Einmal im Jahr - und zwar stets im Januar - gehen die Architektenbrüder Peter und Christian Brückner gemeinsam für ein paar Tage nach Griesbach in Klausur. Dann halten sie inne vom hektischen Alltag und blicken zurück auf das vergangene Jahr. Gleichzeitig stellen sie sich aber auch die Frage „Wo wollen wir morgen oder übermorgen hin?“ Denn seit 1996, als sie den Architektenwettbewerb für das Museum im Kulturspeicher gewonnen und den Umbau des alten Speichergebäudes zum modernen Kunstmuseum realisiert haben, das 2002 eröffnet wurde, hat sich eine Menge ereignet im Leben der aus dem oberpfälzischen Tirschenreuth stammenden Brüder.
Der 2002 eröffnete Kulturspeicher war ihr erstes gemeinsames Bauprojekt und brachte ihnen in der Architektenszene viel Beachtung, eine ganze Reihe hochkarätiger Preise sowie zahlreiche Veröffentlichungen in den Fachmedien ein. Kein Wunder also, dass die architektonische Handschrift der beiden bis dato unbekannten Newcomer plötzlich stark gefragt war.
Architektur muss zu den Menschen passen
Jetzt lassen sie ihr architektonisches Schaffen Revue passieren und haben sich dafür ein dickes, über 400-seitiges Buch mit dem Titel „Wurzeln und Flügel“ gegönnt, das im Birkhäuser Verlag erschienen ist. Es ist gleichermaßen ein Bild- und Textband geworden, in dem die beiden Brüder ihr architektonisches Denken und die daraus resultierenden Ergebnisse offenlegen.
Es gab zwischenzeitlich viele Bauherren, die sich die Dienste von Brückner & Brückner sicherten. Allerdings ist dies nicht immer ganz einfach, wie Christian Brückner im Gespräch erklärt. Denn für die beiden Baumeister ist das persönliche Verhältnis zu ihrem Auftraggeber von großer Wichtigkeit. „Wir geben schließlich das Geld anderer Menschen aus. Da muss die Architektur zu diesen Menschen passen“, erklärt Brückner. Die müssten ja schließlich Jahrzehnte in diesen Häusern leben oder arbeiten. „Deshalb kommen wir zunächst mit Fragen zum Bauherrn. Da merkt man dann recht schnell, ob das zusammenpasst." Und wenn nicht? „Dann lassen wir es eben bleiben“, sagt Brückner entschlossen.
Allzu oft haben sie es offenbar nicht bleiben lassen, denn das Werkverzeichnis am Ende des Bandes weist zwischen 1996 und 2018 immerhin knapp 120 Positionen aus. Das Buch ist aber weit mehr als ein Katalogband, der chronologisch die Brückner-Bauten aufzählt und abbildet. Als Leser muss man zunächst einmal gut 150 Seiten hinter sich bringen, ehe ein Gebäude in kompletter Ansicht zu sehen ist. Die gibt es dafür umso ausführlicher in dem Kapitel "Vom Bauen", in dem 36 ausgewählte Projekte ausführlich vorgestellt werden. Dabei spielen der Kulturspeicher und der Umbau des benachbarten Heizkraftwerkseine nicht unwesentliche Rolle. Man erfährt hier auch von Kirchenbauwerken, Häusern der Begegnung, Kindergärten oder dem Erinnerungsort "Einschnitt" im Münchner Olympiapark für die Opfer des Attentats während der Olympischen Spiele 1972. Diese Einteilung hat einen guten Grund.
„Unsere Architektur hat einen größeren Kontext als den Frontalblick auf die Häuser“, sagt Christian Brückner. Sie sei nur ein kleiner Teil von etwas, das sie nur bedingt beeinflussen könnten, nämlich Landschaft und Natur. Deshalb findet der Leser im ersten Teil viele Landschaftsaufnahmen und Architektur eher nur im Detail im Hinblick auf die Materialität. Denn das verwendete Material spielt in der Brückner-Architektur eine sehr wichtige Rolle. Deshalb wird in Wort und Bild erklärt, warum welche Baustoffe Verwendung finden. Dafür lassen die Architekten Schreiner, Steinmetze, Schlosser, Glas- und Stoffhersteller, Bildhauer, bildende Künstler und Architekturjournalisten zu Wort kommen. „Architekten neigen oft dazu, zu glauben, dass sie alles können und wissen, aber wir brauchen immer wieder Unterstützung durch Menschen, die ein spezifisches Fachwissen haben“, beschreibt Christian Brückner diesen Ansatz. Deshalb gibt es in dem Buch nicht nur architekturspezifische Texte, sondern auch Essays, Gedichte und Anekdoten.
Neben dem Material kommt es den Brückners ganz zentral auf den Ort an, an dem ein Gebäude entstehen soll. Deshalb begeben sie sich zunächst immer auf Spurensuche und überlegen sich: Was könnte hier wachsen? "Dabei versuchen wir, das Wesen und den Charakter des Ortes zu erfassen und diesem Charakter eine Form zu geben. Das Prinzip 'form follows function' funktioniert für uns so nicht", erklärt der Architekt. Den Brückners geht es darum, was ein Gebäude an einem bestimmten Ort bewirkt. Das lässt sich in Band an vielen Beispielen bildhaft nachvollziehen. Da werden beispielsweise Formen aus der Umgebung aufgenommen oder auch bewusst Altes und Neues kontrastiert. Oder wie beim Kulturspeicher eine bestehende Form vorsichtig ergänzt, wobei Bestand und Anbauten durch das mit Bedacht ausgewählte Material gleichzeitig ergänzt und voneinander abgesetzt werden. "Fortschreiben von Geschichte" nennen das die Architekten-Brüder. Oder wie es Christian Brückner in einer Gleichung ausdrückt: "Eins und eins ist wieder eins geworden."
Architektur ist Lebensraum für Menschen
Ihre Motivation für das Bauen sehen die beiden Brüder darin, Lebensräume für Menschen zu bauen. Da verwundert es fast ein wenig, dass sich in dem Buch kein Beispiel für Geschosswohnungsbau findet. "Ja, das fehlt. Das haben wir noch nicht gemacht", sagt Christian Brückner. Woran das liegt? Christian Brückner überlegt: "Vielleicht, weil wir bei dieser Art des Bauens nicht so nahe am 'Endverbraucher' sind." Allerdings legt das Buch nahe, dass die beiden Brüder eine prägnante, wiedererkennbare architektonische Handschrift gefunden haben, so verschiedenartig die Gebäude in ihrer Darstellungsform auch sein mögen.
Alleine bauen ist keine Option
Das Büro Brückner & Brückner hat inzwischen zwei Standorte. Das Tirschenreuther Büro leitet Peter Brückner, der ältere der beiden Brüder, für die Würzburger Dependance ist Christian Brückner zuständig. Christian Brückner hält diese räumliche Trennung für sinnvoll, auch wenn alle Projekte gemeinsam geplant werden. "Wenn wir uns treffen, herrscht eine unglaubliche Intensität", erzählt er. "Wenn wir tagtäglich Schreibtisch an Schreibtisch säßen, wäre das nicht so." Die Diskussionen zwischen den Brüdern können schon heftig sein, sagt Christian Brückner. Andererseits: "Wir haben eine unglaublich gute und intensive gemeinsame Basis." Dass ein einzelner von ihnen ein Projekt allein übernähme, hält Christian Brückner für ausgeschlossen: "Zwischen mir und meinem Bruder gibt es so etwas nicht." Oft wüssten sie nämlich am Ende eines Entwicklungsprozesses gar nicht mehr genau, welche Idee von wem stammt.
Das Buch ist für die beiden Architekten ein "Meilenstein", denn damit sei ihr bisheriges Wirken umfassend dokumentiert. "Jetzt blicken wir nach vorne", sagt Christian Brückner.