
Furchtbar. Das ist das erste Wort, das Roland Bathon durch den Kopf geht, als er am Donnerstagfrüh liest, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Bathon, der sich seit Jahrzehnten als Autor und Journalist mit Russland beschäftigt, ist jetzt ein gefragter Gesprächspartner, erzählt er im Telefonat mit dieser Redaktion am Donnerstag. Vor kurzem ist sein Buch "Putin ist nicht Russlands Zar " erschienen. Damals war die große Frage: Wird es Krieg geben? Wird Russland die Ukraine angreifen. Jetzt, nicht mal zwei Wochen später, ist Krieg.
Roland Bathon macht sich gleich daran, russische Stimmen zu sammeln, informiert sich bei vertrauenswürdigen, regierungsunabhängigen russischen Zeitungen und Online-Publikationen. Eine Sache greift er gleich für einen Artikel auf: Einen Aufruf russischer Medienschaffender und Wissenschaftler, die die Militäraktion verurteilen. "Es gibt keine Rechtfertigung für Krieg", heißt es darin. Bathon findet es beeindruckend, dass unter den gut 140 Unterzeichnern auch Leute sind, die sich bisher nicht kritisch geäußert haben, darunter Mitglieder der russischen Akademie der Wissenschaften. Den Appell findet er mutig. Die Unterzeichner besäßen eine wichtige Stellung im Land, die sie unter Umständen gefährden.
Welche Informationen sind verlässlich?
Welche Informationen sind verlässlich? Welche nicht? Wem glaube ich? Wem nicht? Fragen die auch Bathon beschäftigen. Videos, die Angriffe zeigen, sind im Netz zu finden. Bilder, die in einer Stadt im Herzen der Ukraine wehende russische Flaggen zeigen. Die Flaggenbilder sind alt, sagt Bathon. "Viele Fake-Videos sind aufgetaucht im russischen Internet", sagt er. Er versucht, sich auf Quellen zu verlassen, die er als vertrauenswürdig kennt. "Alles nicht so einfach."
Gibt es einen Vormarsch auf Kiew? Bleibt es bei der Offensive auf Donbass? Das sei jetzt die wichtigste Frage. Was wären mögliche Szenarien, wie es dort weitergeht? Nach Bathons Einschätzung geht es Russland vor allem darum, den Westen aus der Ukraine rauszuhalten. Die Ukraine könnte zu einer Art armeefreiem Land werden, meint er. Ziel: "Das was übrig bleibt, kann nicht gefährlich werden."

Was beobachtet er noch? "Auf beiden Seiten ist jetzt die Stunde der Hardliner." Auch das mache es schwieriger, sich ein Bild zu machen. Erstaunt war er, dass Wladimir Putin in seiner Rede, in der er die Donbass-Republiken anerkannt hat, den Eindruck erweckte, er würde der Ukraine das Existenzrecht absprechen. "Da hat sich ein Sendungsbewusstsein abgezeichnet. " Fast schon etwas Missionarisches, schiebt Bathon nach. Das wirke ziemlich unheimlich.
Werden die diplomatischen Beziehungen abgebrochen?
Wie geht es weiter? Menschen wie Roland Bathon, die Familie in Russland haben, machen sich Sorgen, dass die diplomatischen Beziehungen leiden oder gar abgebrochen werden, gegenseitig Botschaftspersonal ausgewiesen wird. Und ohne Botschaftspersonal gebe es keine Visa. "Dann können wir unsere Verwandten nicht mehr besuchen."
Bevor Roland Bathon den nächsten Interview -Termin hat, diesmal ist er der Fragensteller, eine Frage: Wie sehen russischstämmige Schweinfurter seiner Einschätzung nach die Lage? Er sieht eine geteilte Stimmung. Es gebe in der russischen Community hier Menschen, die sich als Patrioten sehen, sich vorwiegend aus dem russischen Staatsfernsehen informieren und mehr hinter der russischen Regierung stehen, als Russen in Russland. Auf der anderen Seite gebe es Menschen, die sich eher hier im deutschen System verorten, der russischen Politik kritisch gegenüber stehen und den Angriff auf die Ukraine verurteilen.
Die meisten Experten, die in den Medien heutzutage zu Wort kommen, kann man in der Pfeife rauchen. Die haben sich nämlich das Lametta an der Brust selbst angehefet, laufen damit Stolz herum und keiner überprüft es.
Will sagen: Herr Bathon mag sich ja mit Russland eingehend beschäftigt haben. Seine Folgerungen der letzten Zeit aber wurden von den aktuellen Entwicklungen ad absurdum geführt. Sie treffen nicht mehr zu.
Kein Wunder dass ihn Putin mit einer Rede überraschen kann.