Seit sieben Jahren sitzt Stefan E. eine lebenslange Haftstrafe wegen Mordes ab – zu Unrecht? Längst schien Gras über den Fall zu wachsen, das Verfahren ist seit Jahren rechtskräftig abgeschlossen. Aber noch immer wird in Uffenheim und Umgebung (an der Grenze zwischen Mittel- und Unterfranken) geredet über den Astmord.
Der tragische Tod seiner Arbeitgeberin, der 50-jährigen Bäuerin Gerlinde G., hatte 2009 für viel Aufsehen in Franken gesorgt. Der 24-jährige Mitarbeiter geriet unter Verdacht, sie bei Holzarbeiten im Wald erschlagen zu haben, weil sie ihm – anders als versprochen – den Hof nicht übergeben wollte. Das Nürnberger Landgericht stützte sich stark auf dieses Motiv bei der Verurteilung wegen Mordes.
"Der Mann sitzt zu Unrecht hinter Gittern"
Der Würzburger Strafverteidiger Norman Jacob hatte E. im Prozess verteidigt. Noch Jahre nach dem Urteil und dem (erfolglosen) Antrag auf Revision war er überzeugt: „Das Urteil ist falsch. Der Mann sitzt zu Unrecht hinter Gittern.“ Auch eine gescheiterte Revision nach dem Urteil konnte seine Meinung nicht ändern.
Jahrelange Nachforschung seiner Kollegen Jan Paulsen und Norman Jacob jr. und von ihm in Auftrag gegebene Gutachten förderten Fakten zutage, die den Fall in neuem Licht erscheinen lassen. Ein Rechtsmediziner stellte anhand von Fotos fest, dass ein Mord durch „eine Abscherung der Kopfhaut, wie sie bei der Obduktion festgestellt wurde, durch einen Schlag von hinten mit einem Ast nicht erfolgen kann“.
Genau das hatte das Nürnberger Gericht in seinem Urteil aber angenommen. Ein weiterer Gutachter wies 2014, also fünf Jahre nach dem Vorfall, im Waldboden massive Blutspuren nach. Aber an einer anderen Stelle als das Gericht glaubte. Die Kripo hatte möglicherweise den falschen Tatort angegeben, glauben die Anwälte. Von einem „fehlerhaft durchgeführten ersten Angriff durch die Ermittlungsbehörden am 09.01.2009“ ist in dem Wiederaufnahmeantrag die Rede.
Antrag auf Wiederaufnahme im Herbst 2017 gestellt
Im Herbst 2017 stellten die Anwälte im Namen der Familie des Verurteilten den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens, obwohl die Aussichten zunächst schlecht schienen. Bundesweit liegen die Erfolgschancen eines Antrags auf Wiederaufnahme eines Verfahrens mit rund drei Prozent noch niedriger als die eines Revisionsverfahrens, also 90 Erfolge bei 3000 Versuchen – nicht viel bei 800 000 rechtskräftig erledigten Strafverfahren pro Jahr in Deutschland.
Kaum einer weiß das besser als Gerhard Strate. Der Hamburger Strafverteidiger ist bundesweit einer der wenigen Experten auf diesem Gebiet. In Würzburg brachte er von zehn Jahren den rechtskräftig abgeschlossenen Fall eines Bauernverbands-Funktionärs erneut vor Gericht, der seiner Frau mit gefrorenem Rindfleisch auf den Kopf geschlagen hatte. Bekannt wurde Strate durch den Fall Gustl Mollath.
Generell wenig Chance auf eine Wiederaufnahme
Der Reiz für den Verteidiger liege darin, „dass die Erfolgschancen für eine Wiederaufnahme ungefähr bei denen der Färöer in einer Fußball-WM-Qualifikation liegen,“ urteilte ein Kollege Strates zunächst: „Wenn es gelingt, ist es immer eine Sensation.“ Strate aber schaffte es, den Fall erneut vor Gericht zu bringen – und zwar am Landgericht in Regensburg, wo jetzt auch über die Wiederaufnahme des Astmordes entschieden werden soll.
Inzwischen wächst bei seinen Würzburger Kollegen die Hoffnung auf einen ähnlichen Erfolg. Denn in Regensburg gibt es jetzt deutliche Signale dafür: „Die Staatsanwaltschaft hat zum Wiederaufnahmeantrag Stellung genommen und erklärt, dass sie diesen für zulässig und begründet erachtet,“ sagte auf Nachfrage dieser Redaktion Britta Wankerl, Pressesprecherin des Gerichts.
Erfreut darüber zeigt sich die Familie des Verurteilten, die von seiner Unschuld überzeugt ist. „Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen und wissen, dass wir noch ein gehöriges Stück Weg vor uns haben, bis zu einem Freispruch,“ sagte Anwalt Jan Paulsen. „Aber die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft ist für uns ein deutlicher Beleg dafür, dass wir bedenkenswerte Fakten für einen neuen Prozess präsentiert haben“, ergänzt sein Kollege Norman Jacob jr.
Nun gibt das Gericht laut Britta Wankerl noch der Nebenklage (den Angehörigen der Getöteten) Gelegenheit zur Stellungnahme. Dann bekommen die Anwälte – und der in der Zelle schmorende Stefan E., der seine Unschuld beteuert – Bescheid: „Es ist beabsichtigt, bis spätestens Anfang nächsten Jahres über den Fortgang des Verfahrens zu entscheiden,“ sagt die Gerichtssprecherin.
Ich halte diesen Ausdruck für sehr unpassend in einem Zeitungsartikel.