Der Schweinfurter Roland Bathon (51) beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Russland, der Heimat seiner Frau. Er hat über Wodka geschrieben, Reiseführer verfasst - Bathon beschäftigt sich aber auch als freiberuflicher Journalist mit Politik. Er findet, es kommen zu wenige russische Stimmen zu Wort, wenn es um russische Politik geht. Oder um Wladimir Putin, mit dessen Rolle sich Bathon in seinem neuen Buch beschäftigt.
Roland Bathon: Wunderschöne Landschaften und Städte, gastfreundliche Menschen und eine verkrustete Verwaltung.
Bathon: Eine starke Führungspersönlichkeit, sehr konservativ. Inzwischen im Alter sogar reaktionär, rückwärts gewandt. Und er ist beliebt bei der Mehrheit der Bevölkerung, vor allem bei Älteren. Junge und urbane Russen sind kaum Putin-Anhänger - sie sind genervt von der Stagnation unter ihm. Putin ist sehr intelligent. Er hat sich immerhin 20 Jahre lang an der Macht gehalten. Er ist ein Pragmatiker.
Bathon: Der große Schiedsrichter, Ausgleicher, Therapeut. Putin sorgt dafür, dass keine Gruppe, kein Teil der Verwaltung zu stark, zu unabhängig wird. Er setzt darauf, dass sich konkurrierende Gruppen - zum Beispiel die Geheimdienste und Staatskonzerne - nebeneinander bewegen. So gewinnt keine die Oberhand. In Russland bestünde kaum die Gefahr, dass das Militär die Macht an sich reißt. Die Militärs haben alles, was sie brauchen. Eines ist Putin übrigens auch nicht: Ein Populist.
Bathon: Genau. Im Westen spricht man gerne vom "System Putin". Ich sehen ihn eher als Ergebnis des Systems, nicht als sein Erschaffer.
Bathon: Vielleicht ist es einfacher, wenn man Putin als Dreh-und Angelpunkt sieht. So findet eine Personifikation des gesamten Regierungssystems statt. Man muss nicht differenzieren. Dabei übersieht man aber, dass die Regierungspolitik nicht von einer Einzelperson, sondern von einer politischen Kaste gesteuert wird - dem russischen Establishment. Das ist auf die Bewahrung der Verhältnisse bis zum Stillstand angelegt. Areg Galystan, der Amerikaexperte des russischen Rates für Auswärtige Politik, hält die westliche Darstellung von Putin als Personifikation Russlands und der russischen Politik für eine ernste Krise des dortigen strategischen Denkens. So vereinfacht werden Probleme mit der Demokratie in Russland mit Putins Person erklärt, anstatt die Ursachen tiefer zu erforschen.
Bathon: Ja, russische Stimmen, der russische Blickwinkel sind bei uns selten zu hören, zu lesen oder zu sehen. Ich finde es wichtig, auch die Innenansicht zu kennen. Und nicht immer die gleichen Russland-Experten zu befragen.
Bathon: "Putin ist nicht Russlands Zar" richtet sich an eine breite Leserschaft, an ganz normale Leute, die sich für Russland interessieren. Ich möchte ihnen die Möglichkeit bieten, sich ein eigenes Bild zu machen.
Bathon: Ja, sogar russische Medien haben sich gemeldet und um ein Besprechungsexemplar gebeten. Und auch deutsche Politikwissenschaftler wollen sich damit beschäftigen. Ich bin sehr gespannt auf deren Reaktionen. Ich bin kein Wissenschaftler, kein Analytiker - ich stelle Analysen und Ansichten zusammen.
Bathon: Ich bin kein Hellseher. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Russland sich der Gefahr aussetzt, den Westen als Abnehmer für Öl und Gas zu verlieren. Auf diesen Exporten basiert ein Großteil der russischen Wirtschaft. Würde man in die Ukraine einmarschieren, müsste Russland eine Art Besatzungsarmee installieren. Das wäre kaum zu finanzieren. Aber Kriege und Auseinandersetzungen sind schon aus Missverständnissen entstanden. Die können auf beiden Seiten passieren.
Was mich viel mehr interessiert hätte ist, dass Herr Bathon mal den Standpunkt Russlands zur aktuellen Krise etwas erläuert, denn dieser wird in den meisten Medien gar nicht erläutert, oder man macht sich bestenfalls lustig darüber. Es gibt leider keine ausgewogene Berichterstattung in unserem Land zu dem Konflikt, und das ist daher hier eine ungenutzte Chance, dies ein wenig zu korrigieren.