Die Sicht und die weiße Linie auf dem Boden hüllen sich in dicken Nebel und sind kaum noch zu erkennen, auch der Gleichgewichtssinn schwindet. Dank einer Brille, die Sehbehinderungen täuschend echt simuliert, konnten in einem Seminar der Schweinfurter Lebenshilfe Menschen hautnah erfahren, wie es sich anfühlt, körperlich eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen zu sein.
Dies solle zum Verständnis beitragen, welche Probleme diese Beeinträchtigung mit sich bringen können. Auch jene, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht sofort ersichtlich werden, so die Leiterin des Seminars, Bettina Fünkner-Kraus von der Lebenshilfe.
"Sich in die Einschränkungen und Schwierigkeiten hineinversetzen zu können, ist super wichtig", sagt die Sozialpädagogin zu den Seminargästen. Gemeinsam mit ihrer Seminarhilfe Adrian Tudyka klärt sie über den Kontakt und die Hürden von und mit Behinderten auf. Der 38-Jährige ist mit einer spinalen Muskelatrophie geboren und sitzt im Rollstuhl. Ihm sei es wichtig, die Menschen aufzuklären und ihnen besonders in Alltagssituationen, wie im Bus oder der Bahn, die Ängste im Umgang mit eingeschränkten Menschen zu nehmen, so der Rollstuhlfahrer weiter.
Zwischen Hilfe und Bevormundung liegt ein schmaler Grat
Hilfsbereitschaft sei gut und wichtig, sagt Tudyka, aber ebenso wichtig sei es, dem Menschen gegenüber seine Würde und seine Eigenständigkeit zu lassen und zu fragen, ob man helfen könne, bevor man übergriffig handele. "Wenn mir eine Münze herunterfällt, dann möchte ich sie auch selbst aufheben, das dauert natürlich wesentlich länger, als wenn mir jemand hilft, aber am Ende freue ich mich und habe ein Erfolgserlebnis, wenn es geklappt hat."
Sein Rat ist es, zu kommunizieren und zu fragen, ob und inwieweit man helfen könne. Die meisten Menschen seien sehr hilfsbereit und würden es nur gut meinen, wenn sie einem zur Hand gehen, denken jedoch nicht daran, ob sich ihr Gegenüber bevormundet fühlt, erklärt der 38-Jährige. Man müsse auch ein "Nein" akzeptieren und dies nicht persönlich nehmen, wenn jemand etwas selbstständig machen möchte.
"Es muss das Bewusstsein entstehen, dass nicht die fehlenden Beine eines Menschen ein Problem sind, sondern die Treppen, die er ohne diese nicht besteigen kann", sagt Fünkner-Kraus. Laut Statistik haben in Deutschland knapp 25 Prozent aller Menschen über 64 Jahre eine Behinderung, erklärt die Sozialpädagogin. Es könne jeden treffen und mit diesem Selbstverständnis solle man Behinderungen auch gegenübertreten.
Die Barrieren sind meistens im Kopf und nicht physisch
Die meisten Menschen seien viel zu verkopft und kompliziert, wenn sie auf einen behinderten Menschen stoßen, weiß Tudyka. "Wir sind meistens sehr entspannt und gelassen, was unsere Einschränkungen angeht. Man muss einfach mutig sein und uns normal behandeln."
Eine besonders lustige Situation habe er vor kurzem bei einem Arztbesuch erlebt, erzählt er. Die Helferin meinte zu ihm, er solle noch kurz Platz nehmen und sich setzen. Als ihr dann auffiel, dass er bereits in seinem Rollstuhl sitze, sei ihr die Situation unheimlich peinlich gewesen.
Keine Unterschiede machen – auch das ist Teil von Inklusion
"Ich musste sehr lachen und fand es sympathisch, wie sie reagiert hat. Wir sind doch auch nur Menschen und ich sage auch, dass ich spazieren gehe, obwohl ich im Rollstuhl sitze." Es sei auch ein Teil der Inklusion, dort keine Unterschiede zu machen. "Seid mutig, geht auf die Menschen zu und kommuniziert mit ihnen, dann könnt ihr nichts falsch machen", gibt Tudyka als finalen Ratschlag mit auf den Weg.
Seminare wie diese werden regelmäßig angeboten, sagt Fünkner-Kraus. "Wir suchen ständig Freiwillige und freuen uns über jeden, der Interesse hat, sich zu diesem Thema weiterzubilden oder selbst mit anzupacken."
Informationen zu Veranstaltungen sowie alle Kontaktmöglichkeiten gibt es auf der Homepage der Lebenshilfe.