
Anna-Lena Bolz wollte jung Mutter werden, sie hat sich viele Kinder gewünscht. Dieser Wunsch ist bislang nicht ganz in Erfüllung gegangen. Heute hat sie, wie sie selbst sagt, drei Kinder: "eines an der Hand und zwei im Himmel." Nach der Geburt ihrer ersten Tochter erlitt sie gleich zwei Fehlgeburten. Wobei sie diesen Begriff nicht mag: Stille Geburten findet sie angemessener. Geläufiger ist der Begriff Sternenkinder.
Trotz der beiden Schicksalsschläge hat die junge Frau ihren Lebensmut nicht verloren. Seit einiger Zeit gibt sie ihre Erfahrungen an andere Betroffene weiter. "Ich möchte das Thema aus der Tabuzone holen", sagt Bolz. Die studierte Pädagogin arbeitet in der Sternenkinderberatung beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Schweinfurt. Auch deshalb will sie über ihre eigenen Erlebnisse sprechen.
Plötzlich ein totes Kind im Bauch
Ihr Leben verändert sich grundlegend am 22. Juli 2021: Sie ist in der 20. Schwangerschaftswoche und an diesem Tag bei ihrer Frauenärztin zur Ultraschall-Untersuchung, als plötzlich der Satz fällt: "Oh, das schaut nicht gut aus." Die Gynäkologin kann keinen Herzschlag bei dem Kind finden. "Ich habe mich wie in einem bösen Traum gefühlt", erinnert sich die 31-Jährige, die in Fuchsstadt lebt.
Der zweite Schock folgt kurz darauf: Sie muss das Kind natürlich gebären, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Unter starken Schmerzen bringt sie es tags darauf tot auf die Welt. Zusammen mit ihrem Mann geht sie durch "das tiefste Loch in meinem Leben". Beide sind lange Zeit "total niedergeschlagen", obwohl sie von den Ärzten gut betreut werden und Hilfe vermittelt bekommen. Aber es gibt nur wenige Angebote.
Bolz knüpft übers Internet Kontakt zu anderen betroffenen Frauen und erfährt, dass viele hierzulande Totgeburten oder Fehlgeburten erleiden. Heute, als Beraterin, weiß sie mehr dazu: "Jede zweite Schwangerschaft endet, ohne dass Eltern ihre Kinder in den Armen halten dürfen."
Zwei Jahre später passiert es wieder
Was sie zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht weiß: Es wird nicht ihre letzte "stille Geburt" sein. Monatelang ist sie krankgeschrieben, versucht alles zu verarbeiten. Sie wechselt den Job, langsam kehrt der Alltag zurück. Auch der Wunsch auf Familienzuwachs lebt weiter und scheint zwei Jahre später tatsächlich in Erfüllung zu gehen.

Lange verheimlichen sie und ihr Mann die Schwangerschaft, sind skeptisch und ängstlich. Als sie sich schließlich offenbart, "da habe ich gedacht, jetzt geht es gut". Einen Tag später, erneut bei einer Untersuchung, werden ihre schlimmsten Befürchtungen wahr: Wieder ist kein Herzschlag zu hören, wieder ist das Kind tot.
Erstaunlich offen spricht sie neun Monate nach dieser schrecklichen Nachricht darüber: "Das hat uns sowas von den Boden unter den Füßen weggerissen. Ich habe gedacht, tiefer kann man nicht fallen." Sie wollte nur noch aufwachen aus diesem "Albtraum".
Große psychische Belastung für betroffene Frauen
Vielen Betroffenen ergeht es ähnlich. Jeglicher Verlust, egal in welcher Woche, belaste die Frauen, weiß Bolz. Nicht nur bei Totgeburten, so die genaue Bezeichnung ab der 24. Schwangerschaftswoche, die in Deutschland zunähmen (aktuell 4,4 von 1000 Geburten). Die Ursache: unbekannt.
Besonders bei frühen Fehlgeburten hätten die Betroffenen Angst, dass ihre Trauer nicht gerechtfertigt sei, weil es "noch kein richtiges Kind" ist. Nach Ansicht der Pädagogin ist diese Meinung in der Gesellschaft weit verbreitet. Weshalb viele Eltern keine Hilfe suchten oder kaum Hilfsangebote genannt bekämen. Die junge Frau hat selbst diese Erfahrung gemacht. Erst beim zweiten Sternenkind haben sie und ihr Mann aktiv Hilfe eingefordert.
Mittlerweile berät sie Eltern von Sternenkindern
Mit der Sternenkinderberatung im SkF finden ihr zufolge betroffene Eltern eine erste Anlaufstelle. Auch wenn es das Angebot schon länger gibt, so war es bislang kaum bekannt. Bolz und ihre Kolleginnen wollen das ändern. Mit Informationen, auch auf sozialen Plattformen, und einer Ausstellung zum Thema "Wenn die Wiege leer bleibt" ab dem 6. November.
Wichtig sind nicht nur Informationen zu Hilfsangeboten, zu gesetzlichen Vorgaben oder zur Bestattung. Die SkF-Mitarbeiterinnen bieten zusätzlich eine Krisenintervention an, wenn Frauen dringend eine erste Unterstützung nach der schockierenden Nachricht benötigen.
Aus eigener Erfahrung weiß sie, wie überfordert Eltern mit der Situation sind. Zwischen dem Schmerz über den Verlust des Kindes und dem "funktionieren müssen", zum Beispiel bei der Geburt des toten Kindes.
Neben der Sternenkinderberatung gibt es ein weiteres Angebot für Betroffene in Schweinfurt: In Zusammenarbeit mit dem Leopoldina-Krankenhaus findet ein Sternentreff statt, wo Eltern von Sternenkindern sich offen austauschen können.
Trauerverarbeitung auch für Geschwisterkinder wichtig
Die Geburt, vor der sie sich zunächst gefürchtet hatte, ist für sie rückblickend ein elementarer Baustein beim Abschiedsprozess gewesen. Es bleibe ein Geburtsgefühl. Und während sie beim ersten Sternenkind ihre "Tochter an der Hand" anfangs außen vor gelassen hätte, durfte sie bei der zweiten Geburt dabei sein und ihren Bruder sogar im Arm halten.
Die Einbeziehung ihres Kindes in die Trauer hält sie für wichtig. Ein Moment ist ihr dabei besonders positiv in Erinnerung geblieben: "Es gibt ein Bild davon, da lachen wir sogar. Weil der Moment trotz allem schön war und wir sichtbar waren als Familie."

In der Trauerverarbeitung sei vieles erlaubt, meint sie, auch wenn es vielleicht unangebracht erscheint. Ihre Familie feiert etwa die Geburtstage der totgeborenen Geschwister. Eine weitere Hilfe stellen Erinnerungsstücke dar. Dazu gehören Fotos ihrer "Kinder im Himmel", die eine Sternenkinderfotografin gemacht hat.
Andenken, wie gehäkelte Blumen oder Armbänder, gab es vom Krankenhaus. In einer Gedenkecke im Haus der Familie findet sich unter anderem eine Karte mit den Mini-Fußabdrücken der gestorbenen Tochter, zusammen mit dem Zitat: "Kein Fuß ist zu klein, um nicht einen Abdruck in dieser Welt zu hinterlassen."
Den Wunsch nach einem Geschwisterchen für ihre Tochter hat Anna-Lena Bolz trotz alledem nicht aufgegeben. Auch, wenn sie eine "Riesenangst" hat. Doch sie möchte sich davon nicht leiten lassen. "Die Hoffnung, die ist einfach größer."