Das Opfer ist eigentlich keine Frau, die man sich als Anhalterin vorstellt: Magdalene H. (51 Jahre) war eine bodenständige Ladenbesitzerin. Sie wohnte mit Mann und drei Kindern im Landkreis Schwäbisch Hall, betrieb einen kleine Laden und war im Ort politisch engagiert. Als Vorsitzende des örtlichen Landfrauenvereins organisierte sie im Herbst 2001 mit Freundinnen einen lange geplanten Ausflug zum Plattensee.
Am Freitag, 28. September 2001 macht sich die Reisegruppe per Bus auf den Weg. Magdalene H. findet ihren Personalausweis nicht. Also steckt sie rasch den Reisepass ein und etwa 400 Euro Bargeld für die Reise. Um 5.40 Uhr sind alle Teilnehmer an Bord, der Bus fährt über die Autobahn Regensburg und Passau Richtung Österreich.
Schicksal: Reisepass ist abgelaufen
Gegen 17 Uhr kommt man an der Grenze zu Ungarn an. Fast zwei Stunden muss die Reisegruppe am Grenzübergang Nickelsdorf warten, auch Ungarn kontrolliert seit den Anschlägen vom 11. September in den USA die Grenzen genauer. Frau H. merkt jetzt erst, dass ihr Reisepass abgelaufen ist. „Was mache ich nur“ fragt sie ihre Nachbarin.
Die Hoffnung, dass ihr ein vorläufiger Pass ausgestellt und die Einreise erlaubt wird, zerschlägt sich jedoch. Ein Grenzbeamter macht ihr klar, dass eine Einreise nach Ungarn ohne gültige Papiere unmöglich ist. Für Magdalene H. ist somit die Reise bereits hier zu Ende. Den Vorschlag der Reisegruppe, gemeinsam zurückzufahren, schlägt sie aus. „Das kommt nicht in Frage, genießt ihr die Reise.“ Nach dem sie eine Bescheinigung über ihre Zurückweisung erhalten hat, versucht sie, jemanden zu finden, der sie mit zurücknimmt - auch per Anhalter.
Zuhause in Schwäbisch Hall kommt sie nie an. Als sich eine Teilnehmerin der Reisegruppe bei der Familie H. telefonisch über die Rückkehr der Ehefrau erkundigen will, erfährt der Ehemann von den Schwierigkeiten seiner Frau. Er erstattet Vermisstenanzeige.
Leiche lag unter Zweigen versteckt
Acht Tage später finden zwei fränkische Landwirte unter Zweigen versteckt eine Frauenleiche in einem Waldgebiet in Thurnau bei Kulmbach– 650 Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt. Ihr wurde die Kehle durchgeschnitten, die Leiche liegt nahe einer Raststätte. Die Tote aus dem Wald ist Magdalena H., aber wie kam sie dorthin?
Ermittler registrieren drei wichtige Indizien: Neben einem Teil ihrer Kleidung und ihrem Koffer sind auch ihre 400 Euro Reisegeld verschwunden. Sie trägt nicht mehr das T-Shirt, von dem Mitreisende berichtet hatten, sondern nur eine Jacke auf der blanken Haut. Und in der klaffenden Schnittwunde finden Rechtsmediziner einen winzigen Schnipsel jenes Klebebandes, mit dem sie gefesselt in den Wald geführt wurde, ehe ihr der Täter die Kehle durchschnitt.
Der Fall der toten Anhalterin sorgt für großes Aufsehen – vor allem, als zwei Wochen später die ZDF-Fahndungssendung „Aktenzeichen XY ungelöst“ berichtet. Ende Juni 2002 wird der Fall ein zweites Mal im MDR bei „Kripo live“ vorgestellt.
Polizei überprüft mehrere Hundert Autofahrer
Eine große Hilfe für die deutsche Polizei ist eine Liste der ungarischen Polizei. Alle Fahrzeuge, die die Grenze zum fraglichen Zeitpunkt passiert haben, werden mit Kennzeichen erfasst. Hunderte von Kennzeichen werden überprüft. Der Polizei gelingt ein Treffer: Helmut M. (Name geändert), ein Autofahrer, der in Oberfranken nicht weit vom Fundort der Leiche wohnt.
M. wehrt sich zunächst gegen den Vorwurf der Polizeibeamten, dass er sich nicht schon früher gemeldet hat. Er habe viel in Ungarn gearbeitet und von der Sache nichts mitbekommen. Er habe auf der Heimreise aus Ungarn das Opfer kurz nach 19 Uhr an der Grenze mitgenommen, sagt M. in der Zeugenvernehmung. Schließlich befand sie sich in Not. Und er freute sich über etwas Gesellschaft auf der langen Autofahrt.
Das Opfer soll in Regensburg übernachtet haben, ist aber nirgends registriert
Man habe ein nettes Gespräch geführt, aber Magdalene H. habe es abgelehnt, ihren Mann über sein Handy anzurufen. Die Fahrt führt über Wien nach Regensburg. Gegen 22 Uhr sei die Frau am Rastplatz Regenburg/Ost an der A 3 ausgestiegen. Sie habe mit einem Taxi in die Innenstadt von Regensburg fahren und dort in einem Hotel übernachten wollen. Am nächsten Tag wollte sie mit der Bahn die Heimreise antreten, sagt M. den Beamten.
Zwar wurden auf dem Beifahrersitz Haare von Magdalene H. gefunden. Dies wurde jedoch darauf zurückgeführt, dass das Opfer als Beifahrer im Auto saß. Doch dies hatte der Mann ja zugegeben. Überdies gibt ihm seine getrennt lebende Frau ein Alibi. Ihr Mann habe längere Zeit mit dem Handy mit ihr telefoniert.
Doch Ermittlungen in Regensburger Hotels bringen die Kripo nicht weiter. Dort hat keine Magdalena H. übernachtet. Was die Befrager wundert: Der Zeuge wirkt nervös. Zunächst kann er sich angeblich nur vage an seine Mitfahrerin erinnern, wie es später im Prozess heißt. Als die Kripo hartnäckig nachfragt, seien ihm plötzlich – letztlich unglaubwürdig – doch eine Fülle von Details eingefallen.
Zeuge verwickelt sich in Widersprüche
Der Ex-Manager verstrickt sich immer mehr in Widersprüche. Dann finden Kripo-Beamte die wichtigste Spur: Während die ahnungslose Magdalene H. im Auto wartete, hatte Helmut M. in einer Raststätte in Österreich ein Klebeband der Marke gekauft, mit dem das Opfer später gefesselt worden war. Und er kann nicht sagen, wofür er Klebeband gebraucht hat.
Anfang Juli 2003 wird Haftbefehl erlassen. Ende Juli 2003 hat jedoch die Haftprüfung vor dem Oberlandesgericht Erfolg, der Verdächtige wird wieder auf freien Fuß gesetzt. Nur wenige Tage später wird erneut Haftbefehl erlassen, der Tatverdächtige musste bis zum Prozessauftakt in U- Haft
Vor dem Landgericht Bayreuth geht die Anklage 2003 davon aus, dass es ihm um die 400 Euro Bargeld von Magdalene H. ging. Denn der Angeklagte steckte in großen finanziellen Schwierigkeiten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, aus Habgier die Geschäftsfrau getötet zu haben und klagt ihn deshalb wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub an. Doch dann reichen die Beweise nicht aus. Der Angeklagte wird aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Doch die Ermittler geben nicht auf,gehen für eine zweite Chance sogar vor den Bundesgerichtshof.Der entscheidet: Das Landgericht Würzburg soll 2007 den Fall von 2001 erneut verhandeln.
Das Landgericht Würzburg fällt das Urteil: Zehn Jahre Haft
Inzwischen ist der einst erfolgreiche Manager tief gefallen, wie er selbst vor Gericht erzählt. Der Abstieg begann, als er sich entschloss, sich selbstständig zu machen. Er steckte viel Geld in Call-Center in der Türkei und Ungarn und verlor ein Vermögen. Er brauchte Geld und er sah nur einen Ausweg: Die Erpressung des Shell-Konzerns. Das ging schief. Helmut M. kassierte dafür 2003 eine Haftstrafe von vier Jahren.
Im Prozess in Würzburg bleibt er nicht nur an dem Klebeband in der Wunde des Opfers „kleben“. Die Beweislage ist nun viel besser: Ermittler haben inzwischen die Handy-Daten von Helmut M. überprüft und wissen: Das angebliche lange Handy-Gespräch mit seiner Frau während der Fahrt, das ihn entlasten sollte, war frei erfunden. Im Zeugenstand gibt die Ex-Frau das auch zu. Und bei einer genaueren Suche finden Kriminaltechniker in der Innentür seines Wagens eine Blutspur des Opfers.
Ein psychiatrischer Gutachter sagt: Der frustrierte Angeklagte habe es nicht ertragen, von der heilen kleinen Welt zu hören, von der ihm Magdalene H. während der Fahrt erzählte. Den Entschluss, die Frau zu töten, habe er jedoch erst später gefasst. Primäres Ziel war es, die Frau ruhig zu stellen, er wollte nichts von dem Glück anderer hören.
Der Angeklagte beteuert in seinem letzten Wort seine Unschuld – vergeblich. Mord kann ihm das Gericht nicht nachweisen. Aber es verurteilt ihn am 11. Mai 2007 wegen Totschlags und Unterschlagung zu zehn Jahren und sechs Monaten Haft, dazu kommt die Haftstrafe wegen Erpressung. Die Revision beim BGH in Karlsruhe wird am 19. Dezember 2007 verworfen, das Urteil ist rechtskräftig.