Er ist tief gefallen: Nach einer monatelangen Affäre trat Bundespräsident Christian Wulff im Februar dieses Jahres von seinem Amt zurück. Gerade auch sein Umgang mit der Affäre stand immer wieder in der Kritik. Transparenz-Versprechen, etwa in einem Fernsehinterview Anfang Januar, erfüllte Wulff anschließend nicht vollständig oder nur schleppend. Gelungenes Krisenmanagement sieht anders aus, meint der Medienexperte Michael Spreng.
Michael Spreng: Er hat die Wahrheit nur scheibchenweise zugegeben. Die Salamitaktik war sein entscheidender Fehler. Gutes Krisenmanagement heißt, dass man sofort zu Beginn alle Fakten offen legt, nichts verheimlicht oder verschleiert. Das ist die einzige Chance, eine solche Krise zu bewältigen. Wulff wusste ja, dass mehrere Journalisten über seinen Hauskauf recherchierten. Er hätte von sich aus in die Offensive gehen und bereits vor der ersten Veröffentlichung eine Erklärung abgeben müssen.
Spreng: Ja, viele Politiker stürzen nicht über die eigentliche Affäre, sondern über ihr schlechtes Krisenmanagement. Das hat der Fall Wulff wieder einmal gezeigt. Dadurch, dass Wulff am Anfang abgewiegelt und auch gedroht hat, hat er den Jagdeifer der Journalisten erst angestachelt. Vieles ist dann erst weiter recherchiert worden, wie Wulffs Beziehung zu den Filmproduzenten.
Spreng: Wenn überhaupt, dann nur auf die „Bild“-Zeitung. Denn die Medien standen Wulff teilweise kritisch, teilweise positiv gegenüber. Es gab da kein einheitliches Meinungsbild. Das ist der normale demokratische Reinigungsprozess: Ein Politiker wird durchleuchtet und wenn es Ansatzpunkte dafür gibt, dass er sich falsch verhalten hat oder dass er nicht die Wahrheit gesagt hat, wird weiter recherchiert. Das ist normales journalistisches Handeln.
Spreng: Es gibt in den letzten Jahren ein Grundmisstrauen gegenüber der Politik, Stichwort Politik- oder Politikerverdrossenheit. Dieses Grundmisstrauen ist nach wie vor da. Aber ich glaube, der Fall Wulff hat den Menschen in Deutschland gezeigt, dass Fehlverhalten Konsequenzen hat. Wulff musste ja zurücktreten. Insofern hat der Reinigungsprozess funktioniert.
Spreng: Nein, ich glaube, die Menschen können schon differenzieren zwischen dem Fall Wulff und anderen Politikern. Die Mehrzahl der Politiker erledigt mit großem Fleiß und Anstand den Job. Die Wähler wissen, es gibt solche und solche: Politiker, die sich untadelig verhalten und Vorbild sind und andere, die in solche Grauzonen geraten wie Christian Wulff. Dass der Reinigungsprozess funktioniert, versöhnt die Wähler eher mit der Politik. Das Grundmisstrauen wird weniger durch einzelne Affären und Skandale gespeist. Die Ursache liegt vielmehr darin, dass die Menschen das Gefühl haben, dass Reden und Handeln in der Politik nicht mehr übereinstimmen: dass vor Wahlen etwas anderes gesagt wird, als nach Wahlen gemacht wird.
Spreng: Ich erwarte von Politikern, dass sie sich an Recht und Gesetz halten und dass sie dieselben Regeln akzeptieren, die sie für die eigenen Beamten aufstellen. Ein Beamter darf in der Regel kein Geschenk annehmen, das mehr wert ist als 15 oder 20 Euro und die Menschen erwarten, dass sich auch die Politiker daran halten. Im Fall Wulff kam dazu, dass man natürlich von einem Bundespräsidenten ein moralisches Vorbild erwartet.
Spreng: Ja. Ihm steht ja nur das Wort zur Verfügung und Reden des Bundespräsidenten beinhalten meistens moralische Fragen und Fragen des Zusammenlebens und der gesellschaftlichen Ordnung. Da das der Schwerpunkt seiner Äußerungen ist, muss er sich auf dem Gebiet besonders untadelig verhalten.
Spreng: Er hat sich selbst beschädigt, nicht das Amt. Vor ihm gab es hoch angesehene Bundespräsidenten und jetzt haben wir wieder einen hoch angesehenen Bundespräsidenten, der in diesen politisch-moralischen Fragen über jeden Zweifel erhaben ist. Insofern war das ein Einzelfall.
Spreng: Die Frau hatte jedes Recht, sich öffentlich dagegen zu wehren, welche unglaublichen Verletzungen ihr im Internet zugefügt worden sind. Dieser Rufmord und diese Kampagne waren beispiellos. Die Suchfunktion von Google potenziert die Diffamierungen auch noch millionenfach.
Spreng: In diesem Fall ging es ja nicht mehr anders. Sie hat sich nie gewehrt, solange ihr Mann im Amt war, weil sie offenbar Angst hatte, dieses Thema dann zu einem öffentlichen zu machen und damit vielleicht auch das Amt zu schädigen. Aber nachdem sie frei war von den Fesseln des Amtes, finde ich es völlig richtig, dass sie das selbst thematisiert hat und beispielsweise gegen Google klagt.
Spreng: Weil ihr Buch eben auch so viel Belangloses und Privates enthielt, auch im Zusammenleben mit ihrem Mann, das eigentlich die Menschen gar nicht wissen wollten. Unterm Strich hat sie mit dem Buch sich und ihrem Mann eher geschadet. Aber wie gesagt: Die Frau ist ein Opfer, keine Täterin.
Spreng: Es lebt eine ganze Medienindustrie davon, dass Menschen klatschsüchtig sind und alles über das Privatleben Prominenter erfahren wollen. Da müssen die Politiker selbst die Grenzen ziehen. Ich sage Politikern immer, sie müssen sich darüber im Klaren sein: Wenn sie die Tür zum Privatleben einmal aufmachen, bekommen sie sie nicht mehr zu. Insofern sollten sie sich zurückhalten. Ich finde, Frau Merkel, Herr Steinbrück oder ähnliche Politiker machen das völlig korrekt. Ich will vieles aus dem Privatleben von Politikern gar nicht wissen, wann sie Kaffee trinken, wann sie aufstehen oder sonst was. Diese private Öffnung ist eben eine gefährliche Gratwanderung. Natürlich wollen die Menschen auch wissen, in welchen Familienumständen ein Politiker lebt, wie er privat tickt und was er für Hobbys und private Interessen hat. Aber da müssen Politiker sehr vorsichtig sein. Wer beispielsweise sein Familienleben in den Medien vermarktet, muss sich auch gefallen lassen, dass über Negativereignisse in seiner Familie, etwa eine Scheidung, berichtet wird. Heuchelei wird von den Medien aufgedeckt.
Spreng: Nein, Wulff muss jetzt abwarten, wie die staatsanwaltlichen Ermittlungen ausgehen und sich sehr zurückhalten – allein schon weil ihn die Steuerzahler mit 217 000 Euro im Jahr finanzieren. Was politische oder moralische Fragen angeht: Da kann er sich auf lange Zeit nicht kompetent äußern.
Spreng: Das ist ein mühsamer Prozess: Man kann seine Reputation sehr schnell zerstören, aber es braucht lange, sie wieder herzustellen. Wulff könnte vorsichtige Schritte zurück in die Öffentlichkeit machen, zum Beispiel in Richtung sozialer Projekte. Aber er sollte dies mit großer Demut tun und immer in der Kenntnis, dass er seinen Ruf selbst beschädigt hat.
Spreng: In erster Linie natürlich der Skandal. Ansonsten bleibt immerhin eine bedeutsame Äußerung, als er sagte, der Islam gehöre auch zu Deutschland. Auch seine Rede in der Türkei wird bleiben, wo er umgekehrt gesagt hat, das Christentum gehöre zur Türkei und den islamischen Ländern. Ebenso bleibt seine ja nicht erfolglose Zeit als Ministerpräsident in Niedersachsen. Aber all das wird auf längere Zeit von den Umständen seines Rücktritts überdeckt.
Michael Spreng ist Medien- und PR-Experte. Als Journalist schrieb er unter anderem für die Zeitungen „Welt“ und „Bild“ und war Chefredakteur des Kölner „Express“. Von 1989 bis 2000 arbeitete Spreng als Chefredakteur der „Bild am Sonntag“. Als Medien- und Kommunikationsberater machte er sich 2001 selbstständig. Im folgenden Jahr managte er den Wahlkampf des CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber. Michael Spreng betreibt das Politblog „sprengsatz“.
Eine Chronik der Affäre
Im Dezember 2011 werden die ersten Vorwürfe gegen Christian Wulff laut: Die „Bild“-Zeitung veröffentlicht ihre Recherchen zu einem Kredit, den Wulff sich zum Kauf eines Hauses in Großburgwedel (Niedersachsen) privat geliehen hatte. Wulff soll bei einer Befragung 2010 im niedersächsischen Landtag ein wichtiges Detail nicht erwähnt haben: dass er den Kredit über 500 000 Euro zwar nicht von einem befreundeten Unternehmer angenommen habe, wohl aber von dessen Frau.
Bevor der entsprechende Artikel erscheint, spricht der Bundespräsident beim Chefredakteur der „Bild“ auf die Mailbox, um die Berichterstattung zu verhindern. Er droht mit dem endgültigen Bruch mit der Boulevardzeitung. Der Anruf wird erst Wochen später öffentlich.
In den folgenden Wochen werden immer neue Details bekannt. Kostenlose Urlaube bei befreundeten Unternehmern, niedrige Zinsen für Bank-Darlehen, ein kostenloses Upgrade im Flugzeug: „Wulffen“ wird zum Modebegriff, der die Mitnehmer-Manier von Politikern kritisiert. Der Bundespräsident versucht, die Vorwürfe auszuräumen. Nachdem sein Anruf beim „Bild“-Chefredakteur bekannt wird, bezieht er Anfang Januar in einem Fernsehinterview Stellung. Er räumt ein, Fehler gemacht zu haben, will aber Transparenz schaffen und Bundespräsident bleiben.
Im Januar 2012 durchsucht die Staatsanwaltschaft Hannover die Wohn- und Geschäftsräume des langjährigen Pressesprechers von Wulff, Olaf Glaeseker, sowie des Eventmanagers Manfred Schmidt, der ebenfalls enge Kontakte zu Wulff haben soll. Wulff hatte Pressesprecher Glaeseker einige Wochen zuvor bereits entlassen. Glaeseker und Schmidt stehen unter Korruptionsverdacht im Zusammenhang mit der Lobbyveranstaltung „Nord-Süd-Dialog“. In seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident war Wulff mit seinem Amtskollegen aus Baden-Württemberg Schirmherr der Veranstaltung.
Am 16. Februar beantragt die Staatsanwaltschaft, Wulffs Immunität als Staatsoberhaupt aufzuheben, um Ermittlungen aufnehmen zu können – ein nie vorgekommener Fall in der Geschichte der Bundesrepublik. Am Tag darauf reicht Wulff den Rücktritt ein. Auch nach dem Abschied vom Amt gibt es Diskussionen um die Causa Wulff. Umstritten sind etwa die offizielle Verabschiedung, der „Große Zapfenstreich“ und der Ehrensold.
Im September erscheint ein Buch von Wulffs Ehefrau Bettina mit dem Titel „Jenseits des Protokolls“. Darin schreibt sie über ihr Leben als Frau des Bundespräsidenten und gibt private Details preis. Mit der Veröffentlichung setzt sie sich gegen Gerüchte zur Wehr, sie habe früher im Rotlichtmilieu gearbeitet. Diese Behauptungen stellten sich als haltlos heraus. Text: hsa