
Ella ist drei und ein fröhliches Kind. "Sie fährt gerne Laufrad, hilft den Tisch zu decken, kann ihr Brot selbst schmieren, spielt mit ihrer Puppe", erzählt ihre Mutter. "Aber sprechen kann Ella nicht richtig." Seit einem Jahr kämpft die 43-Jährige aus dem Landkreis Würzburg um Untersuchungen und Therapien für ihre Tochter. Und fragt sich: "Warum wird Kindern nicht schneller geholfen?"
Dass mit Ella etwas anders ist, bemerkten die Eltern bald: "Sie war auch motorisch immer etwas zurück", erinnert sich die Mutter. Krabbeln, laufen, Laufrad fahren: "Ella hat alles später gemacht als ihre größere Schwester." Bei der Vorsorgeuntersuchung U7 kurz vor dem zweiten Geburtstag berichtete die Mutter der Kinderärztin, dass Ella noch immer nicht spricht. Sie bekam eine Überweisung zum Hals-Nasen-Ohrenarzt -aber ohne Ergebnis.
Erste Laute, erste Wörter: Sprachentwicklung von Kindern in unterschiedlichen Geschwindigkeiten
Sprachentwicklung ist grundsätzlich komplex. Und sie verläuft in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Ab sechs Monaten beginnen Kinder zu brabbeln und Laute von sich zu geben, erklärt Prof. Carina Lüke, Inhaberin des Lehrstuhls für Sprachheilpädagogik an der Universität Würzburg. Ab etwa einem Jahr könnten die meisten Kinder erste Wörter, wie "Mama" und "Papa" sagen. "Mit jedem Tag lernen sie neue Begriffe und sollten bis zum Alter von zwei Jahren mindestens 50 verschiedene Wörter sprechen", sagt Lüke. Etwa 20 Prozent der Kinder zwischen zwei und drei Jahren erreichten dies jedoch nicht.

Ella konnte auch mit zweieinhalb Jahren noch nicht sprechen. "Wir machten uns langsam richtig Sorgen", sagt ihre Mutter. Die Kinderärztin habe sie beruhigt und gemeint, meist "holen Kinder solche Rückstände schnell auf".
Von einer Störung der Sprachentwicklung spreche man erst ab dem Alter von drei Jahren, sagt Sprachtherapeutin Carina Lüke. Sie sollte fachlich umfassend abgeklärt und gegebenenfalls behandelt werden. Anders als Lispeln oder Stottern sei die Sprachentwicklungsstörung relativ unbekannt - obwohl sie bei acht Prozent aller Kindergarten- und Schulkinder auftrete und damit die häufigste Entwicklungsstörung sei.
Überweisung an die Unikinderklinik Würzburg zur Diagnose
Im Dezember 2022 überwies die Kinderärztin Ella dann an das Sozialpädiatrische Zentrum (SPZ) der Unikinderklinik Würzburg für eine Diagnose. Das SPZ betreut Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsauffälligkeiten, chronischen Krankheiten und Behinderungen. Als Ellas Mutter ihre Tochter anmelden wollte, lautete die erste Auskunft: Wartezeit ein Jahr.
Die 43-Jährige war verzweifelt: "Ein Jahr, in dem meine Tochter keine Förderung bekommt. Ein weiteres Jahr, in dem wir nicht wissen, was mit ihr los ist.".
An wen können sich Eltern bei einer Entwicklungsverzögerung ihrer Kinder wenden?
Die Versorgung und Behandlung von Kindern mit Entwicklungsauffälligkeiten, chronischen Krankheiten und Behinderungen erfolge deutschlandweit nach einem dreistufigen System, heißt es von der Uniklinik Würzburg. Bei Sorgen der Eltern um die Entwicklung eines Kindes seien Kinderärzte die erste Anlaufstelle, in der zweiten Stufe dann eine Frühförderstelle, eine Erziehungsberatung oder Logopäden. Erst danach komme als dritte Behandlungsstufe das Sozialpädiatrische Zentrum der Uniklinik ins Spiel.
Ausnahmen gebe es, wenn Kindern eine "schwere globale Entwicklungsstörung" diagnostiziert worden sei, zum Beispiel durch eine genetische Erkrankung, teil der Pressestelle mit: "In diesen Fällen erfolgt eine schnelle Betreuung durch das SPZ der Uniklinik." Dabei gebe es Wartezeiten von maximal wenigen Wochen, abhängig auch vom Ausmaß der Erkrankung.
Ellas Eltern hatten Glück. Nach drei Monaten konnten sie die Dreijährige im SPZ untersuchen lassen. Eine Diagnose haben sie bislang aber noch nicht.
Warum Ella nicht sprechen kann, wissen die Eltern bis heute nicht
Seit einigen Monaten sei Ella bei einer Logopädin in Behandlung, berichtet ihre Mutter: "Sie übt spielerisch mit ihr und das zeigt bereits erste Erfolge." Ella spreche mittlerweile einzelne Wörter wie "Essen", "Trinken" oder "helfen". Und ab und zu einen kurzen Satz wie "bin drei Jahre".
Im Kindergarten habe Ella zwar Freundinnen und einen Freund. Aber dass sie mit ihnen nicht quatschen könne, mache sie manchmal wütend. Das Kind merke, dass Sprache das wichtigste Kommunikationsmittel des Menschen ist, sagt die Mutter.

Dass Sprachtherapie wichtig ist, erklärt Sprachheilpädagogin Lüke: "Wer in seinen Mitteilungsmöglichkeiten stark eingeschränkt ist, ist gefährdet, ausgeschlossen zu werden. In ihrer Sprachentwicklung gestörte Kinder haben nachweislich Probleme in der Schule, die sich auch nachteilig auf die weitere Berufslaufbahn auswirken können."
Ist der Fachkräftemangel Schuld an den langen Wartezeiten?
Die Nachfrage nach Abklärungen und Diagnosen habe in den vergangenen Jahren tatsächlich zugenommen, heißt es beim Bayerischen Gesundheitsministerium. Die Wartezeiten in den einzelnen Frühförderstellen und Sozialpädiatrischen Zentren seien regional unterschiedlich. Denn, so eine Sprecherin: "Der Fachkräftemangel ist auch bei den Frühförderstellen und Sozialpädiatrischen Zentren angekommen."
"Eltern haben ein gesetzliches Anrecht auf Frühe Förderung, die auch einen niederschwelligen Zugang haben sollte", sagt Jakob Maske, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland. Zusätzlich zur Frühförderung gebe es auch "Frühen Hilfen" bis zum Alter von drei Jahren, deren Angebote aber regional sehr unterschiedlich seien. Ein gesetzlicher Anspruch darauf bestehe nicht.
Werden derzeit mehr Entwicklungsverzögerungen beobachtet?
"Tatsächlich sehen wir häufiger Kinder, die mit zwei Jahren nur einzelne Worte sprechen", sagt Kinderarzt Maske. Auch Stefan Dreising, Sprecher der Uniklinik Würzburg bestätigt: "Gerade Sprachentwicklungsverzögerungen werden aktuell gehäuft beobachtet, nachdem mit den Kitas und Kindergärten ein wichtiger Pfeiler zum Erlernen und Üben der Sprache Lockdown-bedingt lange Zeit nicht zur Verfügung stand."
Im Zuge der Corona-Pandemie würde bundesweit ein Anstieg von Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern beobachtet, sagt Dreising. Die Terminanfragen bei den Sozialpädagogischen Zentren hätten stark zugenommen: "Auch im SPZ an der Würzburg Uniklinik erleben wir, dass die von uns empfohlenen Therapien durch Kapazitätsengpässe und Wartelisten in bestimmten Regionen nicht zeitnah umgesetzt werden können."
Die teils langen Wartezeiten auf Untersuchungstermine und Therapieangebote seien ein systemisches Problem, sagt Sprachheilpädagogik-Professorin Carina Lüke. Durch die Initiative ihrer Mutter hat Ella nun einen Platz bei in der Frühförderstelle - wenn auch erst im August. Dann wird auch das Gehör des Mädchens noch einmal genauer untersucht. Auch da betrage die Wartezeit mehrere Monate.
Wie kann man die Sprachentwicklung von Kindern unterstützen?
Was können die Eltern tun, um die Sprachentwicklung ihrer Tochter zu unterstützen? Es sei gut, dem Kind so viele sprachlichen Anregungen wie möglich zu geben, sagt Carina Lüke. So könnten zum Beispiel alle Alltagssituationen - Waschen, Anziehen, Essen - mit Worten begleitet werden. "Man kann auch sprachlichen Input geben, in dem man bestimmte Wörter häufig wiederholt", rät die Sprachtherapeutin. So könne man mit dem Kind zum Beispiel in der Küche spielen und dabei immer wieder Begriffe rund ums Kochen wiederholen: "Topf", "umrühren", "fertig".
Beim 2. habe ich gewartet, hat sich dann von selbst entwickelt. Und beim 3. war ich erst mit 4 und er konnte die Sprache wirklich aufsaugen.
Man wird heute auch einfach verrückt gemacht, wenn Kinder nicht zum Tag X dieses oder jenes erreicht haben. Deswegen sind einfach zu viele Kinder zur Diagnostik. Das Mädchen hat mehrere Baudstellen wie Motorik und Sprache, da sollte man drauf schauen.
Bei meinem 3. meinte die Kinderärztin ganz entspannt, wieviele Kinder können denn die 50 Wörter zum 2. Geburtstag nicht. Da war es gar kein Thema mehr. Ich hatte schon 2, die sich spät entwickelt haben.
Aber ja, seine Eltern und auch wir haben mit unseren Kindern genau dieses Sprachtraining gemacht, dass im Artikel beschrieben wird.
Mit dem Unterschied, dass die Frühförderung damals sehr zeitnah einsetzen konnte, wofür wir dankbar sind.
Und gerade für Kinder jüngeren Alters haben wir hier in Würzburg eine fast schon herausragende Versorgung. Leider lässt das Angebot später deutlich nach und es wird auf „Inklusion“ verwiesen …
Wir haben (in ganz anders gelagerten Fällen) mit den Würzburger Einrichtungen tolle Erfahrungen gemacht.
Wünsche alles Gute für die Kleine.