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Sternenkinder: "Es war schon unser Baby"
Sternenkinder Wenn Kinder vor ihrer Geburt sterben, sprechen die Eltern meist nicht darüber. Es geht weiter, als wäre nichts passiert. Die Betroffenen müssen ihre Trauer oft verstecken. Ein Paar aus der Region erzählt.
Julia Back
 |  aktualisiert: 11.11.2021 14:27 Uhr

Ein Kind zu verlieren, schmerzt. Egal zu welchem Zeitpunkt. Auch wenn es noch gar nicht geboren wurde. Betroffene sind mit ihrer Trauer oft alleine – Sternenkinder sind noch immer ein Tabuthema. Ein Paar, sie Ende 20, er Anfang 30, erzählt seine Geschichte. Davon, wie ihnen die Rolle als Mutter und Vater plötzlich weggerissen wurde, warum sie anonym bleiben wollen und wie ihnen die Bestattung ihres Babys auf einer Himmelswiese geholfen hat, wieder nach vorne schauen zu können.

Sie:

Ich muss oft daran denken und berühre ständig meinen Bauch – eigentlich wäre ich jetzt in der 35. Schwangerschaftswoche. Aber der dicke Bauch fehlt. Ich war in der zehnten Woche, als mir der Arzt den Mutterschaftspass ausstellen wollte. Da mein Freund nicht konnte, habe ich extra unsere Mütter mitgenommen, weil sie sich so sehr auf ihr erstes Enkelkind gefreut haben. Doch beim Ultraschall war der Arzt ganz komisch, wurde immer stiller, bis er schließlich gesagt hat, dass das Baby nicht mehr am Leben ist.

Er:

Ich war auf der Arbeit, als sie mich mit heulender Stimme angerufen hat. Sie konnte es mir aber nicht sagen und hat den Hörer ihrer Mutter gegeben. Damit war mir schon klar, was das bedeutet.

Sie:

Ich konnte es nicht fassen, war einfach unendlich traurig. Es war ja schon mein Baby. Mein Körper hatte sich bereits komplett umgestellt. Ich war müde, hatte ein Ziehen im Unterleib, alles hat gespannt. Ich war schwanger – und plötzlich war ich es nicht mehr.

Er:

Bei mir war in dem Moment der Kopf einfach nur leer. Man glaubt, dass das alles bestimmt gar nicht wahr sein kann. Ich war an dem Tag auf der Arbeit und wollte nicht, dass die Kollegen etwas merken, also habe ich versucht, mich so normal wie möglich zu verhalten. Es war nicht einfach, weil die Gedanken ständig abschweiften.

Sie:

Es war einfach schon unser Baby. Wir hatten schon Namen ausgesucht und uns ganz verrückt gemacht, dass ich mich auch richtig ernähre. Jeden Abend hat mein Freund den Bauch geküsst und auch dem Baby eine gute Nacht gewünscht.

Er:

Der Verlust trifft mich schon hart. Mir tut aber vor allem weh, dass sie das durchmachen muss. Das Schlimmste daran war, zu hören, als meine Partnerin sagte: „Ich habe unser Baby verloren.“ Es war und wird auch in Zukunft immer unser Baby sein. Wir haben dieses Kind verloren und nicht meine Freundin alleine.

Sie:

Ich habe immer davon gesprochen, dass „ich“ das Kind verloren habe und den Arzt gefragt, was ich denn falsch gemacht habe. Man fühlt sich einfach nur schuldig. Andere sind ja auch schwanger – und man selbst verliert sein Kind. Ich fühle mich wie eine schlechte Mutter.

Er:

Das ist aber nicht so! Der Arzt hatte uns gesagt, dass dies bei etwa 15 Prozent der Schwangerschaften passiert und gerade die ersten zwölf Wochen kritisch sind. Es wäre leider ganz normal.

Sie:

Wir haben nur unserer Familie und wirklich engen Freunden davon erzählt. Es ist aber schon ein Tabuthema. Als wir es angesprochen hatten, erfuhren wir plötzlich, wem es in der Familie und im Freundeskreis auch schon passiert ist. Da erschrickt man regelrecht. Tanten, Cousinen und Freundinnen ist das Gleiche passiert, schon vor 25 Jahren oder sechs Monaten. Aber offen darüber gesprochen hatten bisher eben die wenigsten.

Er:

Es ist ein heikles Thema. Ich finde, dass das jeder mit sich selbst ausmachen muss. Man kann niemanden dazu zwingen, darüber zu sprechen. Trauer ist nun einmal privat. Aber das kann nun mal eben auch jedem passieren.

Sie:

Die Operation – ich hatte eine Ausschabung – hat mich dann vor allem seelisch belastet. Mir ging es sehr schlecht. Ich war ein paar Tage krankgeschrieben. Dann kam ich wieder auf die Arbeit, und alles war so, als wäre nichts gewesen. Niemand wusste, dass ich schwanger war. Ich habe das Gefühl, dass man nicht offen darüber sprechen kann. Ich habe vor allem Angst, in der Arbeit abgestempelt zu werden. Ich habe nur einen befristeten Vertrag. Wenn mein Arbeitgeber von einem möglichen Kinderwunsch wüsste, hätte ich gleich schlechtere Chancen.

Er:

Ich verstehe sie. Aber es ist ja nicht so, dass Menschen, die frühzeitig ihr Kind verlieren, gesellschaftlich gebrandmarkt sind. Aber ich bin da auch eher pragmatisch. Wir wussten vier Wochen von der Schwangerschaft und waren uns darüber im Klaren, dass die ersten zwölf Wochen kritisch sind. Von daher habe ich es vermieden, große Pläne zu schmieden.

Sie:

Unser Baby wurde einige Wochen später mit anderen Sternenkindern auf einer Himmelwiese in der Region beigesetzt. Es gibt zwar keinen Grabstein, aber wir besuchen die Wiese regelmäßig. Und wir wissen, dass es nicht alleine, sondern zusammen mit den anderen Sternenkindern beigesetzt wurde.

Er:

Dadurch, dass wir weder das Geschlecht wussten und es noch so klein war, hatte ich nichts Konkretes, um das ich trauern kann. Mir fehlt der Anhaltspunkt für diese Art von Trauer. Als meine Oma eine Woche zuvor gestorben ist, konnte ich konkret trauern, weil ich weiß, wer nicht mehr da ist. Das alles habe ich mit dem zehn Wochen alten Baby nicht. Daher fällt es mir schwer, die Trauer auf das Baby zu kanalisieren. Ich bin eher traurig, weil meine Partnerin das durchmachen musste.

Sie:

Die Beerdigung hat geholfen. Wir haben das, was passiert ist, anerkannt und konnten Abschied nehmen. Jetzt machen wir zusammen weiter.

Er:

Im Gegensatz zu normalen Gräbern, die ich eher beklemmend finde, sehe ich den Sinn einer solchen Sternenwiese schon. Es gibt einem sonst „gesichtslosen Wesen“ eine Art Gesicht. Um meine Oma kann ich auch zu Hause trauern, in dem ich an sie denke oder mir Bilder von ihr anschaue. Da muss ich nicht an ihr Grab kommen. Bei einem Sternenkind ist das anders – dort hilft das schon sehr.

Sie:

Es gibt auch viele Foren von Betroffenen im Internet oder Hilfsgruppen, dort sind wir aber nicht hin. Ich kann das nicht. Ich verarbeite das für mich. Es macht mich nur trauriger, wenn ich vom Leid anderer Familien höre.

Er:

Ich denke, dass ich das ganz gut mit mir selbst ausmachen kann. Und wir sind ja auch füreinander da. Eine Antwort auf die meisten Fragen habe ich aber natürlich leider auch nicht. Die Trauer kommt und geht. Ich verdränge definitiv nichts, versuche aber eher, in die Zukunft zu blicken. Wir haben ja trotzdem noch die Möglichkeit, Kinder zu bekommen und noch das ganze Leben vor uns.

Sie:

Wir versuchen jetzt wieder, ein Baby zu bekommen. Aber schon bevor ich überhaupt wieder schwanger bin, habe ich wahnsinnig Angst, dass ich auch mein nächstes Baby verliere.

Er:

Die Angst ist immer dabei – aber das war vorher auch schon so. 15 Prozent sind nun einmal 15 Prozent, und es fängt beim nächsten Kind wieder von null an. Leider.

Sie:

Ich würde mir wünschen, dass Sternenkinder auch in der Gesellschaft als wirkliche Todesfälle anerkannt werden. Ich kann über mein Leid nicht offen sprechen, weil ich Angst haben muss, in eine Ecke gestellt zu werden. Je näher der eigentliche Geburtstermin im Dezember rückt, desto öfter ertappe ich mich dabei, wie ich mir vorstelle, wie es jetzt eigentlich gerade wäre. Stattdessen ist alles so, als ob nie etwas gewesen wäre.

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