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Schweinfurt
Wird Wulff der deutsche Jimmy Carter?
Ex-Bundespräsident Christian Wulff beantwortet im Bayernkolleg Schülerfragen zu seinem kurzen Bundespräsidentenleben. Ist staatliches Repräsentieren überhaupt wichtig?
Rückblick auf eine kurze Amtszeit: Ex-Bundespräsident Christian Wulff beim Besuch im Bayernkolleg.
Foto: Anand Anders | Rückblick auf eine kurze Amtszeit: Ex-Bundespräsident Christian Wulff beim Besuch im Bayernkolleg.
Stefan Sauer
Stefan Sauer
 |  aktualisiert: 07.04.2020 12:25 Uhr

Im schwarzen Mercedes ist Bundespräsident a.D. Christian Wulff nach Schweinfurt gereist, nachdem der erste Versuch auf dem Schienenweg missglückt war. Die Bahn habe dies im Januar verhindert. Jetzt ist er aber da. Neben vielen Schülern, Lehrern und der örtlichen Presse verfolgt auch ein "Spiegel"-Journalist den Auftritt im gut gefüllten Saal des Bayernkollegs.

Loben, Mut machen, Reden halten

Vier gut vorbereitete Schüler stellen Fragen an den einst höchsten Repräsentanten des Staates. Fragen, auf die Schulleiter Peter Rottmann vorher meist wortreich hinmoderiert. Da geht es am Anfang darum, was der Präsident so macht: Deutschland in und gegenüber der Welt vertreten, Menschen für gute Leistungen loben und ermutigen, Bundesverdienstkreuze verteilen, bei Unglücken und Katastrophen auch trösten und Trauer teilen mit Opfern und Angehörigen. "Zehn Prozent sind Reden", sagt Wulff, "nach Möglichkeit kluge, aber manchmal muss man auch provozieren".  Wulffs bekannteste und wohl umstrittenste ist die, in der er sagt, auch der Islam gehöre zu Deutschland. Dazu steht er weiter, den Satz habe ihm auch keiner aufgeschrieben, der sei von ihm.

Dass ein Bundespräsident politisch nichts wirklich zu entscheiden hat, hat Wulff von seiner Kandidatur im Sommer 2010 nicht abhalten können. Warum? Er habe zuvor jahrzehntelang entschieden, dieses Bedürfnis sei bereits "sehr stark ausgefüllt" gewesen, "ich wollte jetzt auch repräsentieren".  Ob das Präsidentenamt nicht entbehrlich sei, fragt ein Schüler. Laut Wulff gar nicht , "wahnsinnig wichtig" sei es. Er habe Zeit und die Fülle der Möglichkeiten gehabt, in der Welt zu reisen, zuzuhören, Kontakte zu pflegen - intensiver, als dies ein Regierungschef könnte. Ob es nicht Zeit sei für eine Frau im höchsten Staatsamt, lautet eine Frage. Wulff: "Ja." Die Zeit der alten, weißen Männer sei vorbei.

Hetzjagd zu sogenannten Affären

Zeit nun im Bayernkolleg, sich der Wulff-Affäre zu nähern - in verschiedenen Komplexen. Schulleiter Rottmann spricht von der "sogenannten Hauskreditaffäre" und der "sogenannten Mailboxaffäre" sowie dem Verdacht etwaiger Vorteilsannahmen bei einem befreundeten Filmproduzenten. "Alle juristisch relevanten Vorwürfe konnten widerlegt werden", moderiert Rottmann, "am Ende blieb von den Skandalmeldungen der Presse nichts übrig." Was gibt es dazu dann noch zu fragen? Folgendes: "Finden Sie sich vollständig rehabilitiert?" und "Hat sich von den Medien jemand entschuldigt?" 

Eigentlich sei doch die Zukunft interessant, sagt Wulff, nicht das Gestern. Aber er will nicht ausweichen. "Es war damals eine Hetzjagd mit Jagdfieber." Er sei immer unschuldig gewesen, aber vorverurteilt worden. Ob es sinnvoll war, als Bundespräsident dem "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann eine Drohung aufs Band zu sprechen, fragt niemand. Wulff: Zwei Medienvertreter hätten sich nach seinem Freispruch von den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft entschuldigt.  

Viel Zeit für Besuche und Reisen

Nach einem Jahr und siebeneinhalb Monaten war Wulff im Februar 2012 von seinem Bundespräsidentenamt zurückgetreten. Nun hat er viel Zeit für Besuche in Schulen, Unis, von Veranstaltungen, ist zweimal wöchentlich in der Anwaltskanzlei, "Chorpräsident". Er ist oft im Ausland, erzählt er, in Japan, China, Nordafrika, macht "historische Projekte", liest viel. "Was ich mache, mache ich freiwillig und aus Begeisterung", sagt Wulff, "ich habe aber auch 40 Jahre lang 90 Stunden in der Woche das Land Niedersachsen durchpflügt."

Dann vergleicht sich Wulff mit dem früheren US-Präsidenten Jimmy Carter (1977-1981), der es nur auf eine Amtszeit gebracht hatte, aber 2002 zum Friedensnobelpreis. "Er hatte seine große Zeit, als er nicht mehr Präsident war", so Wulff. Das scheint er auch für sich selbst zu wünschen. Für seine gut 19 Monate als Bundespräsident erhält Wulff einen "Ehrensold" von zirka 240 000 Euro im Jahr. 

Angst vor dem Kanzlerin-Abschied

Ein Schüler sagt, er sei wie viele hier mit Kanzlerin Angela Merkel groß geworden und fürchte, er verkrafte ihren Abgang nicht. "Können Sie uns die Angst vor diesem Wechsel nehmen?" Die Kanzlerin werde fehlen, antwortet der Ex-Bundespräsident, und jene würden dann die schönsten Nachrufe schreiben, die vorher am meisten "über sie hergefallen sind". Aber: Es müssten ja auch Jüngere in Spitzenämter vorrücken.

Zum Ende hin plädiert Wulff sehr leidenschaftlich für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit, für Europa und gegen nationale Abschottung. Die nächste Gelegenheit, das Richtige zu tun, sei die Europawahl im Mai. Und: "Machen Sie Ihr Ding, lassen Sie sich nicht beirren." Viel Applaus für den Ex-Bundespräsidenten nach 90 Minuten.

 
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Kommentare
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  • T. M.
    Es stellt sich natürlich die Frage, warum der Autor dieses Textes, immerhin von Beruf Journalist, die Frage nach dem Anruf bei Herrn Diekmann nicht gestellt hat. Das Publikum war immerhin mehrfach dazu ermuntert worden, Fragen an Herrn Wulf zu stellen. Und noch eine kleine Anmerkung: Es ist nicht die Zeit der alten "weisen" Männer, die vorbei ist, sondern die der alten "weißen" Männer, die lange genug die Politik dominiert haben.
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