Der jüngste Pisa-Schock hat auch in Bayern für Alarm gesorgt. Was läuft schief an Grundschulen im Freistaat, wenn Kinder immer schlechter lesen und rechnen können? Was macht es Lehrkräften heute so schwer? Und was sollte sich ändern?
Vier Junglehrkräfte aus Grundschulen am Untermain und in den Haßbergen zeigen als Vertreter des "Jungen BLLV" im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband auf, wie sie den Schulalltag erleben und wo es aus ihrer Sicht hakt. Die stellvertretende Landesvorsitzende Tamara Brehm (32), Lukas Drexl (31), Nicolai Fleischmann (31) und Jens Gehring (30), der Bezirksvorsitzende für Unterfranken, berichten in vier zentralen Punkten, was sie als größte Herausforderungen sehen und was sie als Verband fordern.
1. Der Personalmangel führt zu Schwierigkeiten gerade in großen Klassen
Die Situation: Der Lehrkräftemangel an den Schulen ist eklatant und das zentrale Problem. Wegen Krankheitsausfällen müssen Lehrkräfte beispielsweise einige Wochen mehrere Klassen gleichzeitig betreuen oder die Kinder werden auf andere Klassen aufgeteilt. "Da hast du immer das Gefühl, den Kindern nicht gerecht zu werden", sagt Lukas Drexl.
Es komme auch vor, dass eine Klasse mangels Lehrkraft kurzfristig ins Homeschooling geschickt wird – zur Überraschung der Eltern. Mobile Reserven, also Vertretungslehrkräfte bei Ausfällen, gibt es nach Erfahrung der Junglehrer "nur auf dem Papier". Sie seien von Schuljahresbeginn an fest für den Unterricht verplant. Wenn die Politik dann von einer "guten Versorgung" spricht, fühlen sich die BLLV-Vertreter "verkohlt". Es fehle an Wertschätzung.
Durch die fehlenden Lehrkräfte fallen Stunden zur Differenzierung aus, die wegen der zunehmenden Vielfalt in den Klassen dringend notwendig wären. Die Problematik mache sich besonders in den großen Klassen bemerkbar, berichten die vier Junglehrer.
Die Forderung: Es braucht mehr qualifizierte Lehrkräfte und multiprofessionelle Teams für die Schulen.
2. Für Inklusion und Integration fehlt Zeit, Deutsch-Förderunterricht fällt aus
Die Situation: Klassen sind vielfältiger als früher. Das liegt unter anderem an der inklusiven Beschulung und an der Zuwanderung aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien und der Ukraine. Teilweise werden Kinder ohne Deutschkenntnisse kurzfristig den Klassen zugeteilt, sie können dem Unterricht kaum folgen. Die Kinder würden grundsätzlich positiv aufgenommen, könnten sich aber nur bedingt in den Unterricht integrieren, berichtet Jens Gehring. Deutsch-Förderunterricht entfalle häufig, weil die Lehrkräfte für Vertretungen herangezogen werden, beklagt Mittelschullehrer Nicolai Fleischmann, der selbst immer wieder in der Grundschule aushilft.
Für Lehrerinnen und Lehrer ist die Situation in den Klassen kaum befriedigend zu lösen. Ihnen fehlt vor allem Zeit, sich um die einzelnen Schülerinnen und Schüler zu kümmern. "Ihre Bedürfnisse sind sehr unterschiedlich. Manche müssen einfach erstmal ankommen, andere wollen direkt die Sprache lernen, um am Unterricht teilnehmen zu können", sagt Jens Gehring.
Nach dem Kriegsausbruch in der Ukraine gab es an einigen Schulen zusätzliche Deutsch-Förderstunden, die aber mittlerweile wieder gekürzt wurden. Neben der Sprachbarriere seien manche Kinder von Krieg und Flucht traumatisiert, berichtet Tamara Brehm: "Sie bräuchten eine gezielte und langfristige Förderung."
Die Forderung: Es braucht mehr qualifiziertes Personal für eine gelingende Integration und Inklusion.
3. Eltern haben viel Einfluss und die Kommunikation mit ihnen ist schwierig
Die Situation: Die Kommunikation mit den Eltern ist im digitalen Zeitalter komplexer geworden. Eltern bringen teilweise sehr direkt an, was sie für ihr Kind erwarten. Die Erfahrung von Lukas Drexl: "Besonders der Mail-Kontakt ermöglicht den Eltern eine Kommunikation mit der Schule rund um die Uhr, und es wird dann oft eine zeitnahe Antwort erwartet."
Manchmal wird auch noch am späten Abend geschrieben, der Umgangston scheint dabei nicht immer der freundlichste zu sein. Vor allem, wenn es Richtung Übertritt ans Gymnasium geht, verschärft sich manche Tonlage. Eltern, so der Eindruck der vier Junglehrkräfte, setzen sich in Sachen Übertritt oft selbst allzu sehr unter Druck.
Geben sie ihren Erziehungsauftrag bisweilen zu leichtfertig an die Schule ab? Die vier Junglehrkräfte setzen auf eine "gelingende Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule". Dafür sei gegenseitiges Vertrauen eine notwendige Grundlage, aber nicht immer im nötigen Maß vorhanden - auch wenn beide Seiten nur das Beste für das Kind wollen. Entscheidungen und Hinweise von Lehrkräften würden von Eltern teilweise anders gesehen.
Die Forderung: Es braucht eine konstruktive Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Eltern und Lehrkräften, die die Bedürfnisse der Kinder im Fokus hat.
4. Der Lehrerberuf ist nicht attraktiv
Die Situation: Trotz aktuell guter Einstellungsaussichten ist der Beruf der Grundschullehrkraft nicht attraktiv genug, sagen die vier BLLV-Vertreter. Mitverantwortlich sei die Versetzungspraxis im Freistaat, von der Unterfranken besonders betroffen ist: Der Großteil der ausgebildeten Lehrkräfte werde nach Oberbayern versetzt.
Das führe zu Schwund, denn manche würden den Dienst im Freistaat dann gar nicht antreten. Nicht wenige gerade fertig ausgebildete Lehrkräfte wechseln mittlerweile in Nachbarbundesländer wie Hessen oder Baden-Württemberg. Die Versetzungen, kritisieren die BLLV-Vertreter, seien intransparent: "Da werden Leute hin- und hergeschickt, und das meistens recht kurzfristig." Weiteres Manko: Die Teilzeit wurde eingeschränkt, ein Sabbatjahr ist aktuell nicht möglich. "Das ist für junge Leute nicht attraktiv", sagen die vier unisono.
Die Forderung: Es braucht mehr Vorlauf bei der Zuweisung von Einsatzorten und die Möglichkeit, Stellen nach Wohnortnähe zu tauschen. Wie in anderen Berufen sollten Lehrkräfte ihre Arbeitszeit flexibel anpassen können und die Möglichkeit unbezahlter Auszeiten haben.