"Ich habe richtig Angst. Dieser Winter wird die Hölle!", sagt Zeynep N.. Die 44-Jährige ist Mutter von vier Kindern und seit vielen Jahren alleinerziehend. Mit den drei jüngeren Söhnen lebt sie in einer Mietwohnung in einem kleinen Ort in Unterfranken. Ihr Ältester ist schon ausgezogen und studiert. Nun heißt es, mit wenig Geld durch einen Winter zu kommen, in dem die Preis für Lebensmittel, Gas, Benzin und Strom weiter und weiter steigen.
"Ich bin sehr sparsam und kann sehr gut wirtschaften", sagt Zeynep N.. "Aber noch mehr sparen, geht einfach nicht." Angesichts der hohen Energiekosten und Teuerungen fragt sie sich: "Wie soll ich das alleine stemmen?"
Jede dritte alleinerziehende Mutter: weniger als 1500 Euro netto im Monat
In Deutschland wachsen über zwei Millionen Kinder mit nur einem Elternteil auf, zu 90 Prozent sind es die Mütter. Das Risiko, in Armut zu leben, ist für Alleinerziehende besonders hoch. 43 Prozent der Ein-Eltern-Familien gelten als einkommensarm, das zeigt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2021. Mehr als ein Drittel der alleinerziehenden Mütter verdient demnach weniger als 1500 Euro netto im Monat, sieben Prozent sogar unter 900 Euro netto. Die Energiekrise und die Inflation trifft diese Familien mit niedrigem Einkommen besonders hart.
Zeynep N. ist in Unterfranken geboren. Ihre Eltern kamen als Gastarbeiter aus der Türkei nach Deutschland. In ihrem Leben sei nicht alles gut gegangen, sagt die 44-Jährige. Ihre Ehe sei arrangiert worden von den Eltern - und nicht glücklich verlaufen. "Mein Mann hat mich immer wieder betrogen." Aber, sagt Zeynep N., sie sei eine starke Frau. Und bekräftigt: "Für meine Kinder mache ich alles."
Nach der Schule hat sie Friseurin gelernt, "doch der Beruf hat mir nie wirklich gefallen". Später arbeitete sie immer wieder aushilfsweise als Altenpflegehelferin oder Putzfrau, eine Festanstellung hatte sie nie. Als es ihr im vergangenen Jahr nicht gut ging, musste die 44-Jährige ihre Kinder dennoch irgendwie versorgen: "Ich war erschöpft, konnte keinen Sport mehr machen, alles ist mir schwer gefallen."
Typisch ist die Einsamkeit - und die Last der Verantwortung
Diese Last sei typisch, sagt Sozialpädagogin Gudrun Strehl, die beim Diakonischen Werk in Würzburg Alleinerziehende berät. "Ich bin alleine und ich bin alleine für die Kinder verantwortlich. Ich habe keinen, der mit mir die Verantwortung trägt. Das sind Gedanken, die Alleinerziehenden immer wieder kommen", sagt Strehl. Oft hätten Alleinerziehende niemanden, mit dem sie sich austauschen können. "Mache ich alles richtig?" - diese Frage kehre immer wieder.
Zu Gudrun Strehl kommen vor allem viele Mütter - mit ganz unterschiedlicher Herkunft, mit den unterschiedlichsten Geschichten und Problemlagen. "Frauen, die krank oder verwitwet sind oder die andere Schicksalsschläge erlebt haben", sagt die Sozialpädagogin. Ihnen allen sei eines gemeinsam: dass sie nur von einem Gehalt leben und es problematisch wird, wenn sie selbst oder das Kind krank sind.
Erfahrung der Beraterin: Arbeitgeber sind oft sehr unflexibel
Viele Alleinerziehende arbeiten Teilzeit. "Doch auch 30 Stunden langen oftmals nicht aus, um den Lebensunterhalt und Miete zu stemmen", sagt Strehl. Denn viele Frauen würden im Niedriglohnsektor arbeiten - mit entsprechend niedrigen Stundenlöhnen. "Und oft sind Arbeitgeber sehr unflexibel, wenn es um Stundenaufstockung oder Reduzierung geht", ist ihre Erfahrung aus den Beratungen. Zu den geforderten Arbeitszeiten würden wiederum die Kinderbetreuungszeiten oft nicht passen.
Immer wieder geht es um das Geld. Zeynep N. lebt von Hartz IV. Sie bekommt Wohn- und Kindergeld und für ihren sieben Jahre alten Jüngsten Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt. Der Vater der Kinder habe nie Unterhalt bezahlt, sagt die 44-Jährige. "Wenn die Kinder ihren Vater sehen, steckt er ihnen ab und zu etwas zu. Aber er hat nie wirklich für sie bezahlt."
Damit geht es Zeynep N. wie vielen anderen Frauen. Eine Studie des Deutschen Jugendinstitut (DJI) aus dem Jahr 2017 zeigt: Von den Kindern der befragten Alleinerziehenden, die den eigenen Angaben zufolge nicht selbst unterhaltspflichtig waren, erhielten 37 Prozent keinen oder nur unvollständigen Unterhalt vom anderen Elternteil. Bezogen auf alle Befragten, erhielt nur jedes vierte Kind demnach den Mindestunterhalt.
Auch bei ihr reiche das Geld hinten und vorne nicht, sagt Zeynep N.. "Aber ich bin dankbar, dass ich etwas vom Staat bekomme." Angesichts der steigenden Preise überlege sie zwei- oder dreimal, ob sie etwas wirklich brauche. "Alleinerziehende geben oft alles für ihre Kinder, das steht meistens vorn dran", ist auch die Erfahrung von Gudrun Strehl aus den vielen Beratungsgesprächen. Es soll den Kinder später finanziell besser gehen. Daher habe besonders die Schulbildung für viele Mütter einen hohen Stellenwert.
Die stark gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel aber sind für Haushalte mit geringem Einkommen besonders belastend. Mehr als jeder zweite Bundesbürger plant, aufgrund der hohen Inflation den Einkauf von Lebensmitteln einzuschränken, so eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Mehr als 50 Prozent halten es für notwendig, in den kommenden Monaten weniger Nahrungsmittel, Getränke und Genussmittel einzukaufen.
Welchen Hilfen gibt es für Alleinerziehende?
Diesen Trend sieht auch Gudrun Strehl in der Würzburger Beratungsstelle des Diakonischen Werks: "Immer mehr Alleinerziehende können Lebensmittel nicht mehr leisten und wenden sich an die Tafeln. Doch die sind oft schon voll und nehmen keine neuen Kunden an." Eine Möglichkeit der Unterstützung sei, Wohngeld zu beantragen. Denn Wohngeldempfängerinnen und -empfänger erhalten in diesem Winter auch Zuschüsse zur Energieversorgung.
Gudrun Strehl hilft in der Beratung, solche Anträge auszufüllen. "Vielen Frauen ist gar nicht bewusst, welche Leistungen ihnen zustehen", sagt sie. Und der bürokratische Aufwand sei oft immens und betreffe verschiedene Ämter. Das brauche sehr viel Zeit, die gerade Alleinerziehende nicht haben. "Man muss alles angeben und alles von sich zeigen", verdeutlicht Strehl. "Und wenn die Waschmaschine kaputt geht, langt das Geld auch nicht aus, weil es dafür keinen Zuschuss gibt. Ein Teufelskreis."
Auch Zeynep N. wünscht sich mehr Unterstützung für Frauen in ihrer Situation. "Ich möchte unbedingt wieder arbeiten. Aber für die Ferienzeiten habe ich keine Betreuung für meinen Jüngsten. Wie soll das gehen?" Als Alleinerziehende sei man immer alles in einer Person: Mama, Papa, Wäscherin, Köchin, Hausmeisterin, Nachhilfelehrerin. Obwohl ihre Söhne viel mithelfen würden – auch kochen und waschen – bleibe das meiste an ihr alleine hängen.
Einmal in der Woche kauft die 44-Jährige Lebensmittel ein. Ständig vergleiche sie Angebote bei Discountern, um ein paar Cent beim Einkauf zu sparen: "Bei manchen Supermärkten ist zum Beispiel Obst und Gemüse ab 16 Uhr günstiger. Das finde ich gut." Kleidung für ihre Jungs kauft sie vor allem bei Kleidermärkten oder über Gebraucht-Portale im Internet. "Doch selbst Second-Hand-Klamotten sind in diesem Herbst teurer geworden", sagt sie resigniert. Aber es gebe auch immer wieder Menschen, die etwas verschenken: "Die Möbel für meine Wohnung habe ich fast alle geschenkt bekommen oder einen sehr geringen Preis bezahlt."
Sozialpädagogin: Wert der Kindererziehung nicht ausreichend anerkannt
Die Situation Alleinerziehender in Deutschland sei alles andere als gut, lautet das Fazit von Gudrun Strehl. Die Forderung der Sozialpädagogin: "Kindererziehung braucht generell einen höheren Stellenwert in unserer Gesellschaft." Es sei oft frustrierend, die alleinerziehenden Familien zu erleben, die oft alles geben würden. Und deren existentiellen Probleme bisweilen so schwerwiegend seien, dass sich immer alles nur noch darum dreht: "Das wünscht sich niemand." Diese Sorgen würde sie den Leuten zu gerne abnehmen.
Richtig Angst hat Zeynep. N. vor Weihnachten. Sie hat türkische Wurzeln, aber sie liebt dieses Fest: "Natürlich möchte ich auch, dass Geschenke unter dem Weihnachtsbaum liegen." Nur wie sie diese in diesem Jahr bezahlen soll? Angesichts der gestiegenen Kosten weiß sie es nicht.
Kommentare wie Ihren finde ich einfach nur geringschätzig und Beleg dafür, dass für etliche Zeitgenossen "Solidarität", "Mitgefühl" und "Nächstenliebe" schlicht Fremdwörter sind. Aber beim nächsten Mal schön die christliche, soziale U. wählen, gell?
Wie oben angeführt sind, bei steigender Tendenz, ca. 50 Prozent der Ausgaben des Bundes Sozialausgaben. Das ist eine ordentliche, von "Solidarität", "Mitgefühl" und "Nächstenliebe" motivierte Quote. Was ist Ihre Zielvorstellung? 75 Prozent? 95 Prozent???
Wenn ein Mensch in Nöte gekommen ist, auf "selber schuld, deine Verantwortung" zu verzichten (vulgo: Mitgefühl zeigen), wäre ein Anfang. Die Bereitschaft, jemandem zu helfen, selber Zeit zu investieren und konkret etwas für andere zu tun (tätige Nächstenliebe), wäre auch nicht schlecht. Sich einsetzen für die, die es selber nicht schaffen ihre Interessen stark zu machen (Solidarität), weil man die Notwendigkeit sieht und die Möglichkeiten hat, Verantwortung für richtige, echte Menschen und ihr Schicksale zu übernehmen, würde auch dazu gehören. Kurz gefasst: Mit-Mensch sein.
Gegen "fordernd-erpresserisch" verwahre ich mich.
Ich möchte mir jedenfalls keine Mangel an Mit-Menschlichkeit unterstellen lassen, wenn ich eigenverantwortlich diese Grenze ziehe. Die Unterstellung eines Mangels an Mitmenschlichkeit kann leicht einen fordernd-erpresserischen Charakter annehmen.
Hauptproblem dürften die von der "Arbeitschutzmacht" SPD unter Gerhard Schröder durchgeführten "Sozialreformen" sein. Sie haben mit Rentenkürzungen, Schaffung von Europas größtem Niedriglohnsektor, massiver Ausweitung von Leiharbeit, Senkung des Spitzensteuersatzes und gewaltigen Steuervorteilen für Konzerne, Aufweichung der Euro-Stabilitätskriterien und vielen weiteren falschen Schritten die Abwärtsspirale in Gang gesetzt.
Was damals als großartige Leistung bejubelt wurde, war in Wahrheit nicht nur eine Luftnummer, sondern der Beginn vom Ende der sozialen Marktwirtschaft und des deutschen Wohlstands.
Damals gab es die ganzen Sozialleistungen wie heute noch nicht. Aus uns allen ist was geworden und auch ich konnte studieren.
Der Staat kann nicht alles richten. Mittlerweile verlieren aufgrund der hohen Steuer- und Sozialabgabenlast schon viele Normalverdiener die Lust an steuer- und sozialabgabenpflichtiger Arbeit und weichen entweder auf den vorgezogenen Ruhestand oder das kommende Bürgergeld aus.
Sie hatte überhaupt keine Wahl, wenn ihre Eltern für sie die Heirat arrangiert haben. Aber sie ist jetzt diejenige, die die Folgen zu tragen hat.
Wo ist der Respekt für eine Mutter, die vier Kinder alleine großzieht? Die schon mal einen bis zum Abi und zum Studienbeginn unterstützt und begleitet hat? Die nicht jammert, sondern nüchtern feststellt, dass das bevorstehende Winterhalbjahr alle bisherigen Schwierigkeiten finanziell toppen wird?
@ MP-Log: wenn Sie so den Überblick haben, dann geben Sie der Frau Unterstützung. Ansonsten müsste man meinen, dass aus dem heimischen gemütlichen Sessel einfach nur gut daherreden ist.
„geben Sie der Frau Unterstützung“: Ca. 50 Prozent auch meiner Steuerzahlungen gehen in oben genannte Transferleistungen. Ansonsten bin ich nicht Jesus, ich kann nicht über’s Wasser gehen und auch nicht die Welt retten (letzteres hat auch Jesus nicht geschafft.)
Wenn ich da so meine Rente von 860 Euro anschaue? Nach 45 Jahren arbeiten!
Nichts für ungut liebe Alleinerziehende, ihr werdet unterstützt, aber bitte nicht Jammern.
Meine Enkelkinder tragen nur günstige gebrauchte Kleidung von ebay kleinanzeigen, trotzdem beide Elternteile arbeiten.