig ist für Unterfranken und Teile Oberfrankens. Eine bedeutende Institution sei die Bahnhofsmission. Sie helfe, "soziale Konflikte und Unwuchten zu mildern". Er sei hier, um Unterstützung zu signalisieren. "Ab und an mal" müsse die Polizei in der Bahnhofsmission "Konflikte schlichten", erzählt er, "vielleicht ein, zwei Mal im Jahr". Auf dem Bahnhofsvorplatz komme das schon öfter vor.
Im Großen und Ganzen sei die Bahnhofsmission schon ein friedlicher Ort, berichtet Wolfgang P., ein regelmäßiger Gast, der wie Nadine R. seinen Namen nicht genannt sehen will. "Man kriegt ja manchmal auch ein bisschen was mit, dass manchmal auch Leute kommen, die ganz verzweifelt sind und ich weiß eben, dass das die erste Anlaufstelle ist, die einen dann weiterleitet. Das ist ja das Schöne." Viele Gäste, erzählt er weiter, "haben natürlich auch Frust, weil sie nervlich sehr angespannt sind. Es kann mal sein, wenn man jemanden anspricht oder sich jemand auf den falschen Platz setzt, dass man da ein bisschen angefahren wird." Aber das Personal passe auf. Manchmal kämen Betrunkene rein, "aber wenn die sich nicht benehmen, müssen sie den Raum verlassen. Das finde ich dann auch gut." Er fühle sich geschützt.
Nadine R. geht meistens in die Bahnhofsmission, wenn ihr langweilig ist, so sagt sie, wenn sie "nichts mehr mit sich anzufangen wusste und Redebedarf hatte" – wenn es ihr schlecht ging. "Die waren immer sehr lieb. Das ist was ganz Besonderes, was sehr wichtig ist."
Geschichten von Menschen in schlimmer Verfassung
In einer ganz anderen Welt ist Katrin Böse unterwegs; sie arbeitet für ein Versicherungsunternehmen und ist deutschlandweit auf Achse. Sie ist eine der Ehrenamtlichen im Förderverein der Bahnhofsmission, zuständig fürs Akquirieren von Spenden. Sie macht das, berichtet sie, weil sie von Helmut Fries, dem Fördervereins-Vorsitzenden, Geschichten von armen Leuten in furchtbarer Verfassung erzählen hörte. Besonders eingeprägt habe sich ihr die Geschichte von dem Mann, dem die Socken in die Füße eingewachsen sind. Da habe sie gedacht: "Mein Gott!"
Einmal habe sie nachts eine junge Frau am Bahnhof angetroffen, die bitterlich weinte. Ihr Freund habe sie geschlagen und das Handy abgenommen, sie traue sich nicht nach Hause, wisse nicht wohin und wolle keine Polizei. Von Fries wusste Katrin Böse, die Bahnhofsmission würde sich kümmern. Sie führte das Mädchen hin "und ich muss sagen, das war wirklich ein Supererlebnis". Deswegen arbeitet sie im Verein mit – und auch wegen ihres Gerechtigkeitssinns. In der Bahnhofsmission würden "oft Menschen stranden, die bei uns in diesem System untergehen". Man müsse sich viel mehr um schwache Menschen kümmern.
Menschen erhalten auch Hilfe bei Alltagsproblemen
Wolfgang P. ist stark sehbehindert, alleinstehend und muss mit einer schmalen Erwerbminderungsrente auskommen. Ganz froh sei er, dass es diese Anlaufstelle gibt. Manchmal komme er "sogar wöchentlich", erzählt er. Er berichtet, wie wichtig es ihm ist, seine Miete zu zahlen und dass es eine Katastrophe wäre, müsste er auf der Straße leben. Aber da reiche eben manchmal das Geld nicht mehr fürs Essen. In der Bahnhofsmission könne er einen Tee trinken, "man kriegt auch Kleinigkeiten zu essen und vor allem man trifft auch immer wieder Leute".
Wenn er ein Anliegen habe könne er sich ans Personal wenden: "Das ist das Schöne." Da könne man auch ein Vier-Augen-Gespräche führen, "wenn man Probleme hat oder Hilfe braucht beim Ausfüllen von Formularen", fürs Wohngeld zum Beispiel. Da müsste er sonst andere Leute bitten, aus dem Bekanntenkreis, "und das ist mir zu unsicher". In der Bahnhofsmission arbeiteten ja auch Sozialarbeiter, die Verständnis hätten und verschwiegen seien. Gut sei auch, dass er seine Armut nicht belegen muss, um Hilfe zu bekommen: "Das geht auch ganz anonym."