zurück
Schweinfurt
Weil Sterben ein Tabu-Thema ist: Chefärztin Röder über die Herausforderung, Menschen in Liebe gehen zu lassen
Dr. Susanne Röder leitet die Palliativstation am Krankenhaus St. Josef in Schweinfurt. Ein Ort, an dem Sterben dazugehört – genauso wie Hoffnung und Lachen.
Chefärztin Dr. Susanne Röder leitet die Palliativstation des Krankenhauses St. Josef in Schweinfurt.
Foto: Josef Lamber | Chefärztin Dr. Susanne Röder leitet die Palliativstation des Krankenhauses St. Josef in Schweinfurt.
Katja Beringer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:20 Uhr

Sonnenstrahlen tauchen das Wohnzimmer in warme Farben. Der Blick nach draußen ist schön, die ersten Blumen, die ersten Blätter an den Bäumen. Sich geborgen fühlen, lebendig – dieses Gefühl will das Team der Palliativstation des Krankenhauses St. Josef den schwerkranken Menschen geben, die hierherkommen. Nicht zum Sterben, sondern, um begleitet zu werden auf ihrem Weg, um Kraft zu tanken, Linderung zu bekommen. Manche kommen einige Male hierher. Am Ende, sagt Dr. Susanne Röder, wird überall gestorben – zu Hause, im Pflegeheim, im Krankenhaus, im Hospiz, und hier.

Die Chefärztin hat die Abteilung für Palliativmedizin mit aufgebaut, gemeinsam mit einem "tollen Team", wie sie betont. Weil sie, als Medizinstudentin, selbst erlebt hat, wie es Angehörigen geht, die einen geliebten Menschen verlieren, wie alleine man sich fühlt und wie angewiesen beide Seiten – Schwerstkranke und ihre Familien – auf Hilfe sind. Eine umfassende Hilfe, die nicht bei der reinen Medizin stehen bleibt. Noch zu wenige kennen das Angebot der Palliativmedizin, sagt Dr. Röder. Deshalb das Interview im Vorfeld eines Themenabends im Programmkino KuK in Schweinfurt. Dort wird am 19. April der Film "In Liebe lassen" gezeigt, der das Thema Krankheit, Abschied, Sterben und Trauer von allen Seiten beleuchtet. Der Eintritt ist frei.

Frage: Frau Dr. Röder, am 19. April veranstalten Sie einen Filmabend im KuK. Warum dieser Schritt?

Dr. Susanne Röder: Das Angebot ist Teil der Informations- und Aufmerksamkeitskampagne "das ist palliativ" der deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Der Spielfilm zeigt, wie palliative und hospizliche Begleitung aussehen kann. 

Seit 22 Jahren gibt es die Palliativstation in Schweinfurt. Und immer noch braucht es Aufklärungsarbeit. Woran liegt das? 

Röder: Anders als in England, wo Cicely Saunders 1967 die moderne Hospizbewegung ins Leben gerufen hat, sind Hospiz und Palliativ in Deutschland zwei getrennte Bereiche mit der gleichen Grundlage, dem Hospizgedanken – und das verwirrt viele. Ich merke, dass es immer noch Aufklärungsarbeit braucht, trotz all der Vorträge, der Angebote in den vergangenen Jahren über das Thema "Das ist palliativ". In dem Moment, in dem es einen selbst nicht betrifft, hört und liest man davon, aber es ist ganz weit weg. Ist man selbst oder ein Angehöriger in der Situation, dann wird es wieder bewusst und dann ist es gut zu wissen, wo kann ich mich hinwenden.

Und an wen können sich Betroffene wenden, gibt es eine Anlaufstelle?

Röder: Wir sind in der Region gerade am Aufbau eines Netzwerks Hospiz- und Palliativversorgung, in dem alle Kooperationspartner der Hospiz und Palliativversorgung Mitglied werden können. Am Krankenhaus St. Josef ist es das Brückenteam, das weiterhilft in allen Fragen rund um eine palliative Versorgung. Finanziert wird das Team über den Förderverein.

Was bedeutet Palliativmedizin?

Röder: Der Begriff kommt aus dem Lateinischen, bedeutet 'der Mantel' – in der Palliativmedizin heißt das, den schwerkranken Menschen quasi zu ummanteln, und auch die Angehörigen ganzheitlich zu begleiten. Es bedeutet aber auch lindern. Oft heißt es: 'Wir können nichts mehr für sie tun' – da kann aber noch ganz viel getan werden, aber mit einer anderen Intention. Unsere Patientinnen und Patienten sind Menschen mit einer weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung – wobei das Tage, Wochen, Monate und auch Jahre sein können. Unsere Patientinnen und Patienten kommen oft mehrmals zu uns. Seit kurzem gibt es am Krankenhaus St. Josef auch einen palliativmedizinischen Dienst, der in die Akutbehandlung am Krankenhaus eingebunden wird. So kann über die Möglichkeiten der Palliativmedizin frühzeitig informiert werden.

Belastend ist die Situation nicht nur für den schwerkranken Mensch an sich, sondern auch für die Angehörigen. Die Palliativstation will beide auffangen und begleiten.
Foto: Josef Lamber | Belastend ist die Situation nicht nur für den schwerkranken Mensch an sich, sondern auch für die Angehörigen. Die Palliativstation will beide auffangen und begleiten.
Worin liegt dann der Unterschied zu Hospiz?

Röder: Ein Hospiz ist eine Art Pflegeeinrichtung, größtenteils finanziert von der Pflegekasse. Der Hospizgedanke ist auch hier, wie auf der Palliativstation, die Grundlage – sowohl von der Grundhaltung als auch von der personellen und räumlichen Ausstattung. Das heißt: Aufnahme und Begleitung finden Menschen mit einer begrenzten Lebenserwartung bei einer weit fortgeschrittenen Erkrankung, die Tage, Wochen, manchmal auch Monate vor ihrem Tod von einem speziell geschulten Pflegeteam ganzheitlich umsorgt werden. Im Hospiz ist kein Arzt vor Ort. Hausärzte übernehmen die Versorgung. Sie können auch die spezialisierte ambulante Palliativversorgung anfordern. In beiden Einrichtungen sind ehrenamtliche Hospizhelfer im Einsatz, die Patienten und Angehörige mit begleiten. Eine Palliativstation dagegen ist eine Abteilung eines Akutkrankenhauses und wird von den Krankenkassen finanziert, d.h. es braucht immer eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit und eine Einweisung/Überweisung durch einen Arzt.

In eine Palliativstation kommen also Menschen mit einer nicht heilbaren Krankheit in Phasen, in denen es ihnen nicht gut geht?

Röder: Genau, zum Beispiel mit Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schlaflosigkeit, Atemnot ... Die Patienten kommen oft mehrmals im Laufe ihrer Erkrankung hierher. Es gibt verschiedene Angebote, neben der rein medizinischen und pflegerischen Versorgung, wie Physiotherapie, Musik-, Kunst- und Atemtherapie, tiergestützte Therapie, Seelsorge und psychoonkologische Gespräche, aber auch  – die Möglichkeit trotz schwere Krankheit Geburtstag, Hochzeit und Taufe zu feiern, oder unser Gartenfest. Der Wünschewagen wird manchmal organisiert, um einen letzten Herzenswunsch möglich zu machen. Wir suchen gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten, was ihnen wichtig ist.

Warum haben Sie sich für die Palliativmedizin entschieden?

Röder: Die Palliativmedizin hat einen ganzheitlichen Therapieansatz, der neben dem körperlichen auch die psychischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse der Patienten im Blick hat. Diese ganzheitliche Herangehensweise, das ist es, was mich damals fasziniert hat nach meiner Zeit als Anästhesistin in einem Akutkrankenhaus mit 2000 Betten, mit Intensivstation, mit Notaufnahme ... in Berlin. Was mir sehr wichtig ist, ist der würdezentrierte Ansatz. Die Würde des Menschen ist unantastbar, auch in dieser Lebensphase, in der Zeit des Angewiesenseins, wo der Mensch spürt, mein Leben schwindet dahin.

Was heißt das konkret?

Röder: Da gibt es viele Möglichkeiten, zum Beispiel auch über die würdezentrierte Therapie, eine Form der Psychotherapie, die Menschen unterstützt, sich bewusst zu werden, auf was sie stolz sind in ihrem Leben, was ihnen Freude macht, was sie ihrer Familie mitgeben wollen, was sie alles erlebt, was sie geschaffen haben. Es geht darum darauf zu schauen, was alles noch geht, trotz der Erkrankung. Wir hatten eine Patientin, die saß im Rollstuhl, und hat früher schon gerne große Bilder gemalt. Wir haben sie ermuntert, das auch jetzt zu tun. So hat sie jedem in der Familie noch ein großes Bild gemalt und sich dabei wieder lebendig gefühlt.

Es klingt zwar abgedroschen, aber ist der Tod nicht immer noch ein Tabu-Thema? Haben wir verlernt, damit umzugehen?

Röder: Ja. Aber die früheren Zeiten werden auch oft glorifiziert –Zeiten, in denen der Mensch in der Familie gestorben ist. Es gab aber sonst nichts anderes als die Familie. Natürlich war der Tod mehr Teil des Lebens, haben Kinder neben der sterbenden Oma gespielt, aber es war auch gar nicht anders möglich, weil die Eltern auf dem Feld waren. Diese Familienverbände gibt es oftmals jetzt nicht mehr. Wenn jemand heutzutage aus der eigenen Familie, aus dem eigenen Freundeskreis betroffen ist, dann setzen sich die Menschen mit Tod und Sterben auseinander. Den ersten Menschen, den ich im Sterben begleiten durfte, war eine alte Dame im Krankenhaus St. Josef während meines Pflegepraktikums. Es war damals alles so friedlich. Ich habe eine positive erste Erfahrung gemacht mit Sterben und Tod. Je nachdem, was man mit Sterben und Tod erlebt, prägt das auch.

Die ganzheitliche Betreuung ist der Kern der Palliativmedizin, sagt Dr. Susanne Röder. Pfleger Ralf Holzinger ist für die Patientin und ihren Angehörigen immer da.
Foto: Josef Lamber | Die ganzheitliche Betreuung ist der Kern der Palliativmedizin, sagt Dr. Susanne Röder. Pfleger Ralf Holzinger ist für die Patientin und ihren Angehörigen immer da.
Was sollten wir uns bewusst machen?

Röder: Es geht nicht darum, sich ständig mit Sterben und Tod auseinanderzusetzen, aber darum, manchmal innezuhalten und sich zu vergegenwärtigen: Jeder Moment ist kostbar, jeder Moment ist ein Geschenk. Wir wissen alle mit der Geburt, dass das Leben endlich ist, wir wissen nur nicht wann und wie wir aus dieser Welt gehen werden. Leben im Hier und Jetzt, jeden Tag neu in Liebe und Dankbarkeit für dieses Leben.

Dr. Susanne Röder und die Palliativstation am Krankenhaus St. Josef

Die Palliativstation ist nicht direkt am Krankenhaus angesiedelt, sondern in einem eigenen Gebäude in der Neutorstraße. Auf zwei Stockwerken gibt es Platz für zehn Patientenzimmer, Gemeinschafts- und Funktionsräume und einen Patientengarten.
Das Brückenteam der Palliativstation am Krankenhaus St. Josef berät und hilft Betroffenen und deren Angehörigen in allen Fragen rund um das Thema palliative und hospizliche Versorgung. Zu erreichen ist das Brückenteam über die Telefonnummer (0 97 21) 57 50 10 oder brueckenpflege@josef.de via Mail.
Welche Einrichtungen es wo gibt, lässt sich im Hospiz-und Palliativregister nachschlagen.
Der Filmabend im Kuk am 19. April beginnt um 17 Uhr. Gezeigt wird der Film "In Liebe lassen" von Emmanuelle Bercot. Der Film zeigt, wie es gelingen kann, schwerkranke Menschen auf ihrem letzten Lebensweg zu begleiten. Es geht um den 40-jährigen Schauspiellehrer Benjamin, der unheilbar an Krebs erkrankt ist. Noch ein Jahr bleibt ihm, um Frieden mit seinem Leben zu schließen und sich zu verabschieden. Aufgefangen wird er von seiner Mutter, seinem Arzt und seinem Palliativteam.
Dr. Susanne Röder ist in Schweinfurt aufgewachsen, hat in Würzburg Humanmedizin studiert, in Berlin ihre Weiterbildung zur Fachärztin gemacht und kam als Anästhesistin nach Schweinfurt ans Krankenhaus St. Josef zurück. Dort hat sie die Palliativstation mit aufgebaut, zu der inzwischen ein Team die Palliativmedizin etabliert.
Quelle: Palliativstation/kab
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Schweinfurt
Katja Beringer
Akutkrankenhäuser
Anästhesisten
Hospize
Patientenzimmer
Pflegeheime
Susanne Röder
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Albatros
    Sehr geehrte Frau Dr. Röder, man muss schon ein ganz besonderer Mensch sein, einen fremden Menschen würdevoll beim Sterben zu begleiten. Wenn wir heute über Alles und Jeden diskutieren, das Thema Sterben übergehen wir, weil wir uns nicht damit auseinander setzen wollen. Ich bewundere Sie für Ihre Kraft und Ihre Stärke und möchte mich für Ihre unfassbar tolle Arbeit bedanken.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten