Über vier Jahrzehnte war er am Würzburger Uniklinikum tätig, in den vergangenen fünf Jahren lenkte er deren Geschicke als Ärztlicher Direktor. Und auch mit 70 Jahren geht der Kardiologie Prof. Dr. Georg Ertl nicht in den Ruhestand, sondern er freut sich auf seine Arbeit als Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Zudem kehrt er als Seniorprofessor ans Deutsche Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) zurück, einer seiner Lieblingsprojekte auf dem Klinikcampus. Ein Gespräch über Druck in einer Uniklinik, ihre Entwicklung und Extreme in der eigenen Amtszeit.
Prof. Georg Ertl: Da gab es große Unterschiede. Ich habe 1968 zu studieren begonnen, in dieser politisch bewegten Zeit hatten viele auch Interessen abseits der Medizin. Deren soziale Verantwortung rückte mehr in den Mittelpunkt. Bei mir selbst wurde es – ungeplant – eine Universitätskarriere, ein starker Leistungswille war Voraussetzung dafür. Für Wissenschaft, Lehre und einen guten Zugang zu den Patienten reichen acht Stunden nicht aus.
Ertl: Ich arbeite gern, Workaholic bin ich nicht. Ich weiß gerade jetzt die freie Zeit zu schätzen.
Ertl: Ich spiele Klavier, wandere gerne in den Bergen, unternehme Radtouren zusammen mit meiner Frau. Auch Literatur kann ich genießen.
Ertl: Ich denke, ein Faktor ist die absolute Sachlichkeit, für die man als Wissenschaftler ausgebildet ist. Man lässt sich nicht von Emotionen lenken. Zweitens hilft ein Vertrauen in sich selbst, das eigene Fehler verzeiht. Man ist weniger Stress ausgesetzt in dem Bewusstsein, dass man Fehler macht und zu ihnen steht. Und drittens bekommt man weniger Stress mit Menschen, wenn man sie gut einschätzen kann.
Ertl: Die Geschwindigkeit hat sich enorm erhöht. Als ich angefangen habe, waren die Liegezeiten der Patienten im Schnitt 13 bis 15 Tage. Heute sind es drei bis fünf. Diese kürzere Zeit muss viel besser durchstrukturiert sein. Zweitens hat sich die Medizin bei Therapien und Medikamenten unglaublich entwickelt – was dazu führt, dass die Patienten immer älter und komplexer werden und an mehreren Krankheiten leiden. Gleichzeitig wächst das medizinische Wissen und führt zu weiterer Spezialisierung. Das ist ein gewisser Widerspruch.
Ertl: Die Medaille hat zwei Seiten. Patienten in Deutschland waren früher viel zu lange im Krankenhaus. Heute stellen wir die Patienten möglichst schnell auf die Beine und sie erholen sich daheim, die Gefahr etwa von Krankenhauskeimen oder Thrombosen wird vermindert. Mich persönlich hat wirtschaftlicher Druck nie davon abgehalten, Patienten so zu behandeln, wie es medizinisch sinnvoll war.
Ertl: Ich könnte mir vorstellen, dass der Druck in medizinischen Wirtschaftsbetrieben eine Rolle spielt. Und ich sehe, dass unsere jungen Kollegen über nichtärztliche Tätigkeiten klagen. Die gab es aber immer schon.
Ertl: Ich habe als Kind meinem Vater bei der Kassenabrechnung geholfen. Da mussten wir 3000 Scheine stempeln und irgendein Formular anheften.
Ertl: Nun ja... Es gibt aber auch mehr nichtmedizinisches Personal, das dabei hilft. Falsch wäre gewiss zu sagen: Wir können keine Medizin mehr machen, weil wir bürokratisch überlastet sind. Schon gar nicht an einem Universitätsklinikum.
Ertl: Das sieht relativ gut aus. Wir müssen keine Aktionäre bedienen und schreiben traditionell schwarze Zahlen.
Ertl: Denkbar, wenn Gewinne für Dritte erwirtschaftet werden müssen. Bei der Uniklinik spielt der ökonomische Druck aber nicht die entscheidende Rolle.
Ertl: Es ist schwierig zu sagen, ein Eingriff sei überflüssig gewesen und nur ökonomisch getrieben. Vielleicht bekommen Patienten in anderen Ländern keine künstlichen Hüften oder Herzkatheter, weil einfach die Ressourcen nicht da sind. Ich will aber nicht ausschließen, dass auch Untersuchungen oder Operationen zuviel gemacht werden. Letztlich müssen wir uns an den Ärztekodex halten und dem Patienten erklären, ob und warum ein Eingriff medizinisch sinnvoll ist.
Ertl: Ich glaube, wir können unsere Ressourcen nicht danach ausrichten, was vielleicht alle paar Jahre mal kommt. Wir müssen nur wissen, wie wir uns dann schnell darauf einstellen. Und das ist in Deutschland hervorragend gelungen. Der entscheidende Faktor ist das Personal. Intensivbetten mit Beatmungsgeräten können wir relativ rasch vermehren. Wir verfahren nach einem Stufenmodell: Wir rüsten so genannte Intermediate-Care-Stationen zu Intensivstationen auf. Aber qualifiziertes Personal dafür zu haben, ist das Hauptproblem. Aber trotz mittlerweile vieler Monate der Pandemie kommen wir eigentlich gut zurecht.
Ertl: Das ist sicher so. Wir müssen den Personalstamm erweitern, der bei Bedarf auf die Intensivstation gehen kann. Diese Lehre haben wir gezogen. Leider haben wir eine starke Statik im Pflegeberuf. Hier muss man ansetzen. Eine besondere Qualifikation, zum Beispiel für Intensivmedizin, muss attraktiv sein und bezahlt bleiben, auch wenn die Pflegekraft den Bereich wechselt.
Ertl: Es klingt etwas zynisch. Aber es war für mich auch eine spannende Zeit mit großen Aufgaben und ganz neuen Blickwinkeln: festzustellen, dass auch Medizin an Grenzen stößt. Es war nicht das erste Virus und wird nicht das letzte Virus gewesen sein. Im Übrigen: Stellen Sie sich vor, es wäre nicht ein biologisches Virus, sondern ein Virus im Netz, das die Industrie und komplette Kliniken lahmlegt. Die möglichen Folgen sind gar nicht auszumalen.
Ertl: Es war mein erster breiterer Kontakt mit internationalen Medien und von daher sehr lehrreich. Da saßen plötzlich zwei junge Leute vorm OP und haben sich als Angehörige ausgegeben. Später stellte sich heraus, dass sie von einer Hongkonger Zeitung waren. In den Griff bekommen haben wir den Mediendruck, indem wir dann sehr offensiv und aktuell kommuniziert haben.
Ertl: Ich hatte keine Angst um die Patienten. Sie waren kritisch verletzt. Aber ich wusste, dass sie bei unseren Chirurgen in allerbesten Händen sind und alles Mögliche und Nötige getan wird. Deshalb konnte ich mit breitem Kreuz vor die Öffentlichkeit treten. Als Wissenschaftler ist man geschult darin, Dinge vor einem kritischen Auditorium zu vertreten. Das hat geholfen.
Ertl: Es war die größte Herausforderung, denn da hätte viel anbrennen können. Die Vorstellung, die Kopfklinik im Bestand neu zu bauen – und dann noch Corona... furchtbar! Keiner wusste so richtig, wohin man die Stationen während der Bauzeit verlagern sollte. Insofern war die Entscheidung für den Ankauf des Erweiterungsgeländes im Norden ein Befreiungsschlag.
Ertl: Eine Erweiterung der Frauenklinik war aus Platzgründen im Altgelände nicht mehr möglich – eine Zusage hatten wir aber zunächst nur für den Neubau der Kopfklinik. Dass wir nun auch gleichzeitig das neue Zentrum Frauen-Mutter-Kind planen können, hat einen entscheidenden Vorteil: Die Kliniken hängen funktional zusammen, beides sind operative Fächer, wir können die Zentral-OPs gemeinsam nutzen. Aber das hat die Kosten entsprechend gesteigert.
Ertl: Hygiene wird eine noch stärkere Rolle spielen und man wird in der Bauplanung noch mehr abtrennbare Bereiche vorsehen.
Ertl: Der Architektenwettbewerb ist ausgeschrieben. Aber wir müssen akzeptieren, dass im Lande Bayern sehr viel gebaut wurde und wird – und auch in Bayern die Mittel begrenzt sind.
Ertl: Das glaube ich nicht. Aber sicherlich muss man weiter mit allen politischen Kräften aus der Region am Ball bleiben. Hier findet ein Verteilungskampf im Freistaat statt, da muss es gerecht zugehen.
Ertl: Das ist enorm wichtig, auch für den Bürokratieabbau. Da hat uns die Digitalisierung bisher noch nicht das Erhoffte abgenommen. Aber man muss immer sehen: Medizin kann nicht der Computer machen. Im Mittelpunkt steht immer die Beziehung zwischen Arzt und Patient. Als Mediziner haben wir den Anspruch, dass die Informatik eine Hilfswissenschaft bleiben muss.