
Bei Aufnahme in das Noviziat wird den Schwestern das Ordensgewand überreicht - für die Anwärterinnen ist die Zeremonie der Einkleidung ein feierlicher Ritus. Seit 1923 ist das Mutterhaus Heimat und Identifikationsort der Oberzeller Franziskanerinnen.
Doch die Geschichte des Klosters Oberzell reicht weiter zurück und ist von Veränderungen geprägt: das Klostergelände wurde zeitweise als Lazarett genutzt. Als der gesamte Klosterbesitz 1802 an Max Joseph Kurfürst von Bayern fiel, wurde das Kloster als "Anstalt für Epileptiker und Geisteskranke" und später als Druckfabrik genutzt.
Antonia Werr legte den Grundstein für die heutige Nutzung des Antoniushauses, das oberhalb auf der anderen Straßenseite liegt und von 1856 bis 1923 das Mutterhaus der Gemeinschaft war. Heute ist das Antoniushaus das Alten- und Pflegeheim der Oberzeller Franziskanerinnen, in dem sowohl Schwestern als auch weltliche Bewohnerinnen leben. Antonia Werr erwarb 1855 das sogenannte Schlösschen sowie ein ehemaliges Gasthaus (heute: Antoniushaus). Dort gründete sie sowohl die "Rettungsanstalt für verwahrloste Frauen" als auch ihre Gemeinschaft. Das heutige Mutterhaus ist der große, barocke Bau, der früher noch St. Norbertusheim hieß und seit 1923 das Mutterhaus der Gemeinschaft ist.

Die Oberin Sr. Rut Gerlach (60) und die Ordensschwester Teresa Weimert (66) erläutern, dass die Gründerin bestrebt war, haftentlassenen Frauen einen Zufluchtsort zu gewährleisten - ebenso besteht das heutige Ziel der Ordensschwestern darin, benachteiligten Menschen zu helfen. Das Mutterhaus wurde von 2003 bis 2011 saniert und umgebaut. Es kam zu einem Transformationsprozess, der die Frage aufwarf: "Wie kann man diesen Ort mit Leben füllen?" Dafür habe man "weitsichtig Wohnungen geplant", die heute vermietet werden, erörtert Sr. Rut Gerlach.
Wie wird das Klostergelände heute genutzt?
Neben den Wohnungen finden Geflüchtete auf dem Klostergelände Zuflucht. Aktuell leben aus der Ukraine geflüchtete Frauen in dem Haus und auch eine syrische Familie konnte außerhalb des Klostergeländes eine Heimat finden, erläutert Oberin Sr. Rut. Auf dem Gelände befindet sich seit 1995 der Montessori Trägerverein Würzburg. Hier befindet sich der Kinderhort, eine private Grund- und Mittelschule inklusive des M-Zweiges und die angegliederte Fachoberschule.
In schwierigen Zeiten, wie dem Zweiten Weltkrieg, sei das Mutterhaus eine Anlaufstelle für über 1500 Menschen gewesen: darunter Geflüchtete, Schwestern, Waisenkinder und auch die Bischöfe Matthias Ehrenfried und sein Nachfolger Julius Döpfner. "Damals konnten die jungen Frauen eine Zuflucht finden und auch heute ist Oberzell noch ein Ort der Beheimatung", erklärt Sr. Teresa Weimert.

Wie lebten die Frauen früher? Wie leben sie heute?
Neben der Anzahl der Bewohner hat sich auch die Wohnsituation geändert: teils mussten 17 Kandidatinnen - so nennt man Klosterschülerinnen - in einem Zimmer schlafen. Im Gegensatz zu heute verfügte früher nicht jede Schwester über ein eigenes Zimmer. Mit der Verkleinerung der Gemeinschaft sind die Schwestern ins "Herz des Klosters gezogen", erklärt Sr. Rut Gerlach.

Bis 1962 lebten noch rund 100 Schwestern in Oberzell. Sowohl Schwester Teresa (1979) als auch Schwester Rut (1986) waren 23, als sie ins Postulat, also in die Gemeinschaft eintraten. Der Altersdurchschnitt sei geringer gewesen, berichtet Sr. Teresa Weimert. Damals, sagt Sr. Rut, gab es eine andere Energie in der Gemeinschaft. Sr. Teresa beschreibt diese Energie als "Aufbruchsstimmung". Heute ist "die jüngste Schwester 40 und die älteste Schwester wird dieses Jahr 101", erläutert die Oberin Sr. Rut. "Ich glaube, für junge Frauen, die 'alleine' in der Ordensausbildung sind, ist es eine andere Herausforderung", erklärt Sr. Rut.
Wie leben die Schwestern in der Gemeinschaft?
Das Zusammenleben zwischen den Schwestern beschreibt Sr. Teresa als ein "Leben in Beziehungen: so unterschiedlich wie wir alle sind, so unterschiedlich sind auch unsere Beziehungen". Geeint seien die Schwestern in ihrem Auftrag, den "Sendungsauftrag von Antonia Werr zu leben und umzusetzen", verdeutlicht Sr. Teresa Weimert.

Sr. Rut ergänzt, dass das Zusammenleben Herausforderungen berge: nicht mit allen Schwestern komme man gut aus und Reibereien gebe es auch. "Das Spannende ist aber, dass sich die Schwestern in dem gemeinsamen Glauben verbunden wissen", so Sr. Rut. Um das Zusammenleben gut zu gestalten, herrscht ein reger Austausch zwischen den Ordensschwestern.
Gerne erinnern sich Sr. Rut und Sr. Teresa an die zahlreichen Feiern zurück, zu denen viele Gäste kamen. Den ersten Weihnachtsfeiertag verbringen die Oberzeller Franziskanerinnen gemeinsam mit ihren Nachbarn, die mit ihnen auf dem Gelände leben.
Was wünschen sich die Schwestern für die Zukunft des Klosters?
Bei aller Veränderung wünscht sich Oberin Sr. Rut, dass Oberzell weiterhin ein spirituelles Zentrum bleibt. Für Ordensschwestern, die aus Südafrika zurückkehren, sei das "Gefühl des Heimkommens" besonders ausgeprägt.

Sr. Teresa und Sr. Rut wünschen sich, dass ihre Heimat, das Mutterhaus in Oberzell, eine Heimat für Suchende bleibt und dass sich ihnen in der Zukunft weitere Schwestern anschließen.