
Das sind die Szenen, die der Fernsehzuschauer nicht mitbekommt. Augenblicke, die in einer Live-Schaltung immer mal passieren können: "Denk dran, Du stehst nicht am Mittelpunkt Europas, sondern am Mittelpunkt der EU", funkt Redakteur Uwe Kirchner ins Ohr von Yared Dibaba, der das in seiner Moderation kurz mal verwechselt hat. Und wahrscheinlich jetzt sein Leben lang nicht mehr vergisst. Sei's drum. Später erklärt er Veitshöchheim dafür zum "Nabel der Welt", gar zum "Epizentrum des Frohsinns", als er mit Fastnachts-Ehrenpräsident Bernhard Schlereth vor den Mainfrankensälen steht und über die berühmte Fastnacht in Franken spricht.
Veitshöchheim hat es mal wieder ins Fernsehen geschafft. Und ja, irgendwie spielt Fasching auch eine Rolle dabei, aber nicht die Hauptrolle. Es geht um den Veitshöchheimer Ortsteil Gadheim, um Fußball und um Europa. Denn in dem Mini-Dorf mit seinen 80 Einwohnern ist in der Nacht auf den 1. Februar 2020 Historisches passiert.
Ausgerechnet ein Acker bei Gadheim wurde zum geographischen Mittelpunkt der EU, weil Großbritannien aus der Staatengemeinschaft ausgetreten ist. Welch ein Glück für Bürgermeister Jürgen Götz, der es damit sogar damals ins japanische Fernsehen geschafft hat. Und jetzt sendet die ARD im Morgenmagazin (Moma) aus der Mitte der EU, weil es der optimale Ort ist, um über die Fußball-Europameisterschaft zu berichten, die in zehn europäischen Städten und dem asiatischen Baku jetzt beginnt.
Worüber sich Veitshöchheims Bürgermeister mit dem norddeutschen Moderator Dibaba unterhält
Freitagfrüh ist von Fußballstimmung in Veitshöchheim noch wenig zu spüren. Gerade erst ist die Sonne über Gadheim aufgegangen, zwei Frauen walken am Mittelpunktsstein vorbei und gefühlt alle paar Minuten fährt ein Bus den EU-Mittelpunkt an. "Sie haben aber eine gute Taktung hier", schnakt Yared Dibaba kurz vor der ersten Live-Schaltung noch mit dem Bürgermeister. Und der steigt lässig in die Plauderei ein. "Moin", sagt Götz zur Begrüßung und erklärt, dass die Hauptstraße nach Gadheim gerade gesperrt ist. Nur deswegen fahren die Busse so oft hier lang.
Dibaba hätte eher damit gerechnet, dass Götz ihn mit einem "Servus" begrüßt. Jetzt haben die beiden ihr Gesprächsthema. Götz erzählt, dass er lange Zeit im Norden Deutschlands gearbeitet hat. "Ich werd' verrückt. Dann kennen Sie ja meine Ecke ganz gut", freut sich Dibaba. Die beiden kommen klar miteinander, der Bürgermeister ist mittlerweile ein Medienprofi. "Noch sieben Minuten", ruft Redakteur Kirchner – kurzes Sammeln, nochmal den Moderationstext durchgehen, einmal kurz gedehnt und schon blickt ganz Deutschland wieder einmal nach Gadheim.
Das Frankenlied, die Würz und der Tanz hinter den Kulissen
Drei Minuten und dreißig Sekunden dürfen Götz und Dibaba vor laufender Kamera miteinander reden. Dann muss schon wieder ans Studio in Köln abgegeben werden, weil pünktlich um 7 Uhr die Tagesschau beginnt. Es wird ein lockeres Gespräch, das die beiden führen. Der Bürgermeister soll erzählen, wie sich sein Job durch den Medienrummel verändert hat. "Sie können doch gar nicht mehr schlafen, oder? So viel haben Sie jetzt zu tun", fragt Dibaba. Aber der Bürgermeister bleibt fränkisch bescheiden – und beruft sich stolz auf die europäischen Wurzeln, die die Veitshöchheimer haben.
Im Kölner Studio wurde derweil hinter den Kameras fleißig zum Frankenlied getanzt, erzählt Sport-Moderator Peter Großmann, der mittlerweile wieder zugeschaltet ist und in gut einer Woche auch ins Frankenland kommt, um von Veitshöchheim aus täglich live mit Gästen über die Europameisterschaft zu sprechen. Bis dahin ist es aber noch Zeit und Moderator Dibaba muss seinem Kollegen schonend beibringen, dass Veitshöchheim nicht an der Würz liegt, sondern am Main.
Warum Veitshöchheim nicht an der Würz liegt
Wie kommt er darauf? Na ja, gut dreieinhalb Jahre ist es her, da verortete Großmann Würzburg an den Fluss Würz – könnte ja vom Namen her auch irgendwie logisch sein. Wuppertal liegt ja beispielsweise auch an der Wupper. Aber eben Würzburg nicht an der Würz. Deswegen sorgte Großmann mit seinem Versprecher für viel Heiterkeit. Selbst Tagesschau-Sprecher Jan Hofer nutzte die Steilvorlage und gab mit einem Schmunzeln nach den Nachrichten aus Hamburg wieder ab "zurück an die Würz" ins Studio nach Köln.
Freilich lässt sich Dibaba diesen Fauxpas seines Sport-Kollegen nicht entgehen. "Hochrangige Journalisten haben einen neuen Namen für diesen Fluss entwickelt", frotzelt er, während er sich in einem Motorboot entspannt über den Main schippern lässt. Dann zeigt er den Fernsehzuschauern noch einmal die Fernsehbilder von damals als Beweis.
Derart entspannt ist er dabei, dass er früher als geplant den Beitrag ankündigt und das Band abgefahren wird – da ist das Boot noch weit vom Anleger entfernt. Kollege Mario am Steuer gibt Gas, denn Dibaba soll, noch während die Fernsehzuschauer zuhause die aufgezeichneten Bilder vom Würz-Lacher gezeigt bekommen, am Steg sein. Es wird knapp. So knapp, dass Mario mit halber Wucht den Anleger rammt und der Kameramann das Bild kurz verwackelt.
Warum in Veitshöchheim ein Fernsehstudio aufgebaut wird
"Das ist eben live", kommentiert Redakteur Kirchner, der den Wackler vom Übertragungswagen aus mit einem Lächeln beobachtet. Aufgeregt sind die Fernsehleute nicht. Für Kirchner ist das alles Routine - und ein ruhiger Vormittag. "Nächste Woche wird's dann schon brutaler", sagt er.

Denn dann, wenn im Rathausinnenhof ein kleines Fernsehstudio aufgebaut ist und Peter Großmann mit bekannten Sportlern über die Fußball-EM sprechen wird, Moderator Dibaba fränkische Kultur präsentiert oder Künstler live auftreten, sind die Schaltungen nach Veitshöchheim länger als drei Minuten. Vom 21. bis 25. Juni und zu den Halbfinals vom 5. bis 9. Juli heißt es dann täglich zwischen 5.30 Uhr und 9 Uhr in der ARD: "Wir schalten jetzt nach Veitshöchheim zum Mittelpunkt der EU."