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Schweinfurt
"Wollen keine namenlosen Gesundheitsfabriken sein": Kinder- und Jugendärzte aus Main-Rhön beklagen Überlastung
Während die Kassenärztliche Vereinigung von einer Überversorgung spricht, sieht die Realität der Ärztinnen und Ärzte anders aus. Was sie von der Politik fordern.
Mehrere Kinder- und Jugendärzte haben gemeinschaftlich eine 'Überlastungsanzeige' formuliert. Im Bild: Die Kinderärztin Anja Hauth in ihrer Praxis in Schonungen.
Foto: Anand Anders | Mehrere Kinder- und Jugendärzte haben gemeinschaftlich eine "Überlastungsanzeige" formuliert. Im Bild: Die Kinderärztin Anja Hauth in ihrer Praxis in Schonungen.
Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:40 Uhr

Die Kinderärztinnen und Kinderärzte aus der Region Main-Rhön sind am Limit. "In 'Ausnahmezeiten' wie in der momentanen Infektionswelle kann die Versorgung der Kinder schon jetzt nicht mehr ausreichend gewährleistet werden", schreiben die Ärztinnen und Ärzte aus Bad Kissingen, Schweinfurt, Gerolzhofen und Haßfurt gemeinschaftlich in einer "Überlastungsanzeige" an diese Redaktion. 

Damit adressieren die Mediziner sowohl das Bayerische Gesundheitsministerium, den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns als auch die Rathäuser und Landratsämter der betroffenen Städte und Landkreise. 

Es sei "sehr belastend, tagtäglich Familien unter Verweis auf Kapazitätsgrenzen 'abweisen' zu müssen", heißt es in dem Schreiben weiter. Die Situation wird sich mit der Schließung der Schweinfurter Praxis von Elisabeth Gimpl zum Jahresende noch verschärfen. Somit sinkt die Zahl der Praxen in Stadt und Landkreis Schweinfurt im kommenden Jahr auf sechs, 2017 waren es noch acht, "während die Anzahl der zu versorgenden Kinder in den letzten zehn Jahren stetig größer geworden ist". Jede Praxis betreue etwa 1000 Kinder und Jugendliche.

Mehr als 800 Patienten ohne Kinderarzt in der Region Main-Rhön

Anfang Dezember hatten sich 14 Kolleginnen und Kollegen aus der Region zusammengesetzt, um sich über das weitere Vorgehen abzustimmen – auch mit der scheidenden Kinderärztin Gimpl. Über eine E-Mail-Abfrage wollten sie herausfinden, wie groß der Bedarf ist. Das vorläufige Ergebnis: "Uns sind mehr als 800 Patienten bekannt, die ab 1. Januar 2023 neue Kinderärzt*innen suchen und in der Region Main-Rhön keine finden werden", schreiben die unterfränkischen Kinder- und Jugendärzte. 

Für immer mehr Familien werde also die Bereitschaftsdienstpraxis eine primäre Anlaufstelle werden, wenn ihnen kein regulärer Kinderarzt mehr zur Verfügung stehe. "Das betrifft in zunehmendem Maße auch die Kinderklinik, die bereits seit langem unter Personalknappheit leidet. Dann wird eine zeitnahe Versorgung im Bereitschaftsdienst unmöglich werden." 

Der kinderärztliche Notdienst sei 2022 an 111 Tagen an Wochenenden und Feiertagen jeweils zehn Stunden und an 104 Tagen mittwochs und freitags jeweils 3,5 Stunden besetzt gewesen, resümieren die Ärztinnen und Ärzte. "Die Dienstbelastung wird 2023 größer, denn auch die Dienste werden unter immer weniger Praxen aufgeteilt", schreiben sie. Und das alles zusätzlich zur alltäglichen Patientenversorgung in der Praxis.

Ärztinnen und Ärzte berichten von teilweise persönlichen Anfeindungen

Die Ärztinnen und Ärzte verstehen den Unmut und die Enttäuschung der Eltern. "Wir verstehen aber auch, dass Ärzt*innen und Mitarbeiter*innen, in Praxen und Kinderkliniken, die schon lange an der Kapazitätsgrenze arbeiten, nicht bereit sind, die teilweise persönlichen Anfeindungen zu ertragen", heißt es in dem Schreiben weiter. Jeder Arzt, jede Ärztin, jeder Mitarbeitende, der oder die sich deshalb beruflich umorientiert, gehe der kinderärztlichen Versorgung verloren.

Was die Ärztinnen und Ärzte besonders empört: Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern ist beispielsweise Schweinfurt mit Kinderärztinnen und -Ärzten überversorgt. Doch: "Eine Überversorgung besteht schon lange nur auf dem Papier", monieren die Ärztinnen und Ärzte in ihrem Schreiben. Daher fordern sie von der kassenärztlichen Vereinigung, die mit dem Sicherstellungsauftrag der Gesundheitsversorgung der Kinder betraut ist, und von den Kommunen "rasch hierfür geeignete Strukturen zu schaffen".

Damit meinen sie etwa die Schaffung medizinischer Versorgungszentren. Die Politik sei aufgefordert, sowohl die Studierendenzahlen im Fach Medizin deutlich zu erhöhen, als auch die Ausbildungs- und Rahmenbedingungen in Kliniken und Arztpraxen deutlich zu verbessern. Sie schreiben: "Wir wollen weiterhin Praxen mit menschlicher Betreuung sein und keine namenlosen Gesundheitsfabriken!"

Die Kinderärztinnen und -ärzte der Region raten Eltern, sich bei der Suche nach einer kinderärztlichen Betreuung an die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung (Tel.: 116117) zu wenden. "Nur so lässt sich der Druck auf die Entscheidungsträger – denen das Wohl Ihres Kindes wichtig sein sollte – erhöhen!", schreiben die Kinderärztinnen und Kinderärzte.

 
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  • H. R.
    Das ganze Gesundheitssystem ist ja schon lange marode und jetzt wird es bald kippen. Wie alles in diesem Dritte-Welt-Staat. Meine Freunde im Ausland, die früher die Bundesrepublik bewundert haben, schütteln mittlerweile den Kopf und sprechen schon von einem "failed state". Auch "suicide state" haben manche schon gesagt. Das liegt daran, dass oben keine Könner mehr sind wie früher, sondern "Sonntagsredner", die keine Ahnung haben. Man bedenke die vielen Krankenkassen bei uns, die die Paläste gar nicht groß genug bauen können und deren Vorstände sechsstellige Summen im Jahr einheimsen. Wofür eigentlich? Von "Verdienen" will ich gar nicht reden. Meinen Kindern habe ich das Auswandern empfohlen, solange es noch geht. Wenn Politiker oder solche, die sich dafür halten, auch noch vom "Frieren für die Freiheit" reden, müssen wir uns "warm anziehen", nicht nur im übertragenen Sinn. Die da oben frieren nie, nur der kleine Mann, und nur der krepiert auch an der Front.
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