Sie sind nur so groß wie eine Schuhschachtel, vier Kilogramm leicht, könnten aber bahnbrechend für künftige Erdbeobachtung, Klimaprognosen und Telekommunikation werden. Auch das "Internet der Dinge" mit weltumspannenden Fernsteuerungen braucht Kleinstsatelliten, wie sie am Würzburger Zentrum für Telematik (ZfT) seit 2005 entwickelt werden. Damals startete der erste Experimentalsatellit UWE-1 seine Mission.
An diesem Montag gelang den Wissenschaftlern um Professor Klaus Schilling nun ein Durchbruch, der aufhorchen lässt: An Bord einer Sojus-Trägerrakete wurden vier Mini-Satelliten ins All befördert, die vernetzt sind und ihren Formationsflug selbstständig kontrollieren. Das ist weltweit bislang einmalig. In einer Umlaufbahn von 600 Kilometern Höhe steuern sie autonom, kommunizieren miteinander – und können zum Beispiel Weltraumschrott von selbst ausweichen.
Satelliten bringen durch 3D-Flug neue Daten und Erkenntnisse
Durch die dreidimensionale Anordnung der "NetSat"-Satelliten kann den Würzburger Wissenschaftlern zufolge die Erde noch präziser erfasst werden, zum Nutzen etwa für Landwirtschaft oder Wettervorhersagen. Wolken könnten damit "durchleuchtet" werden. Aber auch künftige Navigationssysteme sollen von den Erkenntnissen profitieren. Für diese Forschung hatte Robotik- und Telematik-Professor Schilling den wichtigsten europäischen Forschungspreis erhalten, den mit 2,5 Millionen Euro dotierten Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates.
Seit Jahren hatten die Wissenschaftler auf diesen Moment hingearbeitet. Entsprechend groß war die Spannung beim Countdown für den Start der Sojus-Rakete vom russischen Raumfahrtbahnhof Plesetsk. Live wurde er im Zentrum für Telematik am Würzburger Hubland von den NetSat-Verantwortlichen und Journalisten verfolgt. Auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) und Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) waren gekommen, Ministerpräsident Markus Söder wurde per Videobotschaft zugeschaltet. Weltweit verfolgten rund 400 Interessierte die Pressekonferenz und den Raketenstart übers Internet.
Verfolgt und ausgewertet werden die Daten der vier Würzburger Satelliten vom eigenen Kontrollzentrum im ZfT aus. Kommen sie in ihrer Umlaubahn an Würzburg vorbei, werden Signale gesendet. Drei Stunden nach dem Start sollten die Satelliten von der Rakete abgekapselt werden. Nun fliegen die vier hochkomplexen und intelligenten "Schuhschachteln" mit einer Geschwindigkeit von 20.000 km/h zunächst im Abstand von 100 Kilometern umher. Schritt für Schritt sollen sie sich dann für die Formation gegenseitig bis auf 20 Metern annähern. Innerhalb von drei Jahren sollen die wichtigsten Experimente erfolgt sein.
Wirtschaftsminister Aiwanger gab sich sichtlich fasziniert vom Forschungsstand der Würzburger Experten und den Perspektiven. An Entwicklung und Bau der vernetzten Satelliten ist als ZfT-Ausgründung maßgeblich das Start-Up-Unternehmen "S4" (Smart Small Satellite Systems GmbH) beteiligt. Dessen Geschäftsführer Norbert Menke sprach am Montag von der großen Chance, Märkte der Zukunft zu erobern: "Jetzt tut sich das Fenster zur kommerziellen Anwendung auf. Und wir wollen ein führender Hersteller werden." Auf rund 8000 Stück werde der Bedarf an Kleinstsatelliten allein für die kommenden Jahre geschätzt.
Auch ZfT-Vorstand Klaus Schilling appellierte an die Politik, die Produktion energisch zu fördern, so wie dies in den USA und China geschehe. Würzburg habe mit seiner Kompetenz am ZfT, an der Universität und bei den Zulieferern optimale Standortvorsaussetzungen für eine Satellitenfabrik. Jetzt gelte es die Weichen zu stellen.
Bayerns Wirtschaftsminister will den Sprung von der Forschung in die Produktion größerer Stückzahlen unterstützen. Es gehe hier um Arbeitsplätze. Die Idee sei zukunftsweisend und der Standort Würzburg biete für eine Satellitenfabrik gute Anknüpfungspunkte, so Aiwanger. Er wolle den Vorschlag ernsthaft prüfen.
Auch Digitalministerin Gerlach zeigte sich beeindruckt von den Satelliten "made in Franconia" und erinnerte an die High-Tech-Agenda des Freistaates, mit der die Raumfahrt- und Satellitenforschung angeschoben werden soll. Thomas Jarzombek, Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt und per Video zugeschaltete, sprach von einem "großen Marktpotenzial" der Kleinstsatelliten.
Wie ausgeklügelt die aktuellen Modelle aus Würzburg sind, unter anderem mit einem hoch effizientem Elektroantrieb und kleinsten Reaktionsrädern – das demonstrierte NetSat-Projektleiter Julian Scharnagl am Montag. Nicht nur die Miniatisierung und die Lagekontrolle im Orbit forderte das Team bei der Entwicklung heraus, so ZfT-Geschäftsführer Daniel Eck: "Zusätzlich musste unser Team noch die Covid-19-bedingten Lieferprobleme für Bauteile aus der ganzen Welt bewältigen."