Das Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) hat Lücken. Je ländlicher eine Gegend strukturiert ist, und je weniger Menschen dort leben, desto größer sind die Lücken in den Fahrplänen. Mitunter sind diese so groß, dass dort locker einer der Linienbusse reinpassen würde, die in den Orten am Rand der Peripherie so selten fahren.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Ein Pilotprojekt, an dem sich die Landkreise Schweinfurt und Kitzingen gemeinsam beteiligen, möchte die Lücken im ÖPNV nun schließen. Start von "Callheinz", wie die Verantwortlichen den neuen Mobilitätsservice getauft haben, ist am Dienstag, 2. Mai. Das Projektgebiet umfasst, grob gesagt, weite Teile des Alt-Landkreises Gerolzhofen.
"Callheinz" – wie soll das funktionieren?
Der neue Service basiert auf dem Prinzip eines Rufsystems im Bedarfsverkehrs. Es unterscheidet sich dennoch in einem wichtigen Punkt von den bekannten Rufbussen. Denn diese verkehren auf einer festen Route. "Callheinz" verbindet dagegen je nach Bedarf flexibel sämtliche Orte im Projektgebiet untereinander.
In die Praxis übersetzt bedeutet dies, dass Kleinbusse – vorgesehen sind vier Sechssitzer plus zwei Verstärkerfahrzeuge in Zeiten erhöhten Bedarfs – Menschen im Projektgebiet von jedem Dorf zu einem beliebigen anderen Ort bringen. "Das funktioniert wie ein Taxi, nur mit Mitfahrerinnen und Mitfahrern", sagt Michael Graber, der für den ÖPNV Verantwortliche am Landratsamt Schweinfurt.
Die Busse sind dabei an keinen Fahrplan gebunden. Sie bringen ihre Passagiere von einem der vielen "Callheinz"-Haltepunkte zu einer Umsteigemöglichkeit auf den regulären Linienverkehr. Falls ein solcher Linienbus zwischen Start und Ziel in einem vertretbaren Zeitrahmen – etwa innerhalb von 45 Minuten – nicht verkehrt, dann fahren die Kleinbusse ihre Passagiere auch direkt an deren Zielort.
Von wann bis wann ist dieser Bedarfsverkehr unterwegs?
Die "Callheinz"-Flotte fährt montags bis freitags von 5 bis 23 Uhr. An Samstagen, Sonntagen und an Feiertagen fahren die Kleinbusse von 7 bis 21 Uhr. Laut Graber habe man mit den gewählten Zeitfenstern auch die Bedürfnisse von Schichtarbeitern im Blick. Weniger gehe es darum, Lücken im Freizeitverkehr zu schließen. "Callheinz" ersetzt keinen Disco-Bus. Deshalb reichen die Fahrzeiten am Wochenende abends auch nicht so lange.
Welche Gemeinden liegen im Gebiet des Pilotprojekts?
Im Landkreis Schweinfurt sind neben der Stadt Gerolzhofen die Gemeinden Kolitzheim, Sulzheim, Grettstadt, Dingolshausen, Donnersdorf, Michelau, Frankenwinheim, Lülsfeld und Oberschwarzach mit jeweils allen Ortsteilen sowie die Röthleiner Gemeindeteile Heidenfeld und Hirschfeld dabei.
Im Landkreis Kitzingen erstreckt sich das Gebiet auf Volkach, Prichsenstadt, Wiesentheid, Geiselwind, Abtswind, Rüdenhausen und Castell mit jeweils allen Stadt- bzw. Ortsteilen.
Wie viele "Callheinz"-Haltepunkte gibt es?
Die Kleinbusse halten an allen vorhandenen 64 ÖPNV-Haltestellen in den genannten Orten im Landkreis Kitzingen. Daneben gibt es 55 zusätzliche virtuelle "Callheinz"-Haltepunkten. Sie sind alle mit einem Hinweisschild gekennzeichnet.
Im südlichen Landkreis Schweinfurt sind es neben den 66 ÖPNV-Haltestellen weitere 81 "Callheinz"-Haltepunkte, an denen die Busse halten. Dort steigen Passagiere ein bzw. aus. Eine Abholung an der Haustür ist laut Graber aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Alle Haltestellen und -punkte sind online unter www.callheinz.de auf einer Karte markiert.
Wie buche ich eine Fahrt mit "Callheinz"?
Passagiere müssen jede "Callheinz"-Fahrt vorab bestellen. Dies ist bis zu 31 Tage im Voraus möglich, aber auch kurzfristig mit einer Mindestvorlaufzeit von 30 Minuten vor dem gewünschten Beginn der Fahrt. Hierfür gibt es mehrere Möglichkeiten: Entweder erfolgt die Buchung per "Callheinz"-App über ein Smartphone oder Tablet; die kostenlose App ist ab Ende April in den üblichen App-Stores verfügbar. Oder aber man bucht eine Fahrt auf der Internetseite www.callheinz.de. Alternativ kann eine Fahrt auch per Telefon über die Hotline (0800) 4560011 bestellt werden.
Mit wie langen Fahrzeiten muss ich planen? Ist mit Verspätungen zu rechnen?
Wie lange eine Fahrt dauert, hängt natürlich von der Fahrstrecke ab. Die berechnete Fahrzeit erfährt man bereits bei der Buchung, inklusive eines einkalkulierten Zeitpuffers für mögliche Verzögerungen auf der Strecke. Länger als die angezeigte Fahrtzeit dürfte die tatsächliche Fahrtzeit also nicht dauern, mit der angezeigten Ankunftszeit kann also fest gerechnet werden.
Ob dies mit der Praxis immer übereinstimmt, wird sich noch zeigen. Die bisher absolvierten 30 bis 35 Testfahrten im Projektgebiet ließen Theresa Wunderlich, der Projektmanagerin Mobilität und Energie am Landratsamt Schweinfurt, jedoch darauf schließen, dass die im Buchungssystem angegebenen Ankunftszeiten realistisch sind. Sollte es doch Verspätungen geben, sei eine Entschädigung vorgesehen.
Wer die "Callheinz"-App nutzt, kann die Zeiten seiner gebuchten Fahrt in Echtzeit verfolgen und hat so stets im Blick, wann das gebuchte Fahrzeug am Start- und Zielpunkt tatsächlich ankommen wird.
Für wen ist "Callheinz" gedacht? Wer darf mitfahren?
In erster Linie soll der Bedarfsverkehr die vorhandenen Lücken "auf dem letzten Kilometer" im ÖPNV-Busfahrplan schließen, erklärt Graber. Die Kleinbusse sind primär als Zubringer zu verstehen, die Menschen von abgelegenen, vom Linienverkehr schlecht frequentierten Orten zum nächsten ÖPNV-Knotenpunkt mit gut getakteten weiterführenden Anbindungen bringen.
Nutzen können dieses Angebot grundsätzlich alle – vom Bub bis zur Seniorin. Gut zu wissen: Zwei der vier regulär eingesetzten Kleinbusse verfügen über Rollstuhlrampen oder Liftsysteme. So können, wenn dies bei Buchung der Fahrt angemeldet wurde, auch Rollstuhlfahrende sowie Rollatoren und Kinderwagen mitgenommen werden. Fahrräder dagegen können nicht transportiert werden.
Was kostet eine Fahrt mit "Callheinz"?
Der Preis für eine Einzelfahrt berechnet sich nach der Entfernung zwischen Start- und Zielort. Der Preis richtet sich weitgehend nach dem gültigen ÖPNV-Tarif. Anders gesagt: Eine "Callheinz"-Fahrt kommt meistens nicht teurer als eine Fahrt im Linienbus. Die Preise können über die App oder die Hotline abgefragt werden. Die Bezahlung erfolgt über die App mithilfe gängiger elektronischer Bezahlsysteme, wie PayPal oder Kreditkarte. Auch im Bus kann elektronisch oder bar bezahlt werden.
Mit dem Deutschlandticket ("49-Euro-Ticket") ist "Callheinz" kostenlos zu nutzen. Das Deutschlandticket muss jedoch vor Fahrtantritt anderswo gekauft werden und ist in den "Callheinz"-Bussen nicht erhältlich. Wer eine andere, mehrfach nutzbare Fahrkarte hat, etwa eine Wochenkarte, eine rabattierte Schülermonatskarte oder eine Tageskarte, der muss pro Fahrt mit "Callheinz" eine Anerkennungspauschale von 1 Euro bei Erwachsenen und 0,50 Euro für Kinder zahlen.
Ein Hinweis noch: Wer von einem "Callheinz"-Bus in einen ÖPNV-Linienbus umsteigt, muss dort für die Reststrecke zum Zielort den regulär anfallenden Fahrpreis zahlen.
Wird das Pilotprojekt auf weitere Bereiche ausgedehnt?
Das Projekt ist auf fünf Jahre angesetzt. Die Kosten teilen sich derzeit die Landkreise Schweinfurt und Kitzingen. Der Freistaat Bayern bezuschusst das Projekt. Fest steht bereits, dass "Callheinz" auf weitere Gebiete erweitert werden soll: ab voraussichtlich 1. September 2023 auf den Landkreis Rhön-Grabfeld und ab 1. September 2024 auf den Landkreis Würzburg. Ab 1. August 2024 sollen weitere Teile der Landkreise Schweinfurt und Kitzingen hinzukommen.
Zudem werden ab kommendem Jahr die Fahrzeuge der "Callheinz"-Flotte elektrisch angetrieben – mit grünem Strom.
Auf den ersten Blick eine lobenswerte Sache, die aber durch die Zeiten am Wochenende wieder relativiert wird.
Schichtarbeit bedeutet eben häufig auch Arbeit am Wochenende. Mit den Zeiten von 7 bis 21 Uhr wird das schwierig, z. B. wenn man an die Schichtarbeitenden der Klinik Kitzinger Land denkt.
Generell bleibt zu hoffen, dass das Angebot gut angenommen wird (das Deutschlandticket wird da seinen Teil dazu beitragen), denn eine Verbesserung des bisher eher mauen ÖPNV im Landkreis ist es allemal.
Die Benachteiligung des ländlichen Raums entfällt. Für Menschen ohne Kraftfahrzeug eröffnen sich neue Möglichkeiten und Freiheiten: die Fahrt zum Arzt, zum Einkaufen, ins Café oder zum Arbeitsplatz kann selbstbestimmt organisiert werden. Die Hilfe von Angehörigen oder Nachbarn ist nicht notwendig.
Auch in der Freizeit, zum Beispiel nach einer Wanderung am Sonntag, kann "Callheinz" genutzt werden.
Wer ein Deutschlandticket hat, fährt kostenlos mit.
Ein Meilenstein für unsere Region!
Thomas Vizl