Carolin Grundei sitzt am Esstisch in ihrer Wohnung in Beuerbach. Vor ihr liegen Bilder und eine aufgeschlagene Karte, in der zwei Fußabdrücke auf einer Seite zu sehen sind und auf der anderen Seite Gewicht und Größenangaben stehen. Und ein Name: Karl. Für den haben sich die 38-Jährige und ihr Mann Michael entschieden, nachdem sie erfahren hatten, dass es ein Junge wird. Damals, als die Gynäkologin der werdenden Mutter bei den Vorsorgeterminen gesagt hat, sie sähe bei jedem Besuch besser aus. "Rückblickend ist während der Schwangerschaft vielleicht alles zu perfekt gelaufen", sagt Carolin.
Jeder geht unterschiedlich mit einer Totgeburt um
Mitte Juni und ein paar Tage bevor Karl zur Welt kommen sollte, merkte sie, dass das Kind in ihrem Bauch ruhiger wurde. "Ich wollte allerdings kein Hypochonder sein. Schließlich ist es nicht ungewöhnlich, dass das Kind vor der Geburt etwas stiller wird." Also blieb sie daheim. Ein paar Bewegungen habe sie schließlich gespürt. Carolin schluckt. Mittlerweile weiß sie, dass die Regungen, die sie als die ihres Sohnes wahrnahm, durch ihre restlichen Organe verursacht wurden.
Bei der letzten Untersuchung, einen Tag vor Geburtstermin, musste die Ärztin dem Paar mitteilen, dass das Kind, das die letzten neun Monate in Carolins Bauch herangewachsen war, tot ist und das vermutlich schon einige Tage. "Eigentlich hätte ich es merken müssen. Der Kleine hatte immerzu vorher am Abend Schluckauf gehabt und plötzlich war er weg", erzählt Grundei.
Am Samstag, 17. Juni, wurde Karl mit einem Kaiserschnitt zur Welt gebracht. "Uns wurde zwar gesagt, dass eine natürliche Geburt bei der Trauerverarbeitung hilft", sagt Michael. "Aber ich konnte das nicht. Deshalb habe ich mich auch für eine Vollnarkose entschieden", führt Carolin den Satz fort. An dem Tag musste das Ehepaar noch eine andere Entscheidung für sich treffen. "Entweder man driftet komplett ab, gerät vielleicht in eine Depression, oder man geht offen mit dem Thema um und blickt nach vorn", sagt Michael.
Sternenkinder-Fotografen, Seelsorger und Hebammen helfen Eltern
Das Paar entschied sich für die zweite Option. So teilten sie am selben Tag noch die traurige Nachricht mit Familie, Freunden und Bekannten. "Auch um der Frage entgegenzukommen, ob man denn jetzt schon ein Kind habe", sagt Michael Grundei, der beim HCL als Manager aktiv ist. Beide sind dankbar, dass das Klinikum in Fällen von Sternenkindern, die Eltern unterstützt. "Die leisten phänomenale Arbeit. Uns wurde dann eine Fotografin vermittelt, die Bilder von Sternenkindern macht", erzählt sie. Das müsse man nicht machen, aber es sei ein weiterer Schritt, mit dem Tod des Kindes umzugehen.
In Städten wie Augsburg haben Kliniken wöchentlich mit Sternenkindern zu tun. In Landsberg passiere das ungefähr dreimal im Jahr, sagt Pressesprecherin Alexa Dorow. Totgeburten seien ein Tabu-Thema. Unter anderem, weil werdende Eltern sich vor der Geburt natürlich nicht das Schlimmste ausmalen. "Für einen solchen Schicksalsschlag gibt es kein Patentrezept. Jeder Fall ist individuell", sagt Dorow, die unter anderem für das Thema Geburtshilfe verantwortlich ist. Als Klinik können sie den Eltern Seelsorger, Fotografen und weitere Hilfe vermitteln. Worauf sich Eltern einlassen, obliege aber immer ihnen selbst.
Trotz Totgeburt erlebt die Mutter das Wochenbett
Am Sonntag, 18. Juni, wurden die Fotos gemacht. Dafür zogen Grundeis ihrem Sternenkind die Kleidung an, die sie vorzeitig für den Geburtstermin gekauft hatten. Graublauer Stoff, mit Micky Maus darauf. Dazu die passende Decke. Bei dem Termin hatten sie Karl auch auf dem Arm. "Es war zuerst ganz surreal. Der kleine kalte Körper", sagt Michael. Im Krankenhaus werden die Sternenkinder so aufbewahrt, dass Eltern die Möglichkeit haben sich zu verabschieden. Der Fototermin sei der erste Moment gewesen, in dem Carolin und Michael mit Karl zusammen waren. "Irgendwann kann man dann auch nicht mehr weinen und wir haben gewitzelt, was an ihm wem von uns ähnlich sieht", sagt Carolin. "Man hat schon gesehen, dass er seine starken Waden hat und meine langen Finger."
Das Ereignis zu verarbeiten, sei ein Prozess. "Es wurde auch schon ein Wäschekorb gegen die Wand gedonnert", erzählt Carolin von den Wochen nach der Geburt. Sie erlebe das Wochenbett – also die hormonelle und körperliche Veränderung, die eine Mutter nach der Geburt durchmacht: "Aber eben ohne Kind." Manchmal würde sie zu lange darüber nachdenken: "Man sollte sich eigentlich nicht fragen, woran es gelegen hat."
Ehepaar aus Weil ist dankbar für die Hilfe
Sie und ihr Mann wissen, dass es auch für ihr soziales Umfeld schwierig ist einzuschätzen, wie sie nun mit dem Ehepaar umgehen. Der Seelsorger im Klinikum hat den Eltern erzählt, dass an solchen Situationen auch schon mal Freundschaften zerbrechen, nur deshalb, weil man den Trauernden Abstand geben wollte. "Wir freuen uns trotzdem, wenn wir zu Festen eingeladen werden. Unter Freunden zu sein, hilft uns auch, uns abzulenken."
Etwa einen Monat später haben Caroline und Michael ihr Kind in einer Urne beigesetzt. Mithilfe von Freunden und Familie packten die beiden Boxen, schickten Möbel fürs Kinderzimmer zurück und sprachen viel über das Thema. Es sei überraschend gewesen, wie viele Menschen Ihnen plötzlich von eigenen Erfahrungen mit Totgeburten erzählt haben, sagt das Ehepaar: "Da merkt man, dass man eigentlich nie darüber spricht, aber auch, dass man nicht alleine ist."