Als aus dem Lautsprecher die Aufnahme des aufgezeichneten Notrufs kommt, wirkt nahezu jeder im Sitzungssaal betroffen: "Wir brauchen Hilfe – jetzt", drängt der Anrufer atemlos. Im Hintergrund hört man eine Frau entsetzlich schreien. "Das Baby ist komplett blau", erklärt der Anrufer. Und: "Wir wissen nicht, wie das passiert ist." Die Stimme klingt verwirrt, erst nach einer Rückfrage kann der Anrufer die Adresse des Notfalls nennen.
Notruf macht Prozessbeteiligte und Zuhörer betroffen
Noch 13 Monate später verursacht die Aufzeichnung Gänsehaut. Im laufenden Babymord-Prozess am Landgericht Würzburg macht der Notruf von Dezember 2019 für die Prozessbeobachter plötzlich erlebbar, welches Drama in der kleinen Wohnung im Landkreis Main-Spessart abgelaufen sein muss: Der Retter kann am Telefon den Anrufer allmählich beruhigen, er gibt Anweisungen zur Hilfe für den Säugling - bis nach kaum fünf Minuten der Notarzt eintrifft.
Im Gerichtssaal herrscht nach dem Abspielen des Notrufs langes Schweigen. Keinen lässt das Gehörte unberührt. Einer, der selbst Vater ist, wischt sich verstohlen ums Auge.
Angeklagter wirkt unbeeindruckt
Nur der schmale 24-Jährige auf der Anklagebank schaut ungerührt vor sich hin, als ginge ihn all das gar nichts an. Dabei war er der Anrufer, der am Telefon so drängend klang. Der Angeklagte wirkt so unbeteiligt wie er bei den Bildern, die der Rechtsmediziner Michael Bohnert vor Gericht bei der Darstellung seines Gutachtes vorgelegt hatte. Die Aufnahmen dokumentierten starke Spuren von Gewalt am Körper des acht Monate alten Säuglings.
Der 24-Jährige ist angeklagt, das schreiende Baby seiner Freundin zum Schweigen gebracht zu haben, weil es ihn beim Fernsehen störte. Er will den Säugling nur fest zugedeckt haben, hatte er zu Prozessbeginn betont.
Seitdem schweigt er in den seit drei Monaten andauernden Verhandlungen und verweigert mit ruhigem "Nein" jede Antwort auf Fragen. Er sträubt sich auch gegen die Mitwirkung für ein Gutachten zu seiner Schuldfähigkeit – sehr zum Ärger des Gerichts, das heftige Anstrengungen zu seinen Gunsten unternommen hatte, um kurzfristig eine Sachverständige zu bekommen.
Neue Erklärung des Verteidigers
Die Erinnerungen der Zeugen blieben vor Gericht bislang oft vage. Umso deutlicher fiel das Gutachten des Würzburger Rechtsmediziners Michael Bohnert aus: Es dokumentierte Schläge, Tritte oder gewalttätiges Drücken auf Bauch und Brustkorb des getöteten Kindes.
Verteidiger Hanjo Schrepfer legte jetzt eine Erklärung seines Mandanten nach, die ein wenig weiterreicht als bisher: Er habe täglich gekifft und zur Finanzierung auch gedealt, gesteht der 24-Jährige darin. Und: "Ich bin der Meinung, dass ich ein Drogenproblem habe und Hilfe brauche." Aggression und Gewaltausbrüche gegen Mutter und Kind "führe ich auf meine Drogenprobleme zurück".
Doch im Kern der Anklage bleibt der 24-Jährige auch jetzt vage: Er sei sich sicher, dass er das Baby nicht habe ermorden wollen. Er könne sich aber nicht konkret daran erinnern, was er getan habe, als er ins Kinderzimmer ging.
Staatsanwalt: "Da droht jetzt ein Brett!"
Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach zeigt sich verwundert: In der ersten Erklärung vor ein paar Wochen habe der Angeklagte relativ genau darstellt, wie ers das Baby fest in eine Decke gewickelt und auf den Bauch gelegt habe. "Da droht jetzt ein richtiges Brett. Deshalb ist der 64 der letzte Ausweg", so Seebach. Der Paragraf 64 des Strafgesetzbuches sieht vor, dass ein Angeklagter bei konkreter Aussicht auf einen Behandlungserfolg für Straftaten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss in eine Klinik statt ins Gefängnis kommen kann.
Zur Einschätzung soll gegen Ende des Prozesses die psychiatrische Gutachterin Susanne Eberlein nun das Gespräch mit dem 24-Jährigen suchen. Der Vorsitzende Richter Claus Barthel zitierte aus dem Notruf. Der Angeklagte habe am Telefon beteuert, er wisse nicht, wie das Ersticken des Babys passieren konnte. „Ob das der Wahrheit entspricht?", fragt Barthel. "Da denke ich noch darüber nach.“
Das Ergebnis seiner Überlegungen dürfte sich Ende Februar in einem Urteil wiederfinden. Bis dahin sind - vorläufig - noch drei Verhandlungstage angesetzt.
Dieser Säugling hier durfte ganze acht Monate alt werden.
Dies ist die Schuld des Angelklagten. Dafür wird er mehrere Jahre hinter Gittern wandern, wenn er Glück hat kann er die Strafe sogar in einer Klinik verbringen. Weiterhin ist zu beachten, dass er vermutlich nicht die komplette Strafe wird absitzen müssen.
Jedenfalls ist er in überschaubarer Zeit wieder ein freier Mann und hat, wenn es gut läuft aufgrund seines Alters, noch viele Jahrzehnte in Freiheit vor sich.
So ein Urteil nennt sich "Gerechtigkeit" und ist für Laien eigentlich nicht verständlich.
Dieser Jargon der Staatsanwälte in Würzburg ist unerträglich, anmaßend und zeigt, was da für kalte betriebsblinde Menschen agieren. Nicht nur in einem solchen hochsensiblen Verfahren - aber hier besonders.
Hier geht es um ein totes Kind - nicht um ein "Brett"!