Auch am Ende der Beweisaufnahme ist nicht völlig klar, warum das acht Monate alte Baby sterben musste. War es Mord oder "nur" ein tragisch endender Versuch des Angeklagten, den Säugling am weiteren Schreien zu hindern - damit er selbst im Raum nebenan zugedröhnt ungestört weiter fernsehen konnte? Darauf haben die Richter am Landgericht Würzburg im sogenannten Babymord-Prozess auch nach dreieinhalb Monaten Verhandlung noch keine eindeutige Antwort.
Vor Gericht scheinbar unbeteiligt
Mord ist angeklagt, neben gewaltsamen Übergriffen auf Mutter und Kind im Vorfeld. Dem 24-jährigen Angeklagten, der als Kind selbst von seinem Vater misshandelt worden war und von Zeugen als berufslos, perspektivlos und haltlos geschildert wurde, droht das Urteil "lebenslänglich". Doch er wirkt vor Gericht lange so, als ginge ihn das Ganze gar nichts an.
Scheinbar ungerührt saß er an jenem Prozesstag auf der Anklagebank, als das Gericht seinen eigenen Notruf vom 20. Dezember 2019 an die Rettungsleitstelle vorspielte. Die Aufnahme offenbarte einen völlig anderen Menschen - aufgeregt, entsetzt, kopflos und bemüht darum, Hilfe für das Baby zu bekommen, das nicht mehr atmete. Andere Prozessbeteiligte rangen beim Hören der Aufnahme um Fassung. Der Angeklagte blickte ohne erkennbare Regung vor sich auf den Tisch.
Im Gefängnis mit der Gutachterin gesprochen
Möglicherweise aber bewirkte dieser Moment doch etwas in dem 24-Jährigen: Acht Stunden lang stand er jetzt der psychiatrischen Sachverständigen Susanne Eberlein im Gefängnis Rede und Antwort.
Das bringt das Gericht in Zugzwang: Einerseits soll die Gutachterin beurteilen, ob der Angeklagte, der nach eigenen Angaben von Cannabis bis Kokain etliche Drogen konsumierte, in eine Suchtklinik gehört. Andererseits machte der bisher so schweigsame Beschuldigte unter vier Augen Angaben. Die aber kann das Gericht in seinem Urteil nur dann berücksichtigen, wenn sie auch im Prozess zur Sprache kommen.
Sachverständige: keine mildernden Umstände
Die Gutachterin musste ihre Untersuchung also im Gerichtssaal zu Ende führen. Eberlein rät zu einer sozialtherapeutischen Einrichtung, damit der zeitweise aggressive Angeklagte auch ohne Drogen "sein Verhalten anders steuern kann". Auf mildernde Umstände kann der Mordverdächtige bei einer Verurteilung aber nicht hoffen: Er sei voll schuldfähig, sagte die Psychiaterin und erteilte der Option "Klinik statt Knast" damit eine Absage.
Damit ist die Beweisaufnahme auf der Zielgeraden. Das Gericht riet Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach, einige Punkte der Anklage zu streichen: Der Verdacht gewalttätiger Übergriffe auf Mutter und Kind vor dem tödlichen Vorfall sei wohl nicht beweisbar, deutete Claus Barthel als Erkenntnis des Gerichts an - und schob mit Blick auf den Angeklagten nach: "Wenn das so kommt, ist das kein Geschenk für Sie."
Urteil wegen Totschlags oder Körperverletzung mit Todesfolge als Option
Verteidiger Hanjo Schrepfer sagte dazu:"Mein Mandant rafft noch gar nicht die Auswirkungen des Gutachtens." Offenkundig hält das Gericht eine Verurteilung wegen Mordes zwar mangels Beweisen für zweifelhaft. Dass der 24-Jährige den Tod des Babys verursacht hat, scheint dem Vorsitzenden jedoch sicher: Es komme auch Totschlag oder Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht, so Barthel.
Von einem Freispruch war in den "Anregungen" des Vorsitzenden in Richtung Staatsanwaltschaft keine Rede. Die Plädoyers im Babymord-Prozess sollen in einer Woche erfolgen, das Urteil in der Woche darauf.