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Schweinfurt
Verzockt in Online-Casinos: Wie ein Schweinfurter, der spielsüchtig war, sein Geld zurückbekommen will
Bis Mitte 2021 war Glücksspiel im Internet illegal, das war vielen nicht klar. Jetzt kann man gegen die Anbieter im Ausland klagen. Ein Betroffener und sein Anwalt berichten.
Jahrelang spielsüchtig, täglich Stunden lang in Spielhallen und Online-Casinos: Ein Schweinfurter will jetzt einen Teil seines verlorenen Geldes zurückbekommen.
Foto: Ivana Biscan | Jahrelang spielsüchtig, täglich Stunden lang in Spielhallen und Online-Casinos: Ein Schweinfurter will jetzt einen Teil seines verlorenen Geldes zurückbekommen.
Lisa Marie Waschbusch
 und  Oliver Schikora
 |  aktualisiert: 08.02.2024 18:31 Uhr

Toni hat diejenigen, die mit kleinen Einsätzen spielen, immer bewundert, wenn man es so nennen kann. Die, die mit fünf Cent 20 Minuten lang spielten, während er nach einer halben Stunde schon 1000 Euro verloren hatte. Oder die, die mit 20 Euro kamen. Und wenn die weg waren, einfach wieder gegangen sind. 

Toni, der seinen richtigen Namen nicht öffentlich machen will, ist keiner von denen. "Bei mir gibt es keinen Mittelweg, entweder hopp oder top." Mittleren Alters, Familienvater, mit beiden Beinen fest im Leben stehend, sagt der Schweinfurter von sich selbst: "Ich bin jemand, ich mache alles am Limit." 

Am Limit, das bedeutete jahrelang: täglich mehrere Stunden in Spielhallen verbringen, Schein für Schein in die Automaten schieben, Tausende Euros im Monat verspielen. Als ihm die Einsätze und Gewinne in den Spielhallen irgendwann zu niedrig waren, stieg er um. Auf Online-Casinos. Dorthin, wo Glücksspiel bis Sommer 2021 illegal war. 

In zwölf Jahren den Gegenwert eines Einfamilienhauses verspielt

200 Euro Einsatz, damit sich die bunten Bildchen einmal ändern. Nach zwölf Jahren Spielsucht sind etwa 400.000 Euro weg. "Das ist ein Einfamilienhaus", sagt Toni, fast selbst schockiert über die Summe. Einen Teil dieses Geldes will sich der Schweinfurter nun zurückholen. Und die Chancen darauf stehen gar nicht schlecht.

Seit 1. Juli 2021 ist ein neuer Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, der Online-Glücksspiele ermöglicht. Seither können Anbieter eine in Deutschland gültige Lizenz beantragen. Viele sind allerdings schon weitaus länger am Markt und offerierten virtuelle Glücksspiele bereits, als diese in Deutschland noch illegal waren. Viele der Firmen haben ihre Sitze im Ausland – etwa auf Malta oder Zypern.

Dass Online-Glücksspiel verboten war, wussten offenbar viele Spielerinnen und Spieler nicht. Kann einem Spieler nicht nachgewiesen werden, dass er um die Illegalität wusste, habe er einen Anspruch auf Rückerstattung seiner Verluste, erklärt der Schweinfurter Anwalt Peter Hofmann. Und zwar rückwirkend, zehn Jahre ab 2023.

Hofmann vertritt Toni bei der Klage gegen die Anbieter vor dem Landgericht Schweinfurt. Bei dem Familienvater gehe es um etwa 130.000 Euro, die er in den zehn Jahren bei Glücksspielen im Internet verloren hat.

Gerichte in Deutschland urteilen mittlerweile regelmäßig pro Spielende

Immer mehr Spielerinnen und Spieler aus Deutschland und Österreich klagten zuletzt gegen die Online-Glücksspiel-Anbieter. Das Argument: Weil Online-Casinos damals in Deutschland illegal waren, sei das Geschäft, also die Verträge zwischen dem Anbieter und den Spielenden, rechtswidrig. Anfangs selten erfolgreich, urteilen die Gerichte nun regelmäßig für die Spielenden, sagt Hofmann. 

Der Schweinfurter Rechtsanwalt Peter Hofmann vertritt einen Familienvater bei seiner Klage gegen die Online-Glücksspiel-Anbieter.
Foto: Peter Fischlein | Der Schweinfurter Rechtsanwalt Peter Hofmann vertritt einen Familienvater bei seiner Klage gegen die Online-Glücksspiel-Anbieter.

Zuletzt gab etwa das Oberlandesgericht Dresden in zweiter Instanz einem Spieler recht: Ein Sportwettenanbieter soll dem Kläger seine Verluste in Höhe von knapp 12.000 Euro vollständig ersetzen. Die Begründung: Der Anbieter habe nicht über die nötige Lizenz für Online-Sportwetten in Deutschland verfügt. 

In einem anderen Fall, so Hofmann, habe das Oberlandesgericht Frankfurt darauf hingewiesen, "dass es richtig sei, einem Spieler einen Rückzahlungsanspruch dann zu verweigern, wenn der Spieler die Verluste bewusst in Kenntnis der Illegalität des Online-Glücksspiels herbeigeführt hat". Dies müsste im Einzelfall jedoch das verklagte Online-Portal dem Spieler nachweisen. "Und es reicht nicht, wenn es klein in den AGB steht", sagt der Rechtsanwalt. 

Es reiche auch nicht zu sagen, es sei allgemeine Kenntnis gewesen, dass Glücksspiel im Internet bis 2021 illegal gewesen sei. "Auch wenn in den Medien darauf hingewiesen wird, sind Spieler nicht verpflichtet, Zeitung zu lesen", sagt Hofmann.

Seine Spieler-Geschichte habe mit Ende 20, Anfang 30 begonnen, sagt Toni. Dass er spielsüchtig war, habe er relativ schnell gemerkt. "Ich habe es nie verdrängt oder behauptet, ich sei nicht süchtig." Bevor er selbst spielte, habe er andere aus den Spielhallen herausgeholt. "Es ist ja eigentlich Blödsinn, was man da macht, man verliert nur Zeit und Geld." Das System sei darauf ausgelegt, den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Nachdem er selbst zwölf Jahre lang "drinsteckte", wie er sagt, wolle er jetzt nicht "den Oberlehrer" spielen, etwa vor seinen Freunden, die heute noch zocken. Ihm selbst hätten auch viele gesagt, er solle aufhören damit, er habe Familie. "Ich habe nicht drauf gehört, beziehungsweise hat es mich sogar noch genervt. Das muss jeder selbst entscheiden." 

Deutschlandweite Sperre in allen Spielhallen, Casinos und online

Den Absprung müsse man wollen. Einen konkreten Auslöser, mit dem Spielen aufzuhören, habe es bei ihm nicht gegeben, sagt Toni. Er sei bei einem Psychologen gewesen - nicht das Richtige für ihn - und schließlich habe er sich deutschlandweit in allen Spielhallen, Casinos und online sperren lassen. "Ich wollte da raus und habe keinen anderen Ausweg gesehen. Mir darf die Möglichkeit nicht mehr gegeben werden." Zwei Jahre ist das jetzt her.

In die zentrale Spielersperrdatei, die Teil des im Juli 2021 in Kraft getretenen neuen Glücksspielstaatsvertrags ist, lassen sich immer mehr Menschen inzwischen eintragen oder es durch Angehörige veranlassen. Die Zahl habe sich seit Anfang 2021 mehr als vervierfacht, berichtet das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Nach Daten der Oasis-Sperrdatei waren dort Anfang Mai 2023 rund 192.600 Personen eingetragen.

Laut aktuellen Studiendaten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sind in Deutschland rund 430.000 Menschen spielsüchtig oder legen ein problematisches Glücksspielverhalten an den Tag. Zu den Risikogruppen gehören junge Männer bis 25 Jahre, oft mit eher niedrigem Einkommen.

Die Sucht und die Hoffnung auf sehr hohe Gewinne und das schnelle Geld

Der Schweinfurter Toni hat studiert, einen guten Job und er verdient ordentlich. Er sagt, er habe Glück gehabt, weil immer genug Geld dagewesen sei. Wenn er Kredite aufgenommen habe, um Dinge im Alltag zahlen zu können, habe er sich immer mehr geben lassen – und das dann verspielt. Er habe seine Spielsucht lange Jahre finanzieren können, ohne wirklich Probleme zu bekommen. Sie sei "ärgerlich" gewesen, aber nicht existenzbedrohend. 

Inzwischen wisse er, man könne nicht vor seinem Stress oder seinen Problemen weglaufen, indem man spiele. Geschweige denn Probleme lösen, wie er es sich vielleicht damals eingeredet habe. "Es ist einfach nur sich selbst verarschen." Schadensbegrenzung zu betreiben funktioniere nicht. "Man findet 1000 Gründe, warum man spielen muss."

"Es ist einfach nur sich selbst verarschen."
Toni über seine Spielsucht

Fasziniert habe ihn an den Automaten mit den bunten Lichtern gar nichts. Was ihn dennoch immer wieder hinführte? "Die Sucht. Und das schnelle Geld." Dieses Gefühl: Kommt jetzt ein großer Gewinn oder nicht? Einmal habe er 80.000 Euro gewonnen, sagt Toni. Da wollte er aufhören. Und ging, nur wenige Wochen später, doch wieder in die Spielhalle mit einem Kumpel.

"Er hat vor meinen Augen 50.000 Euro gewonnen. Da dachte ich, ey komm, vielleicht kannst du da ein bisschen mehr zurückholen." Toni verspielte die 80.000 Euro – und sogar noch mehr. "Viele sagen, wenn sie einen Großgewinn machen, hören sie auf", sagt der Schweinfurter. "Das ist Selbstbetrug. Wenn sowas passiert, spielt man unbedachter."

Rechtsschutz greift nicht, Betroffene müssen auf eigene Kosten klagen

Heute habe er seine Sucht im Griff, sagt Toni. Gegen die Online-Anbieter will er vor Gericht: "Dafür muss ich wieder viel Geld in die Hand nehmen, aber das ist es mir wert." Sein Anwalt Peter Hofmann weist darauf hin, dass der Rechtsschutz in diesen Fällen nicht greife: "Man muss auf eigene Kosten klagen und das Risiko selbst tragen." Je nach finanziellen Möglichkeiten könnten Spieler auch nur einen Teil verklagen.

Die Regierung Maltas will übrigens nun auf die Vielzahl von Klagen aus dem Ausland reagieren: Mit einer  Gesetzesänderung will sie die heimische Glücksspielindustrie schützen. Das Vorhaben brachte der Wirtschaftsminister gerade ins maltesische Parlament ein.

 
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Kommentare
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  • Eos123456
    400.000 Euro beim Glücksspiel verlieren ist schon schlimm. Klar, dass man das gerne wieder zurückhaben möchte.

    Aber ich frage mich ob Toni falls er beim "unlizenzierten" Casino 400.000 Euro gewonnen hätte, diese dann auch wieder zurückgegeben würde.
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  • A.C.Greber
    https://rp-darmstadt.hessen.de/sicherheit-und-kommunales/gluecksspiel/spielersperrsystem-oasis/spieler-faqs
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