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Würzburg
Mit Sportwetten verzockte ein junger Mann aus Unterfranken 250.000 Euro: "Es ist wirklich der Teufel"
Mirko T. (Name geändert) hatte anfangs nur aus Spaß gewettet. Dann geriet er in eine Abwärtsspirale, die ihn und seine Familie an den Rand des Ruins brachte.
Immer wieder hat es Mirko T. (Name geändert) in Wettbüros gezogen. Der junge Mann aus Unterfranken hat 250.000 Euro verspielt.
Foto: Illustration: Ivana Biscan | Immer wieder hat es Mirko T. (Name geändert) in Wettbüros gezogen. Der junge Mann aus Unterfranken hat 250.000 Euro verspielt.
Lukas Eisenhut
 |  aktualisiert: 01.08.2024 02:41 Uhr

Reue verspürt Mirko T. beinahe permanent. Immer, wenn er daran denkt, "was man mit dem Geld alles hätte machen können". 250.000 Euro habe er durch Sportwetten verloren, schätzt T., der eigentlich anders heißt, aber hier anonym bleiben will und deshalb wenig über sich preisgibt. "Es ist wirklich der Teufel. Diese ganze Scheiß-Zockerei ist Wahnsinn."

Seit 13, 14 Jahren seien Sportwetten in seinem Leben ein Thema, sagt T. Anfangs habe er aus Spaß gewettet, mit kleinen Beträgen. Mal drei Euro, mal fünf. Wenn er in der Spielhalle gewonnen habe, auch mal mehr. "Ich kann mich noch gut an das erste Mal erinnern, wo ich 100 Euro gesetzt habe. Da war ich so nervös, das war Wahnsinn. Da ging es wirklich nur um Spaß."

Irgendwann wird aus dem Spaß eine Sucht. "Ich habe gemerkt, das hat alles wahnsinnig überhandgenommen bei mir." Mirko T. lebt in Unterfranken, teilweise fährt er an Wochenenden viermal täglich ins Wettbüro.

Caritasverband übt Kritik an der Werbung für Sportwetten

Wer heutzutage Sport schaut, insbesondere Fußball, kommt um Werbung für Sportwetten nicht herum. "Eine Frechheit", sagt T. "Du wirst immer mehr dazu animiert." Die Prominenten, die aufwendigen Werbespots. "Das sagt mir, dass das Geschäft wahnsinnig erfolgreich und lukrativ ist. Also für die Anbieter, nicht für die Kunden."

Auch Petra Müller, Leiterin der psychosozialen Beratungsstelle für Suchtprobleme des Caritasverbandes für die Stadt und den Landkreis Würzburg, sieht die viele Werbung kritisch. Durch die Vielzahl an Wettmöglichkeiten und die massive Werbung würden "Sportwetten verharmlost und als gesellschaftlich akzeptierte Freizeitbeschäftigung für Sportbegeisterte wahrgenommen". 

Werbung für Sportwettanbieter in Stadien, Medien und Öffentlichkeit "sollte zwingend aus Gründen des Jugend- und Suchtbetroffenenschutzes rechtlich unterbunden werden", sagt Müller. Sportwetten seien eine Form des Glücksspiels mit einem besonders hohen Suchtpotential.

Das System von Mirko T. kann nicht funktionieren

Seine Schulden sind der Grund, warum T. immer tiefer in die Sucht rutscht. Nicht die Anspannung oder gar Spaß beim Wetten. Verliert er Geld, leiht er sich woanders neues, um die Schulden auszugleichen. Ein System, das nicht funktionieren kann. 

Die Hoffnung auf das schnelle Geld. "Du hast jetzt 500 Euro, brauchst aber 2000 Euro. Was machst du?", fragt er. "Schlau ist es, die 500 Euro schon mal zu bezahlen, und dann irgendwann nochmal, und nochmal. Dumm ist es, wenn du die 500 Euro nimmst und versuchst, die zu vervierfachen. Und das habe ich immer wieder gemacht."

Je mehr Geld er verliert, desto größer wird der Druck, es wieder reinzuholen. Und irgendwann steht er an dem Punkt, "an dem du nachts aufwachst und denkst: Fuck, was ist eigentlich los?"

Mirko T. lügt und lügt und lügt – und die Spielschulden bleiben

Aber es dauert, bis T. an diesen Punkt kommt. Mal gewinnt er auch große Summen, einmal sogar 14.000 Euro. Er steckt das Geld in neue Wetten und verliert es. Von einem Wettanbieter sei er sogar zu einem großen Sportereignis eingeladen worden, berichtet er. Als eine Art "Premiumkunde". Also als jemand, so sei es ihm von einem Mitarbeiter erklärt worden, der besonders viel Geld verloren hat.

Der Wettanbieter teilt auf Anfrage mit, dass es keine offizielle Unterteilung in herkömmliche und Premiumkunden gebe. Es sei aber durchaus schon vorgekommen, dass Kunden, die schon besonders lange spielen, zu Events eingeladen worden seien.

"Meine Eltern haben mir teilweise für dieselbe Scheiße dreimal Geld gegeben. Und ich habe es dreimal nicht bezahlt."
Mirko T. (Name geändert)

Die Würzburger Suchtexpertin Petra Müller sagt, dass sich im Vergleich zu anderen Suchtmitteln zwar wenige Menschen an hochriskanten Glücksspielen wie Geldspielautomaten oder Sportwetten beteiligen. Diese jedoch so intensiv, dass sie bei den Anbietern für hohe Umsätze sorgen. Und die Anzahl der Klienten, die in Sitzungen bei der Fachstelle Glücksspielsucht in Würzburg von Sportwetten berichten, nehme rasant zu.

T. baut ein Konstrukt aus Lügen auf. Irgendwann ist das so groß, dass er gar nicht mehr weiß, wem er was erzählt hat. Ein Katz-und-Maus-Spiel. "Ich habe meine Eltern damit an den Rand des Ruins getrieben, meine Familie in die Scheiße mit reingezogen", sagt er. Dass seine Frau überhaupt noch da ist, sei der Wahnsinn. "Was ich meinen Eltern und meiner Familie an Leid hätte ersparen können, und wie es uns jetzt hier gehen würde, da kämpfe ich sehr, sehr arg mit."

Den Schalter legt T. erst um, als er merkt, dass kein finanzieller Spielraum mehr da ist. "Ich bin aus den Situationen immer wieder rausgekommen, weil immer jemand geholfen hat. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass diejenigen, die immer helfen würden, nicht mehr helfen können, selbst wenn sie wollen."

Hilfe aus seinem Umfeld hat T. über die Jahre regelmäßig bekommen. "Meine Eltern haben mir teilweise für dieselbe Scheiße dreimal Geld gegeben. Und ich habe es dreimal nicht bezahlt", sagt er.

Privatinsolvenz ist für Mirko T. noch kein Thema

2023 macht T. reinen Tisch. "Ich habe mich mit meiner Familie zusammengesetzt und gesagt: 'Das bin ich und da stehe ich gerade. Kriegen wir das irgendwie noch hin oder nicht?' Und wir haben den Entschluss gefasst, dass wir es hinkriegen, weil wir eine Familie sind und alles hinkriegen", sagt T. Reagiert habe seine Familie allerdings geschockt.

Heute ist T. in Behandlung, geht regelmäßig zur Gesprächstherapie. Und er würde gerne noch eine stationäre Therapie machen. Er weiß, dass es ein langer Weg ist, bis er das Vertrauen seiner Familie zurückgewonnen hat. Weil sie wisse, dass er noch nicht über den Berg ist. Das verstehe und respektiere er auch.

Auch die finanziellen Probleme werden T. noch lange begleiten. 250.000 Euro sind viel Geld. "Da werde ich noch mein halbes Leben dran arbeiten. Mit ehrlicher Arbeit und zwei, drei Jobs, wenn es drauf ankommt", sagt er. Sein Rat an andere: erst gar nicht mit dem Wetten anfangen. "Legt das Geld lieber unters Kopfkissen. Da wird es zwar nicht mehr, aber immerhin auch nicht weniger."

 
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Kommentare
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  • Jochen Freihold
    Sämtliche Sportwetten sollten schnellstens verboten werden. Es gibt sogar mindestens einen namhaften Sportfunktionär, der auf diese Weise sein gesamtes Vermögen verlor.
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  • Christine Litteral
    Warum gibt es an allen Ecken und Enden auch diese Spielhallen und die viele Werbung im Fernsehen und online noch dazu?
    Der Staat muss hier dringend diese verlockende Dauerpräsenz für Suchtkranke einschränken. Aber der Staat verdient da wohl auch einiges dabei und deshalb wird er diese Einnahmequelle gerne behalten wollen.
    Wenn ich an einer Spielhalle vorbei fahre, denke ich mir immer, wie viele arme Seelen da wohl gerade drin sitzen und ihr letztes Hemd verzocken. Das tut mir echt leid.
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