
Frühjahr 2020: Die Tafel im Schweinfurter Stadtteil Bergl hat nach einer Woche Umbau wieder geöffnet. Der ganze Ablauf wurde nach den Corona-Regeln neu organisiert. Am Ende des ersten Öffnungstags steht Ernst Gehling mit einem Besen in der Hand am Eingang. Neben ihm eine ältere Frau, mit vollen Einkaufstüten in der Hand: "Mein Kühlschrank ist leer", sagt sie und fängt an zu weinen. "Aber immerhin gibt es die Tafel." So schildert Ernst Gehling, Vorsitzender der Tafel Schweinfurt, diese Geschichte heute.
Alle, die bei der Tafel arbeiten, könnten so eine Geschichte erzählen, sagt er. Und er rechne damit, dass es immer mehr solcher Geschichten werden. Denn die Armut hierzulande wachse immer weiter. Und je größer die Armut, desto mehr Menschen würden zur Tafel kommen, sagt er.
3659 Menschen kommen allein in Schweinfurt zur Tafel
Wer die entsprechende Berechtigung hat, könne sich einmal die Woche Lebensmittel bei der Tafel holen, erklärt Gehling. Nehmen, was übrig ist, und denen geben, die es brauchen: Das Konzept der Tafel sei vor 20 Jahren, als die Tafel in Schweinfurt an den Start ging, noch besser aufgegangen. Inzwischen zeigen die Zahlen der Tafel in entgegengesetzte Richtungen: Die Kundenzahlen steigen, während die Menge der Lebensmittelspenden sinkt.
Die Gruppe derer, die zur Tafel kommen können, habe sich seit der Anfangszeit deutlich erweitert, sagt ihr Vorsitzender. Zu Beginn seien es vor allem Obdachlose gewesen. Inzwischen versorgt die Tafel nach eigenen Angaben 3659 Menschen in Schweinfurt. Allein 42 Prozent davon seien seit Kriegsausbruch aus der Ukraine gekommen.
Nachhaltigkeit im Handel verringert den Nachschub für die Tafel
Der Kampf gegen Armut ist aber nur ein Ziel der Tafel. Das zweite ist die Lebensmittelrettung. Wie Evelin Schulz, ebenfalls im Schweinfurter Tafel-Vorstand, erklärt, kommen die Spenden direkt vom Lebensmittelhandel. Der würde sich jedoch zunehmend im Sinne der Nachhaltigkeit umstellen: "Früher wurden Waren zwei Wochen vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum aussortiert und an die Tafel gegeben. Heute verkauft man oft bis dahin ab."

Es sei zwar gut, dass die Unternehmen heute weniger Lebensmittel verschwenden, betont der Bundes-Vorsitzende der Tafel, Andreas Steppuhn, bei einem Besuch in Schweinfurt. Dass sich die Tafeln gleichzeitig aber um immer mehr Menschen kümmern sollen, werde dann zum Problem. "Für die Grundversorgung der Menschen ist der Staat verantwortlich, nicht die Tafel", sagt er. Es brauche höhere Renten, Einkommen und Sozialleistungen. Aber stattdessen würde die Verantwortung auf die Tafeln übertragen.
Mehr Anerkennung und Respekt von der Stadt Schweinfurt gewünscht
In Schweinfurt fühlen sie sich dafür nicht ausreichend gewürdigt. "Ich wünsche mir mehr Anerkennung und Respekt für die ehrenamtliche Arbeit", sagt Gehling. Zu oft fühlten sie sich von der Stadt mit ihren Problemen allein gelassen. Zu viel Zeit der Ehrenamtlichen ginge für Bürokratie und Organisatorisches drauf. Für die Stadt sei es dagegen ein Leichtes, mit zentralen Strukturen dafür zu sorgen, dass sich soziale Einrichtungen auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können, sagt er.
"Wir brauchen in Schweinfurt eine Koordinierungsstelle für soziale Arbeit und Armutsbekämpfung", fordert daher Schulz. Damit hätte sich die Tafel auch schon an die Stadt gewandt. Ohne Erfolg. Dabei betont sie, dass sich auch die Tafel daran organisatorisch beteiligen wolle. "Hier sitzen die Leute, die sich damit auskennen", sagt sie. "Wir könnten eine Lotsenfunktion einnehmen."
Immer weniger Ehrenamtliche bei der Tafel aktiv
Dass die Tafel mit dieser Forderung bisher keinen Erfolg hatte, sieht der Vorstand als Teil eines größeren Problems in Schweinfurt: "Ehrenamtliche Arbeit wird für selbstverständlich genommen", sagt Schulz und bezieht das nicht nur auf die Tafel. Der Vorstand habe von der Stadt daher einen sozialen Tag der Stadt für alle Ehrenamtlichen gefordert – ebenfalls erfolglos.
Solche Aktionen könnten Schulz' Meinung nach eine Strahlkraft entwickeln, die das Ehrenamt bei jungen Menschen wieder attraktiver machen würden. Fehlender Nachwuchs sei besonders angesichts der steigenden Kundenzahlen ein großes Problem, sagt sie. Seit 2016 ist die Zahl ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer bei der Tafel von 151 auf 115 geschrumpft.