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Würzburg
Aus Angst ließ Olga ihren Mann im Main versenken   
Serie "Gelöste Kriminalfälle": Zehn Jahre mühten sich Ermittler vergeblich. Dann half Kommissar Zufall - und plötzlich hatte die Leiche im Main einen Namen.
Fundort Main: An einem Februartag 1995 wurde in Würzburg eine Leiche aus dem Fluss geborgen. Erst zehn Jahre später wurde das Rätsel um den Toten gelöst.
Foto: Achim Muth | Fundort Main: An einem Februartag 1995 wurde in Würzburg eine Leiche aus dem Fluss geborgen. Erst zehn Jahre später wurde das Rätsel um den Toten gelöst.
Franz Barthel
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:41 Uhr

Eine unbekannte Würzburger Wasserleiche ist im Februar 1995 auch in den überregionalen Nachrichten „aufgetaucht“. Das lag an zwei Einschuss-Löchern im Kopf  - und daran, dass der Tote mafiamäßig mit einem Nylonseil verschnürt und einer Eisenplatte beschwert worden war. Aus unserer Serie "Gelöste Kriminalfälle".

Geborgen wurde er unterhalb des Klosters Himmelspforten. Die Leiche lag, für die Rechtsmediziner auf Anhieb erkennbar, schon seit vier oder noch mehr Wochen im Wasser.  Mitarbeiter des Heizkraftwerkes hatten sie am 15. Februar 1995 gegen 23 Uhr im Main treiben sehen.

Leiche beim Kloster Himmelspforten aus dem Main geboren

Knapp zehn Jahre lang blieb der Mann anonym. 180 Zentimeter groß, 103 Kilogramm schwer, Trainingsanzug von Adidas und orangefarbenes Abschleppseil, das war für die Identifizierung des Toten und Fahndung nach dem oder den Tätern zu wenig. Auch der Hinweis auf die Tatwaffe, einen Schießkugelschreiber, wie man ihn aus Agentenfilmen kennt, brachte lange nichts. Vor allem schien niemand den Mann zu vermissen.

In den fast schon als „ungeklärt“ abgelegten Fall kam Bewegung, als sich im April 2003 bei der Kripo in Fulda ein Zeuge meldete: Er vermisste einen Landsmann aus der Gegend um Tiraspol in der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien. Er gab an, dass der sich zuletzt mit Ehefrau im Raum Würzburg zum Besuch seiner Schwiegereltern aufgehalten habe. Der Zeuge legte nach: Er habe gehört, dass sein Bekannter damals in Würzburg in einem Auto erschossen worden sei.

Mit Hilfe moderner DNA-Technik konnte der Tote Anfang 2004 über den genetischen Fingerabdruck identifiziert werden: Sergej S. (Name geändert). Der war ehemaliger Leibwächter eines moldawischen Präsidenten und Bürgerkriegs-Veteran, zum Zeitpunkt des Verbrechens 28 Jahre alt.

Ende 2004 wurden im Raum Würzburg drei junge Männer, Aussiedler aus Moldawien mit deutschen Wurzeln, als Tatverdächtige festgenommen. Zur Tatzeit 1994 waren sie 17, 18 und 19 Jahre alt. Sie kannten sich aus der Schule, von Sprachkursen, von Fördermaßnahmen und von Partys unter Landsleuten. Festgenommen wurde außerdem der Lieferant der Tatwaffe, ein damals 25-Jähriger aus der hessischen Rhön, Aussiedler aus Kasachstan.

Kein politischer Hintergrund für Mord an Ex-Leibwächter des Präsidenten

Zu Beginn wurde vermutet, dass der Mord einen politischen Hintergrund haben könnte, schließlich war der Mann Leibwächter des moldawischen Präsidenten. Gab es eine offene Rechnung aus dem Bürgerkrieg oder war der Mord Teil eines Bandenkriegs? Die Wahrheit war banaler.

Das Motiv war die Furcht einer untreuen Ehefrau vor der Rache ihres gewalttätigen Mannes. Zehn Jahre zuvor hatte sich die damals 20-jährige Olga P. , die Ehefrau des Getöteten, beim Besuch von Verwandten im Landkreis Würzburg in einen 19-Jährigen verliebt. Nachdem ihr Mann Sergej davon erfahren hatte, soll sie im Herbst 1994 einem hier lebenden Cousin, ihrem Geliebten und einem Dritten 3000 Dollar für den Mord geboten haben. „Der Sergej muss weg“,  habe sie gesagt, wie die Männer später vor Gericht erklärten.

Angst vor Angriff auf Kampfsportler

Ein „offener Angriff“ auf den durchtrainierten, 1,80 großen und über 100 Kilogramm schweren,   wegen seiner Brutalität gefürchteten Nahkampf-Profi schien unrealistisch. Der Versuch, im Frankfurter Rotlicht-Milieu eine Schusswaffe zu kaufen, ging schief. Die jungen Männer  kauften stattdessen von einem Bekannten für 500 Mark eine Schusswaffe in Form eines Kugelschreibers und übten damit in einem Waldstück.

Dann verabredeten sie sich mit dem Opfer in Ochsenfurt – angeblich für eine nächtliche Diebestour durch Gartenhäuser.  Vor der Abfahrt schütteten Bekannte der Frau dem damals 28-jährigen Ex-Leibwächter an einem Abend im Dezember 1994 ein Betäubungsmittel in den Tee. Auf einem Radweg beim Würzburger Stadtteil Heidingsfeld habe man angehalten und abgewartet, bis das Opfer auf dem Rücksitz auch wirklich fest schlief. Dann stiegen alle aus und "der Abgebrühteste von uns" (so einer der Männer später vor Gericht über seinen Mittäter), sei dann wieder eingestiegen und habe dem Opfer mit aufgesetzter Waffe in die Schläfe geschossen.

Verschnürt, beschwert und in den Main geworfen

Ihm waren 3000 Dollar versprochen. Er erhielt dafür auch die höchste Strafe. Den blutüberströmten Toten haben die Angeklagten danach erst vors Fahrzeug gelegt, ein zweiter Mann soll ihm nach Aufforderung sicherheitshalber in den Unterkiefer geschossen haben. Dann wurde die Leiche verschnürt, beschwert und in den Main geworfen. Die Lederjacke und die Schuhe des Toten hat man "da fast noch neu", der Ehefrau des Getöteten gebracht.

Elf Jahre später standen die Täter unter Mordanklage vor Gericht - "nur" vor einer Großen Jugendkammer mit reduziertem Strafrahmen. Die Begründung: Sie waren zur Tatzeit Jugendliche oder Heranwachsende. Wegen Mord und schwerem Raub wurden die längst erwachsenen Aussiedler im April 2006 zu Jugendstrafen von acht, fünfeinhalb und fünf Jahren verurteilt - abzusitzen im Strafvollzug für Erwachsene.

"Gott wird  Euch alle bestrafen"

Zwei der Angeklagten gestanden den Mord bis in Einzelheiten. Der dritte und jüngste Beteiligte, der den Schieß-Kugelschreiber „angesetzt“ haben soll,  bestritt seine Mitwirkung . Bei der Urteilsverkündung war er nicht aufgestanden, hatte demonstrativ aus einer mitgebrachten Saft-Tüte getrunken und den Richtern „Gott wird euch alle bestrafen“ zugerufen. Deshalb war er aus dem Sitzungssaal entfernt worden.

Ein vierter Angeklagter bekam wegen schweren Raubes eine Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren, von der Beteiligung an der Ermordung Sergejs wurde er freigesprochen. Kurz vor Silvester 1999 hatte die Gruppe maskiert einen Lebensmittelmarkt im hessischen Gersfeld überfallen, den Marktleiter gefesselt und mit Hinweis auf eine scharfe Waffe zur Herausgabe des Tresorschlüssels gezwungen. Mit etwa 12 000 Mark, zehn Stangen Zigaretten und dem Pkw des Marktleiters waren sie dann geflüchtet.

Die Rückkehr und Verhaftung der Witwe trotz "freiem Geleit"

Die Frau des ermordeten Leibwächters war nach dem Verbrechen 1994 nach Moldawien zurückgekehrt und hatte ihren Mann als vermisst gemeldet. Wie sie auch noch in Würzburg auf die Anklagebank kam, ist ein Fall für sich. Sie wusste, dass die deutsche Justiz gegen sie ermittelt,   anfangs wegen Beihilfe zum Mord. Dennoch wollte sie unbedingt im Prozess gegen ihre drei Helfer als Zeugin aussagen, genauer: zwei von denen entlasten.

Der Zeugin war zunächst "freies Geleit" zugesichert worden. Das bedeutete: keine Festnahme im Zusammenhang mit dem Tod ihres Mannes.  Man hatte sie aber gewarnt: Im Fall einer neuen Straftat gelte die Zusage nicht - und so kam es. Vor Gericht hat die Frau als Zeugin nach Meinung der Richter so deutlich erkennbar gelogen, dass sie unmittelbar nach ihrer Aussage festgenommen und später angeklagt wurde.

Erst Unschuld beteuert, dann gestanden

Bei Prozessbeginn, 13 Jahre nach der Tat, beteuerte sie ihre Unschuld. Kurz danach gestand sie jedoch unter Tränen, dass sie das Thema, dass ihr brutaler Mann „weg muss“, angestoßen habe. Sie nannte ihn einen „skrupellosen Verbrecher“. Gericht und Staatsanwaltschaft hatten nicht den geringsten Zweifel, dass die Ehefrau des Ermordeten die Tat, die einer Hinrichtung gleichkam, in Auftrag gegeben hatte.

Bei ihrer Verurteilung berücksichtigte das Gericht später nicht nur das Geständnis der Frau, sondern auch ihre seelische Situation in der Zeit vor dem Verbrechen: Ihr Mann sei zunehmend gewalttätig geworden, habe große Alkoholmengen konsumiert, gelegentlich seinen Kampfhund auf die Ehefrau gehetzt und ihr angedroht, dass er ihre kleine Schwester vergewaltigen werde, falls sie sich von ihm trennen sollte.

Vom Schwurgericht Würzburg ist die Witwe im Sommer 2007 wegen Anstiftung zum Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt worden - nicht wie angeklagt,   wegen Anstiftung zum Mord. Begründung: Sie sei nicht in die konkrete Tatausführung eingeweiht gewesen, habe nicht gewusst, dass ein Schieß-Kugelschreiber zum Einsatz kommt und auch nicht, dass die Täter bei dem Auftrag das Mordmerkmal „heimtückisch“ erfüllten.

 
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  • Plecherbub
    4, 5, 5,5 und 8 Jahre für Mord. 7 Jahre soll jetzt in einem Betrugs- und Unterschlagungsfall ein anderer Angeklagter ins Gefängnis! Gelddelikte werden härter bestraft als die vorsätzliche Tötung eines Menschen! Das ist mir schon öfter aufgefallen, muss man das verstehen?
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  • fabian-koenig@t-online.de
    Ja das muss man verstehen, wenn man den Artikel richtig gelesen hätte. Da die Täter zur Tatzeit noch nicht das Erwachsenenalter erreicht hatten, musste zwingend Jugendstrafrecht angewendet werden. Und das sieht per se nicht die gleichen Strafen wie das herkömmliche Erwachsenenstrafrecht vor - sonst bräuchte es das ja nicht.
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  • mausschanze
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    Wie taucht denn dieser Uralt-Tatbericht hier auf?
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  • lukaswill@yahoo.de
    Hallo,

    der gewaltsame Tod von Menschen bleibt im Gedächtnis haften. Auf viel Beachtung ist unsere Serie „Ungeklärte Kriminalfälle“ vor drei Jahren gestoßen. Nun folgen als Gegenstück dazu „Geklärte Kriminalfälle“: Eine Serie über Verbrechen in Unterfranken, an die sich viele Menschen erinnern.

    Freundliche Grüße
    Lukas Will
    Digitales Management
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  • hansi07
    Mir ging es vor einiger Zeit bei einem anderen Artikel der Serie ebenso wie Ihnen. Die Aufmachung und Bewerbung im "Newsletter" lässt erst den Eindruck erscheinen, dass es sich entweder um ein aktuelles Verbrechen handele, oder dass dies zumindest erst jetzt geklärt wurde. Mag ja sein, dass die Artikel in der Printversion klar als Serie über ältere Verbrechen mit seinerzeit großem Aufsehen erkennbar sind. Hier im Onlineteil gilt dies leider nicht für alle. Insofern ist die Verwunderung von "solala" berechtigt.
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